Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liegt, fehlt ihm doch der Abschluß. Dem tüchtigen Mann ist Muße wol zu
gönnen, aber wir würden ihm doch den lebhaftesten Dank wissen, wenn er
durch einen nachträglichen Band das Werk, welches ein Lieblingsbuch der
Nation zu werden verspricht, seiner Vollendung zuführte.




Neue historische Schriften.

Die Verwicklungen der orientalischen Frage rufen eine Reihe historischer
Untersuchungen hervor, welche die beiden letzten Jahrhunderte aus einem ganz
andern Licht betrachten, als man es sonst gewohnt war. Wenn es nun einerseits
ein Nachtheil für die objective Betrachtung ist, daß die augenblickliche Partei¬
richtung sich auch an den politischen Fragen der Vergangenheit geltend macht,
so hat es doch seinen Werth, auch diesen Gesichtspunkt so scharf als möglich
historisch zu verfolgen, wenn auch nur als Vorarbeit für den künftigen Ge¬
schichtschreiber. -- Zunächst führen wir aus dem siebenten Jahrgang des histo¬
rischen Taschenbuchs eine Abhandlung von Zinkeisen an: Die orientalische
Frage im zweiten Stadium ihrer Entwicklung; eine weitere geschichtliche Studie
zur vergleichenden Politik. (Leipzig, Brockhaus.) Sie behandelt die drei ersten
Viertel des 16. Jahrhunderts, also diejenige Zeit, wo das Reich der Osmanen
in seiner Blüte stand, in einer gut erzählten Skizze, ohne Anspruch auf eine
gründlichere Durchführung. -- Eine entschiedene Parteischrift ist das Werk
von Samuel Sugenheim: Rußlands Einfluß auf, und Beziehungen zu
Deutschland, vom Beginne der Älleinregierung Peters l. bis zum Tode Niko¬
laus .1. (1689---18os); nebst einem einleitenden Rückblicke auf die frühere Zeit.
1. Bd. (Bis zum Vollzuge der ersten Theilung Polens: 1773.) Frankfurt a. M.
H. Keller. Es ist sehr zu bedauern, baß der Verfasser dem höchst interessanten
Detail, das er zum Theil aus ziemlich unbekannten Schriften genommen hat,
eine so ganz einseitige Parteifarbe gibt. Er beeinträchtigt damit nicht nur die
objective Haltung des Geschichlswerks, er schwächt auch den Eindruck aufs
Publicum, denn einer leidenschaftlichen Erregung glaubt man nicht. Seine
Schilderung Peters des Großen ist ein Ausfluß des Hasses, und obgleich die
Einzelnheiten zum großen Theil richtig sind, so verräth sie doch zugleich die
Unfähigkeit, sich in eine groß angelegte souveräne Natur zu versetzen. Peter
war unzweifelhaft ein Barbar, und man könnte von seiner angebornen Bestia¬
lität noch mehr Züge erzählen, als hier geschieht; trotzdem hat ihm nicht die
erkaufte Feder Voltaires, sondern der richtige Jnstinct der Menge den Bei¬
namen des Großen gegeben; ein Beiname, mit dem man diejenigen Fürsten
auszeichnet, die ein neues staatenbildendeö Princip in die Geschichte einführten.


liegt, fehlt ihm doch der Abschluß. Dem tüchtigen Mann ist Muße wol zu
gönnen, aber wir würden ihm doch den lebhaftesten Dank wissen, wenn er
durch einen nachträglichen Band das Werk, welches ein Lieblingsbuch der
Nation zu werden verspricht, seiner Vollendung zuführte.




Neue historische Schriften.

