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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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wissen Bangigkeit entgegengesehen, da der phantastische Gegenstand, der im
Carton völlig zu seinem Rechte kam, sich mit der realistischen Ausführung
nicht zu vertragen schien. Allein diese Besorgniß, die wol viele Bewunderer
des Meisters getheilt haben, ist auf das glänzendste widerlegt. Die Hunnen-
Ichlacht ist auch in Bezug auf die Farbe das Größte, was Kaulbach ausgeführt;
sie ist durchaus eine Eingebung des Genius, während sich sonst bei den grö¬
ßeren Compositionen Kaulbachs die Reflexion auf eine beunruhigende Weise
vordrängt. Was Kaulbach hier gemalt, hat er wirklich geschaut, es ist in
" Figuren trotz der unheimlichen Atmosphäre, in der sie sich bewegen, ein
>re>es, kühnes und großes Leben, so daß auch derjenige mit fortgerissen wird,
" gar nicht weiß, was er sich unter dem Gegenstände vorstellen soll. Ueber-
)aupt ist mir vor diesem Bilde recht deutlich geworden, daß, so wichtig im
Allgemeinen die Wahl deö Stoffes ist, der wahre Genius sich auch darüber
hmwegseyen darf. Wenn man einem, der das Gemälde selbst nicht kennt,
den Plan desselben auseinandersetzen wollte: das Schlachtfeld, auf dessen
Vordergrunde die Leichen der Gefallenen sich ihrem Todesschlafe entreißen, um
in die Lüfte aufzusteigen, und dort den blutigen Kampf von neuem fortzusetzen,
'o würde er gewiß zweifelhaft den Kopf schütteln. Sobald er aber daS
^'it sieht, hört aller Zweifel auf, denn der Künstler hat den Stoff aus seiner
ngnen Seele genommen. So zahlreich die Figuren und so complicirt die
Bewegungen sind, so ist in dem Bilde doch keine Unruhe; die Gruppen sind
k"^" "^eben Bewegung klar un,d übersichtlich; der Gegensatz ist groß ge-
acht und die Unmöglichkeit der Situation ist Wirklichkeit geworden. Die
aller ^ ^ ^amen'usch romantisch und doch klar und bestimmt, ganz frei von
^^^'in und Verzerrung. Der anscheinend grauenvolle, wildverzerrte
cgenstand macht den Eindruck der Schönheit. Wäre Kaulbach immer so den
"'gedungen seines Genius gefolgt, wie in der Hunnenschlacht, so würden
>e Zweifel an seiner Größe bald verstummen. Ich mache in der Behandlung
nur auf eins aufmerksam; hier haben wir es mit wirklichen Gespenstern zu
thun, wahrend die obere Schicht des babylonischen Thurmbaues, des Homer
und der Zerstörung Jerusalems Götter und Heroen darstellen soll: aber
grade die letzteren machen den Eindruck von Schemen, die ersteren haben
sinnliche, kräftige Realität. Man vergleiche ferner den Attila der Hun¬
nenschlacht mit dem Nimrod des babylonischen Thurmbaues; der letztere
"se der abstracte Theatertyrann, sein Ausdruck wie seine Bewegungen sind
unwahr und bis zum Gemeinen verzerrt, während in der Geißel Gottes
rotz der Wildheit der Bewegung eine gewisse Hoheit durchschimmert. Die
scheußlichen Gestalten, welche Kaulbach gern in die Ecken seiner Gemälde
einschiebt, wie z. B. die beiden Leute aus-dem Pöbel, die im Thurmbau den
Baumeister steinigen, im Grunde auch der ewige Jude in der Zerstörung


Grenzl'oder, II. 7

wissen Bangigkeit entgegengesehen, da der phantastische Gegenstand, der im
Carton völlig zu seinem Rechte kam, sich mit der realistischen Ausführung
nicht zu vertragen schien. Allein diese Besorgniß, die wol viele Bewunderer
des Meisters getheilt haben, ist auf das glänzendste widerlegt. Die Hunnen-
Ichlacht ist auch in Bezug auf die Farbe das Größte, was Kaulbach ausgeführt;
sie ist durchaus eine Eingebung des Genius, während sich sonst bei den grö¬
ßeren Compositionen Kaulbachs die Reflexion auf eine beunruhigende Weise
vordrängt. Was Kaulbach hier gemalt, hat er wirklich geschaut, es ist in
" Figuren trotz der unheimlichen Atmosphäre, in der sie sich bewegen, ein
>re>es, kühnes und großes Leben, so daß auch derjenige mit fortgerissen wird,
" gar nicht weiß, was er sich unter dem Gegenstände vorstellen soll. Ueber-
)aupt ist mir vor diesem Bilde recht deutlich geworden, daß, so wichtig im
Allgemeinen die Wahl deö Stoffes ist, der wahre Genius sich auch darüber
hmwegseyen darf. Wenn man einem, der das Gemälde selbst nicht kennt,
den Plan desselben auseinandersetzen wollte: das Schlachtfeld, auf dessen
Vordergrunde die Leichen der Gefallenen sich ihrem Todesschlafe entreißen, um
in die Lüfte aufzusteigen, und dort den blutigen Kampf von neuem fortzusetzen,
'o würde er gewiß zweifelhaft den Kopf schütteln. Sobald er aber daS
^'it sieht, hört aller Zweifel auf, denn der Künstler hat den Stoff aus seiner
ngnen Seele genommen. So zahlreich die Figuren und so complicirt die
Bewegungen sind, so ist in dem Bilde doch keine Unruhe; die Gruppen sind
k"^" "^eben Bewegung klar un,d übersichtlich; der Gegensatz ist groß ge-
acht und die Unmöglichkeit der Situation ist Wirklichkeit geworden. Die
aller ^ ^ ^amen'usch romantisch und doch klar und bestimmt, ganz frei von
^^^'in und Verzerrung. Der anscheinend grauenvolle, wildverzerrte
cgenstand macht den Eindruck der Schönheit. Wäre Kaulbach immer so den
"'gedungen seines Genius gefolgt, wie in der Hunnenschlacht, so würden
>e Zweifel an seiner Größe bald verstummen. Ich mache in der Behandlung
nur auf eins aufmerksam; hier haben wir es mit wirklichen Gespenstern zu
thun, wahrend die obere Schicht des babylonischen Thurmbaues, des Homer
und der Zerstörung Jerusalems Götter und Heroen darstellen soll: aber
grade die letzteren machen den Eindruck von Schemen, die ersteren haben
sinnliche, kräftige Realität. Man vergleiche ferner den Attila der Hun¬
nenschlacht mit dem Nimrod des babylonischen Thurmbaues; der letztere
»se der abstracte Theatertyrann, sein Ausdruck wie seine Bewegungen sind
unwahr und bis zum Gemeinen verzerrt, während in der Geißel Gottes
rotz der Wildheit der Bewegung eine gewisse Hoheit durchschimmert. Die
scheußlichen Gestalten, welche Kaulbach gern in die Ecken seiner Gemälde
einschiebt, wie z. B. die beiden Leute aus-dem Pöbel, die im Thurmbau den
Baumeister steinigen, im Grunde auch der ewige Jude in der Zerstörung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/57>, abgerufen am 27.06.2024.