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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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und viele wurden weggeworfen; ein Irrthum, der um so natürlicher war, als
die Ausgrabung unter der Erde ohne Tageslicht gemacht wurde. Die Arbeiter
nannten den Ort dcMex-r nisi egrbonarn (Laden des Kohlenhändlers). All-
mälig erregte aber die Ordnung, in welcher die Cylinder aufeinandergeschichtet
waren, Aufmerksamkeit; man untersuchte nun genauer und entdeckte Buchstaben,
die bei dem starken Auftrag der Schwärze über die Fläche wahrnehmbar her¬
vorragten. Der Ort, in dem die Entdeckung gemacht wurde, war ein kleines
Zimmer, vermuthlich mit gewölbter Decke, welches zwei Menschen mit ausge¬
streckten Armen überreichen konnten. Rund herum an der Mauer waren
Schränke, und in der Mitte des Zimmers stand ein andres Gestell für Schrif¬
ten, um das man frei herumgehen konnte. Das Holz dieser Gestelle war ver¬
kohlt,, und fiel, wie natürlich, bei der Berührung zusammen. Ebenso waren die
Rollen verkohlt, die übrigens fast alle von gleicher Länge, etwa eine Spanne,
und 2--L Finger breit im Durchmesser gefunden wurden; die meisten zusammen¬
geschrumpft und runzlig, schwarz oder ganz dunkelgrau, und ihre Rundung
höckerig oder ungleich. Winckelmann vergleicht sie mit Bockshörnern, Mayer mit
gedrückten Tabaksrollen. Manche indeß waren völlig zu Staub zerfallen; auch
bei den erhaltenen ist der Papyrus im Feuer dünner geworden, als ein Mohn¬
blatt. Am leichtesten sind diejenigen abzuwickeln, die am meisten kohlenähn¬
lich sehen und eine gleichmäßige Schwärze haben, andere von kastanienbrauner
Farbe haben von Feuchtigkeit gelitten und sind theilweise zerfressen oder durch
eingeklebte Asche und Erde unbrauchbar gemacht.

Alle diese Rollen sind nur auf einer (der innern) Seite beschrieben, und
ihre Columnen durch einen fingerbreiten Raum voneinander getrennt, die erste
aufgewickelte Rolle hatte 40, die zweite 70 solche Columnen, die ungefähr
40--Zeilen lang sind. Die Schrift ist eine gewöhnliche Unzialschrift, und
wie damals in der Regel geschrieben wurde, sind die Worte ungetrennt, ohne
Accente und Interpunktion. Wenn dieser Umstand schon im Alterthum daS
Lesen erschwerte, weshalb gute Vorleser sehr geschätzt wurden, so erschwert er
um so viel mehr die Entzifferung. Den ersten glücklichen Versuch zum Ab¬
wickeln dieser Rollen machte der Pater Antonio Piaggi, serittors lirtiiio der
vaticanischen Bibliothek, der zu diesem Zweck nach Neapel berufen wurde: in¬
dem er die in einer Maschine aufgehängten Rollen von außen mit einer los¬
weichenden Flüssigkeit bestrich und mit Goldschlägerhäutchen fütterte. War dies
einen Fingerbreit längs der ganzen Rolle geschehen, so wurden Seidenfäden
an die gefütterten Stellen geklebt und allmälig angezogen und das so Abgelöste
auf Lagen von Baumwolle um eine Walze gelegt; von der Walze wurde die
Schrift dann abgewickelt und ausgebreitet. Dann erst konnte die Entzifferung
und Abschreibung ihren Anfang nehmen. Bei dieser Methode konnte in vier bis
fünf Stunden ein Finger breit längs der Rolle abgelöst werden, zu der Breite


und viele wurden weggeworfen; ein Irrthum, der um so natürlicher war, als
die Ausgrabung unter der Erde ohne Tageslicht gemacht wurde. Die Arbeiter
nannten den Ort dcMex-r nisi egrbonarn (Laden des Kohlenhändlers). All-
mälig erregte aber die Ordnung, in welcher die Cylinder aufeinandergeschichtet
waren, Aufmerksamkeit; man untersuchte nun genauer und entdeckte Buchstaben,
die bei dem starken Auftrag der Schwärze über die Fläche wahrnehmbar her¬
vorragten. Der Ort, in dem die Entdeckung gemacht wurde, war ein kleines
Zimmer, vermuthlich mit gewölbter Decke, welches zwei Menschen mit ausge¬
streckten Armen überreichen konnten. Rund herum an der Mauer waren
Schränke, und in der Mitte des Zimmers stand ein andres Gestell für Schrif¬
ten, um das man frei herumgehen konnte. Das Holz dieser Gestelle war ver¬
kohlt,, und fiel, wie natürlich, bei der Berührung zusammen. Ebenso waren die
Rollen verkohlt, die übrigens fast alle von gleicher Länge, etwa eine Spanne,
und 2—L Finger breit im Durchmesser gefunden wurden; die meisten zusammen¬
geschrumpft und runzlig, schwarz oder ganz dunkelgrau, und ihre Rundung
höckerig oder ungleich. Winckelmann vergleicht sie mit Bockshörnern, Mayer mit
gedrückten Tabaksrollen. Manche indeß waren völlig zu Staub zerfallen; auch
bei den erhaltenen ist der Papyrus im Feuer dünner geworden, als ein Mohn¬
blatt. Am leichtesten sind diejenigen abzuwickeln, die am meisten kohlenähn¬
lich sehen und eine gleichmäßige Schwärze haben, andere von kastanienbrauner
Farbe haben von Feuchtigkeit gelitten und sind theilweise zerfressen oder durch
eingeklebte Asche und Erde unbrauchbar gemacht.

Alle diese Rollen sind nur auf einer (der innern) Seite beschrieben, und
ihre Columnen durch einen fingerbreiten Raum voneinander getrennt, die erste
aufgewickelte Rolle hatte 40, die zweite 70 solche Columnen, die ungefähr
40—Zeilen lang sind. Die Schrift ist eine gewöhnliche Unzialschrift, und
wie damals in der Regel geschrieben wurde, sind die Worte ungetrennt, ohne
Accente und Interpunktion. Wenn dieser Umstand schon im Alterthum daS
Lesen erschwerte, weshalb gute Vorleser sehr geschätzt wurden, so erschwert er
um so viel mehr die Entzifferung. Den ersten glücklichen Versuch zum Ab¬
wickeln dieser Rollen machte der Pater Antonio Piaggi, serittors lirtiiio der
vaticanischen Bibliothek, der zu diesem Zweck nach Neapel berufen wurde: in¬
dem er die in einer Maschine aufgehängten Rollen von außen mit einer los¬
weichenden Flüssigkeit bestrich und mit Goldschlägerhäutchen fütterte. War dies
einen Fingerbreit längs der ganzen Rolle geschehen, so wurden Seidenfäden
an die gefütterten Stellen geklebt und allmälig angezogen und das so Abgelöste
auf Lagen von Baumwolle um eine Walze gelegt; von der Walze wurde die
Schrift dann abgewickelt und ausgebreitet. Dann erst konnte die Entzifferung
und Abschreibung ihren Anfang nehmen. Bei dieser Methode konnte in vier bis
fünf Stunden ein Finger breit längs der Rolle abgelöst werden, zu der Breite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/66>, abgerufen am 27.06.2024.