Die Verwicklungen der orientalischen Frage rufen eine Reihe historischer
Untersuchungen hervor, welche die beiden letzten Jahrhunderte aus einem ganz
andern Licht betrachten, als man es sonst gewohnt war. Wenn es nun einerseits
ein Nachtheil für die objective Betrachtung ist, daß die augenblickliche Partei¬
richtung sich auch an den politischen Fragen der Vergangenheit geltend macht,
so hat es doch seinen Werth, auch diesen Gesichtspunkt so scharf als möglich
historisch zu verfolgen, wenn auch nur als Vorarbeit für den künftigen Ge¬
schichtschreiber. — Zunächst führen wir aus dem siebenten Jahrgang des histo¬
rischen Taschenbuchs eine Abhandlung von Zinkeisen an: Die orientalische
Frage im zweiten Stadium ihrer Entwicklung; eine weitere geschichtliche Studie
zur vergleichenden Politik. (Leipzig, Brockhaus.) Sie behandelt die drei ersten
Viertel des 16. Jahrhunderts, also diejenige Zeit, wo das Reich der Osmanen
in seiner Blüte stand, in einer gut erzählten Skizze, ohne Anspruch auf eine
gründlichere Durchführung. — Eine entschiedene Parteischrift ist das Werk
von Samuel Sugenheim: Rußlands Einfluß auf, und Beziehungen zu
Deutschland, vom Beginne der Älleinregierung Peters l. bis zum Tode Niko¬
laus .1. (1689—-18os); nebst einem einleitenden Rückblicke auf die frühere Zeit.
1. Bd. (Bis zum Vollzuge der ersten Theilung Polens: 1773.) Frankfurt a. M.
H. Keller. Es ist sehr zu bedauern, baß der Verfasser dem höchst interessanten
Detail, das er zum Theil aus ziemlich unbekannten Schriften genommen hat,
eine so ganz einseitige Parteifarbe gibt. Er beeinträchtigt damit nicht nur die
objective Haltung des Geschichlswerks, er schwächt auch den Eindruck aufs
Publicum, denn einer leidenschaftlichen Erregung glaubt man nicht. Seine
Schilderung Peters des Großen ist ein Ausfluß des Hasses, und obgleich die
Einzelnheiten zum großen Theil richtig sind, so verräth sie doch zugleich die
Unfähigkeit, sich in eine groß angelegte souveräne Natur zu versetzen. Peter
war unzweifelhaft ein Barbar, und man könnte von seiner angebornen Bestia¬
lität noch mehr Züge erzählen, als hier geschieht; trotzdem hat ihm nicht die
erkaufte Feder Voltaires, sondern der richtige Jnstinct der Menge den Bei¬
namen des Großen gegeben; ein Beiname, mit dem man diejenigen Fürsten
auszeichnet, die ein neues staatenbildendeö Princip in die Geschichte einführten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101623"/>
          <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> liegt, fehlt ihm doch der Abschluß. Dem tüchtigen Mann ist Muße wol zu<lb/>
gönnen, aber wir würden ihm doch den lebhaftesten Dank wissen, wenn er<lb/>
durch einen nachträglichen Band das Werk, welches ein Lieblingsbuch der<lb/>
Nation zu werden verspricht, seiner Vollendung zuführte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue historische Schriften.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_224" next="#ID_225"> Die Verwicklungen der orientalischen Frage rufen eine Reihe historischer<lb/>
Untersuchungen hervor, welche die beiden letzten Jahrhunderte aus einem ganz<lb/>
andern Licht betrachten, als man es sonst gewohnt war. Wenn es nun einerseits<lb/>
ein Nachtheil für die objective Betrachtung ist, daß die augenblickliche Partei¬<lb/>
richtung sich auch an den politischen Fragen der Vergangenheit geltend macht,<lb/>
so hat es doch seinen Werth, auch diesen Gesichtspunkt so scharf als möglich<lb/>
historisch zu verfolgen, wenn auch nur als Vorarbeit für den künftigen Ge¬<lb/>
schichtschreiber. &#x2014; Zunächst führen wir aus dem siebenten Jahrgang des histo¬<lb/>
rischen Taschenbuchs eine Abhandlung von Zinkeisen an: Die orientalische<lb/>
Frage im zweiten Stadium ihrer Entwicklung; eine weitere geschichtliche Studie<lb/>
zur vergleichenden Politik. (Leipzig, Brockhaus.) Sie behandelt die drei ersten<lb/>
Viertel des 16. Jahrhunderts, also diejenige Zeit, wo das Reich der Osmanen<lb/>
in seiner Blüte stand, in einer gut erzählten Skizze, ohne Anspruch auf eine<lb/>
gründlichere Durchführung. &#x2014; Eine entschiedene Parteischrift ist das Werk<lb/>
von Samuel Sugenheim: Rußlands Einfluß auf, und Beziehungen zu<lb/>
