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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Wesen sei, ein Werkzeug in den Händen von Marlowes Feinden gewesen sei,
da er darin halb seine Theilnahme an der Schrift einräumt, und daß das
ganze Testament eine niederträchtige Erdichtung sei. Wie dem nun auch sei,
der Ruf Marlowes als eines Atheisten ist aus vielen Zeugnissen offenbar:
wir werden sehen, ob seine Werke dazu Veranlassung gaben. Aber die Ver¬
folgungen waren unnütz; kurz darauf machte ein Zufall dem Leben des ver¬
schrienen Gottesleugners ein Ende. In Destford, einige Meilen von London,
halte er eine Liebschaft. Eines Tages, am 1. Juni 1593, überraschte er seine
Geliebte in der Gesellschaft eines Nebenbuhlers, Franz Archer; es kam zum
Handgemenge, Marlowe zog den Dolch ; der Gegner bemächtigte sich der Waffe,
welche nun, sei es durch Zufall oder Absicht, Marlowe durchs Auge in das Ge¬
hirn fuhr, so daß er gleich darauf starb. So endete er wild und rasch, wie
er gelebt hatte, kaum 30 Jahr alt, und die Puritaner sahen darin ein Straf¬
gericht Gottes für seine Freigeisterei. Daß Sammlungen von Histörchen dieser
Art, in denen der Finger des Herrn sichtbar geworden, auch diese enthalten, daß
sie sogar in eine Ballade verwickelt und vermuthlich da gehörig ausgeschmückt,
wurde, beweist nur die Berühmtheit des so unglücklich Angekommenen. Die
Puritaner und die städtischen Obrigkeiten waren überhaupt dem Theaterwesen
feind, es galt für eine Quelle und Gelegenheit zur Auslassung von Unordnung
aller Art, die Komödianten für liederliches Pack. Im Jahr -IL76 verbannten
der Lord Mayor und die Alderman die Theater aus dem Weichbilde der Stadt,
aber die sogenannten "Freiheiten", die anstoßenden Vorstädte, nahmen sie auf
und grade in diesem Jahr finden wir schon drei miteinander wetteifernde stehende
öffentliche Theater erwähnt und beklagt von eifrigen Predigern: das Black-
friars-, das Vorhangsschauspielhaus und das "Theater" x"r etzo^,)v. Gewiß
hatten beide Vorwürfe ihren guten Grund, und Shakespeare selbst ging infolge
seiner Verirrungen unter dieses Gesindel. Aber so gut wie er sich emporraffte
und dadurch, im Verein mit Ben Jonson, auch dem Stande des Schauspielers
und Schauspieldichters eine würdigere Stellung gab,, -- denn Shakespeare,
ganz abgesehen davon, daß er die Bühnendichtung mit einem Adel der Sprache
und einer Tiefe menschlicher Weisheit begabte, wie weder vor noch nach ihm
einer -- gab auch durch sein Leben ein gutes Beispiel, erwarb sich ein Ver¬
mögen und ward ein wohlhabender, begüterter Mann -- so hätte auch Mar¬
lowe sich von seinen Jugendsünden reinigen können. Hat doch die Geschichte,
ich will nicht sagen Goethes und Byrons, sondern selbst des Edelsten der
Edeln, Schillers, eine Zeit der Äugendthorheit auszuweisen. -- Das also wird
niemand glauben wollen, daß diese Anschuldigungen gegen Marlowe grundlos
gewesen seien.

.Versuchen wir nun, die Werke dieses merkwürdigen Mannes kennen zu
lernen, so gut dies durch Auszüge und Proben geschehen kann, welche letztere,


Grenzboten. II. ->8ö6. 1l)

Wesen sei, ein Werkzeug in den Händen von Marlowes Feinden gewesen sei,
da er darin halb seine Theilnahme an der Schrift einräumt, und daß das
ganze Testament eine niederträchtige Erdichtung sei. Wie dem nun auch sei,
der Ruf Marlowes als eines Atheisten ist aus vielen Zeugnissen offenbar:
wir werden sehen, ob seine Werke dazu Veranlassung gaben. Aber die Ver¬
folgungen waren unnütz; kurz darauf machte ein Zufall dem Leben des ver¬
schrienen Gottesleugners ein Ende. In Destford, einige Meilen von London,
halte er eine Liebschaft. Eines Tages, am 1. Juni 1593, überraschte er seine
Geliebte in der Gesellschaft eines Nebenbuhlers, Franz Archer; es kam zum
Handgemenge, Marlowe zog den Dolch ; der Gegner bemächtigte sich der Waffe,
welche nun, sei es durch Zufall oder Absicht, Marlowe durchs Auge in das Ge¬
hirn fuhr, so daß er gleich darauf starb. So endete er wild und rasch, wie
er gelebt hatte, kaum 30 Jahr alt, und die Puritaner sahen darin ein Straf¬
gericht Gottes für seine Freigeisterei. Daß Sammlungen von Histörchen dieser
Art, in denen der Finger des Herrn sichtbar geworden, auch diese enthalten, daß
sie sogar in eine Ballade verwickelt und vermuthlich da gehörig ausgeschmückt,
wurde, beweist nur die Berühmtheit des so unglücklich Angekommenen. Die
Puritaner und die städtischen Obrigkeiten waren überhaupt dem Theaterwesen
feind, es galt für eine Quelle und Gelegenheit zur Auslassung von Unordnung
aller Art, die Komödianten für liederliches Pack. Im Jahr -IL76 verbannten
der Lord Mayor und die Alderman die Theater aus dem Weichbilde der Stadt,
aber die sogenannten „Freiheiten", die anstoßenden Vorstädte, nahmen sie auf
und grade in diesem Jahr finden wir schon drei miteinander wetteifernde stehende
öffentliche Theater erwähnt und beklagt von eifrigen Predigern: das Black-
friars-, das Vorhangsschauspielhaus und das „Theater" x«r etzo^,)v. Gewiß
hatten beide Vorwürfe ihren guten Grund, und Shakespeare selbst ging infolge
seiner Verirrungen unter dieses Gesindel. Aber so gut wie er sich emporraffte
und dadurch, im Verein mit Ben Jonson, auch dem Stande des Schauspielers
und Schauspieldichters eine würdigere Stellung gab,, — denn Shakespeare,
ganz abgesehen davon, daß er die Bühnendichtung mit einem Adel der Sprache
und einer Tiefe menschlicher Weisheit begabte, wie weder vor noch nach ihm
einer — gab auch durch sein Leben ein gutes Beispiel, erwarb sich ein Ver¬
mögen und ward ein wohlhabender, begüterter Mann — so hätte auch Mar¬
lowe sich von seinen Jugendsünden reinigen können. Hat doch die Geschichte,
ich will nicht sagen Goethes und Byrons, sondern selbst des Edelsten der
Edeln, Schillers, eine Zeit der Äugendthorheit auszuweisen. — Das also wird
niemand glauben wollen, daß diese Anschuldigungen gegen Marlowe grundlos
gewesen seien.

.Versuchen wir nun, die Werke dieses merkwürdigen Mannes kennen zu
lernen, so gut dies durch Auszüge und Proben geschehen kann, welche letztere,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/81>, abgerufen am 27.06.2024.