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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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einer Spanne war ein voller Monat erforderlich. Eine Schrift über die Musik
von 39 Kolumnen erforderte eine Arbeit von i Jahren. Aber in der Regel ging
die,Abwicklung nicht ohne neue Zerstörung der Rollen von Statten. Die Blätter
sind so überaus dünn, daß ihre Lücken immer von dem zunächst darunterliegen¬
den Blatte scheinbar ausgefüllt werden; ist nun die ganze, scheinbar einem Vlatt
ungehörige Oberfläche, mit Leim bestrichen, so wird dadurch ein Stück von dem
untern Blatte losgerissen und tritt in die Lücke des obern hinein, während das
untere. das vorher ganz war. nun ein entsprechendes Loch bekommt. Ebenso
gefährlich ist die Arbeit an den Fugen der aneinander geleimten Stücke Papier,
denn der ausgestrichene Leim kann leicht die Fuge auflösen, und durch sie bis
das folgende Blatt dringend es an das obere festkleben.

Zur Unterstützung in diesem unendlich schwierigen Geschäft schickte durch
Vermittlung des bekannten englischen Gesandten in Neapel, Hamilton, der
Prinz von Wales, damals Regent von England, den Neapolitanern seinen
Bibliothekar Hayter. Die nun mit großem Eifer betriebene Thätigkeit wurde
180K durch die französische Occupation unterbrochen, der Hof flüchtete, wie be¬
kannt, nach Palermo, und nahm unter andern kostbaren Dingen auch die ge¬
nauen Copien der neu abgewickelten Rollen mit. Diese Abschriften, die in
Sicilien schwerlich hätten edirt werden können, erlangte der englische Gesandte
Drummond, ganz oder zum Theil, um sie in England herausgeben zu lassen.
Außer diesen Copien hatten die Engländer noch eine Anzahl unangetasteter
Rollen von den Neapolitanern erhalten, zu deren Abwicklung Dr. Sickler 1817
nach London berufen wurde. Er hat über seine Abwicklungsversuche in einer
eignen Schrift ausführlich berichtet.*) Die Rollen erwiesen sich so gut wie un-
tauglich, die ganze, ehemals geglättete Oberfläche des Papyrus war bei den
meisten durch Feuchtigkeit zerstört, und mit ihr die darauf befindliche Schrift.

Da die Titel nicht nur zu Anfang sondern auch zu Ende der Schriften
stehen, kennt man den Inhalt auch der meisten nicht abgewickelten Rollen. Ge¬
sunden sind überhaupr entwickelt gegen 200. Die meisten, die man kennt,
sind von Epikuräern, und darunter 36 von Philodcmus allein. Dieser Philodemus
ist ohne Zweifel derselbe epikuräische Philosoph, den Cicero erwähnt. Er war
ein Syrer aus Gadara, siedelte sich aber nach Rom über. -- Eine Anzahl von
Epigrammen von ihm ist noch erhalten, in einem derselben ladet er seinen
Freund und Schüler Piso (denselben, gegen den wir Ciceros Rede haben) ein,
den Geburtstag Epikurs mit ihm zu begehen, welcher von den Epikuräern als
ein besonderer Festag gefeiert wurde. Wir wollen einige Proben aus seiner
von der herkulanensischen Akademie herausgegebenen Schrift über die Musik
mittheilen. Geschrieben ist das Exemplar zwar nicht schlecht, obwol nicht ohne



') Die herculanischen Handschriften in England und meine im Jahre -I8t7 zu ihrer Ent¬
wicklung gemachten Versuche. Leipzig, >S->9.
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einer Spanne war ein voller Monat erforderlich. Eine Schrift über die Musik
von 39 Kolumnen erforderte eine Arbeit von i Jahren. Aber in der Regel ging
die,Abwicklung nicht ohne neue Zerstörung der Rollen von Statten. Die Blätter
sind so überaus dünn, daß ihre Lücken immer von dem zunächst darunterliegen¬
den Blatte scheinbar ausgefüllt werden; ist nun die ganze, scheinbar einem Vlatt
ungehörige Oberfläche, mit Leim bestrichen, so wird dadurch ein Stück von dem
untern Blatte losgerissen und tritt in die Lücke des obern hinein, während das
untere. das vorher ganz war. nun ein entsprechendes Loch bekommt. Ebenso
gefährlich ist die Arbeit an den Fugen der aneinander geleimten Stücke Papier,
denn der ausgestrichene Leim kann leicht die Fuge auflösen, und durch sie bis
das folgende Blatt dringend es an das obere festkleben.

Zur Unterstützung in diesem unendlich schwierigen Geschäft schickte durch
Vermittlung des bekannten englischen Gesandten in Neapel, Hamilton, der
Prinz von Wales, damals Regent von England, den Neapolitanern seinen
Bibliothekar Hayter. Die nun mit großem Eifer betriebene Thätigkeit wurde
180K durch die französische Occupation unterbrochen, der Hof flüchtete, wie be¬
kannt, nach Palermo, und nahm unter andern kostbaren Dingen auch die ge¬
nauen Copien der neu abgewickelten Rollen mit. Diese Abschriften, die in
Sicilien schwerlich hätten edirt werden können, erlangte der englische Gesandte
Drummond, ganz oder zum Theil, um sie in England herausgeben zu lassen.
Außer diesen Copien hatten die Engländer noch eine Anzahl unangetasteter
Rollen von den Neapolitanern erhalten, zu deren Abwicklung Dr. Sickler 1817
nach London berufen wurde. Er hat über seine Abwicklungsversuche in einer
eignen Schrift ausführlich berichtet.*) Die Rollen erwiesen sich so gut wie un-
tauglich, die ganze, ehemals geglättete Oberfläche des Papyrus war bei den
meisten durch Feuchtigkeit zerstört, und mit ihr die darauf befindliche Schrift.

Da die Titel nicht nur zu Anfang sondern auch zu Ende der Schriften
stehen, kennt man den Inhalt auch der meisten nicht abgewickelten Rollen. Ge¬
sunden sind überhaupr entwickelt gegen 200. Die meisten, die man kennt,
sind von Epikuräern, und darunter 36 von Philodcmus allein. Dieser Philodemus
ist ohne Zweifel derselbe epikuräische Philosoph, den Cicero erwähnt. Er war
ein Syrer aus Gadara, siedelte sich aber nach Rom über. — Eine Anzahl von
Epigrammen von ihm ist noch erhalten, in einem derselben ladet er seinen
Freund und Schüler Piso (denselben, gegen den wir Ciceros Rede haben) ein,
den Geburtstag Epikurs mit ihm zu begehen, welcher von den Epikuräern als
ein besonderer Festag gefeiert wurde. Wir wollen einige Proben aus seiner
von der herkulanensischen Akademie herausgegebenen Schrift über die Musik
mittheilen. Geschrieben ist das Exemplar zwar nicht schlecht, obwol nicht ohne



') Die herculanischen Handschriften in England und meine im Jahre -I8t7 zu ihrer Ent¬
wicklung gemachten Versuche. Leipzig, >S->9.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/67>, abgerufen am 27.07.2024.