Deutschland, vom Beginne der Älleinregierung Peters l. bis zum Tode Niko¬<lb/>
laus .1. (1689&#x2014;-18os); nebst einem einleitenden Rückblicke auf die frühere Zeit.<lb/>
1. Bd. (Bis zum Vollzuge der ersten Theilung Polens: 1773.) Frankfurt a. M.<lb/>
H. Keller. Es ist sehr zu bedauern, baß der Verfasser dem höchst interessanten<lb/>
Detail, das er zum Theil aus ziemlich unbekannten Schriften genommen hat,<lb/>
eine so ganz einseitige Parteifarbe gibt. Er beeinträchtigt damit nicht nur die<lb/>
objective Haltung des Geschichlswerks, er schwächt auch den Eindruck aufs<lb/>
Publicum, denn einer leidenschaftlichen Erregung glaubt man nicht. Seine<lb/>
Schilderung Peters des Großen ist ein Ausfluß des Hasses, und obgleich die<lb/>
Einzelnheiten zum großen Theil richtig sind, so verräth sie doch zugleich die<lb/>
Unfähigkeit, sich in eine groß angelegte souveräne Natur zu versetzen. Peter<lb/>
war unzweifelhaft ein Barbar, und man könnte von seiner angebornen Bestia¬<lb/>
lität noch mehr Züge erzählen, als hier geschieht; trotzdem hat ihm nicht die<lb/>
erkaufte Feder Voltaires, sondern der richtige Jnstinct der Menge den Bei¬<lb/>
namen des Großen gegeben; ein Beiname, mit dem man diejenigen Fürsten<lb/>
auszeichnet, die ein neues staatenbildendeö Princip in die Geschichte einführten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] liegt, fehlt ihm doch der Abschluß. Dem tüchtigen Mann ist Muße wol zu gönnen, aber wir würden ihm doch den lebhaftesten Dank wissen, wenn er durch einen nachträglichen Band das Werk, welches ein Lieblingsbuch der Nation zu werden verspricht, seiner Vollendung zuführte. Neue historische Schriften. Die Verwicklungen der orientalischen Frage rufen eine Reihe historischer Untersuchungen hervor, welche die beiden letzten Jahrhunderte aus einem ganz andern Licht betrachten, als man es sonst gewohnt war. Wenn es nun einerseits ein Nachtheil für die objective Betrachtung ist, daß die augenblickliche Partei¬ richtung sich auch an den politischen Fragen der Vergangenheit geltend macht, so hat es doch seinen Werth, auch diesen Gesichtspunkt so scharf als möglich historisch zu verfolgen, wenn auch nur als Vorarbeit für den künftigen Ge¬ schichtschreiber. — Zunächst führen wir aus dem siebenten Jahrgang des histo¬ rischen Taschenbuchs eine Abhandlung von Zinkeisen an: Die orientalische Frage im zweiten Stadium ihrer Entwicklung; eine weitere geschichtliche Studie zur vergleichenden Politik. (Leipzig, Brockhaus.) Sie behandelt die drei ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, also diejenige Zeit, wo das Reich der Osmanen in seiner Blüte stand, in einer gut erzählten Skizze, ohne Anspruch auf eine gründlichere Durchführung. — Eine entschiedene Parteischrift ist das Werk von Samuel Sugenheim: Rußlands Einfluß auf, und Beziehungen zu Deutschland, vom Beginne der Älleinregierung Peters l. bis zum Tode Niko¬ laus .1. (1689—-18os); nebst einem einleitenden Rückblicke auf die frühere Zeit. 1. Bd. (Bis zum Vollzuge der ersten Theilung Polens: 1773.) Frankfurt a. M. H. Keller. Es ist sehr zu bedauern, baß der Verfasser dem höchst interessanten Detail, das er zum Theil aus ziemlich unbekannten Schriften genommen hat, eine so ganz einseitige Parteifarbe gibt. Er beeinträchtigt damit nicht nur die objective Haltung des Geschichlswerks, er schwächt auch den Eindruck aufs Publicum, denn einer leidenschaftlichen Erregung glaubt man nicht. Seine Schilderung Peters des Großen ist ein Ausfluß des Hasses, und obgleich die Einzelnheiten zum großen Theil richtig sind, so verräth sie doch zugleich die Unfähigkeit, sich in eine groß angelegte souveräne Natur zu versetzen. Peter war unzweifelhaft ein Barbar, und man könnte von seiner angebornen Bestia¬ lität noch mehr Züge erzählen, als hier geschieht; trotzdem hat ihm nicht die erkaufte Feder Voltaires, sondern der richtige Jnstinct der Menge den Bei¬ namen des Großen gegeben; ein Beiname, mit dem man diejenigen Fürsten auszeichnet, die ein neues staatenbildendeö Princip in die Geschichte einführten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/96>, abgerufen am 27.06.2024.