Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und unermüdlichem Eifer stets bereit sind einzutreten und es zu einem Grad
von"Sicherheit und Fertigkeit bringen, daß ihre Mitwirkung, da wo man nicht
über großartige Mittel zu verfügen hat, stets dankenswert!) ist und'ihnen eine
verdiente locale Autorität verschafft. Den Aufgaben und Anforderungen eines
großen Musikfestes zu genügen, ist er jetzt nicht mehr im Stande, und ein
wirklicher Sänger kann er nie gewesen sein. Seine Stimmmittel hätten dazu
wol ausgereicht, aber es fehlt ihm an künstlerischer Bildung. Man hört fast
nur Gurgeltöne, sehr oft verkehrtes Athemholen und durchweg eine schlechte
Aussprache, so daß das erste Element eines guten Gesanges, schöne Tonbildung,
ihm mangelt; auch hat er, wie dies so oft Dilettanten geht, Unvollkommen-
heiten und Fehler einer ungenügenden Bildung mit Vorliebe als vermeintliche
Vorzüge gepflegt. Dahin gehört, offenbar als angebliches Attribut eines
würdigen und kräftigen Vertrags, eine eigenthümliche Art von Martellato,
das jeden Ton accentuirt und im Recitativ der neunten Symphonie den Zu¬
hörer die einzelnen Töne wie ebensoviele Stößt einer Locomotive empfinden
ließ, wobei Hr. Dumont in der langen Phrase ans freuten (vollem) sogar nach
n nicht blos absetzte, sondern pausirte und' erst nach den beiden Accorden
des Orchesters K eintreten ließ! Schlimmer noch, oder wenigstens ebenso schlimm
ist der Mangel an Geist und Geschmack im Vortrage Hrn. Dumouts, wie
dies besonders in der Arie aus der Schöpfung und den Liedern hervortrat.
Die Verbesserungen, welche Hr. Dumont Haydn gelegentlich zu Theil werden
ließ, waren um so störender, je bekannter das Musikstück ist, die übertriebene
Charakteristik der einzelnen Thiergattungen, das schmelzende Säuseln bei dem
weidenden Rind und Schaf, waren arge Verstöße gegen den guten Geschmack;
und so wurde auch Schuberts Wanderer in lauter einzelne contrastirende
Effecte zerspalten. Die Wahl des marsch nerschen Liedes war, abgesehen
von der trivialen Composition, schon des Tertes wegen ein Mißgriff. Ober
finden Sie es angemessen, wenn bei einem Musikfest ein Mann auf die
Tribune tritt und vor Tausenden singt:


Ja du bist mein, ja du bist mein!
Ich wills dem blauen Himmel sagen,
Ich wills der dunkeln Nacht vertrau".
Du sollst von Lieb und Lust umgeben,
Ganz fühlen, daß du glücklich bist.
schließ mich in deine Arme ein.
Ja du bist mein, und ewig mein!

Nehmen Sie es nicht als Mangel an Galanterie, daß ich zuletzt von den
Damen rede, allein leider waren die Sängerinnen dies Mal nicht der Glanz¬
punkt des Musikfestes. Frl. Tietjens zeichnet sich durch eine schöne, starke,


und unermüdlichem Eifer stets bereit sind einzutreten und es zu einem Grad
von«Sicherheit und Fertigkeit bringen, daß ihre Mitwirkung, da wo man nicht
über großartige Mittel zu verfügen hat, stets dankenswert!) ist und'ihnen eine
verdiente locale Autorität verschafft. Den Aufgaben und Anforderungen eines
großen Musikfestes zu genügen, ist er jetzt nicht mehr im Stande, und ein
wirklicher Sänger kann er nie gewesen sein. Seine Stimmmittel hätten dazu
wol ausgereicht, aber es fehlt ihm an künstlerischer Bildung. Man hört fast
nur Gurgeltöne, sehr oft verkehrtes Athemholen und durchweg eine schlechte
Aussprache, so daß das erste Element eines guten Gesanges, schöne Tonbildung,
ihm mangelt; auch hat er, wie dies so oft Dilettanten geht, Unvollkommen-
heiten und Fehler einer ungenügenden Bildung mit Vorliebe als vermeintliche
Vorzüge gepflegt. Dahin gehört, offenbar als angebliches Attribut eines
würdigen und kräftigen Vertrags, eine eigenthümliche Art von Martellato,
das jeden Ton accentuirt und im Recitativ der neunten Symphonie den Zu¬
hörer die einzelnen Töne wie ebensoviele Stößt einer Locomotive empfinden
ließ, wobei Hr. Dumont in der langen Phrase ans freuten (vollem) sogar nach
n nicht blos absetzte, sondern pausirte und' erst nach den beiden Accorden
des Orchesters K eintreten ließ! Schlimmer noch, oder wenigstens ebenso schlimm
ist der Mangel an Geist und Geschmack im Vortrage Hrn. Dumouts, wie
dies besonders in der Arie aus der Schöpfung und den Liedern hervortrat.
Die Verbesserungen, welche Hr. Dumont Haydn gelegentlich zu Theil werden
ließ, waren um so störender, je bekannter das Musikstück ist, die übertriebene
Charakteristik der einzelnen Thiergattungen, das schmelzende Säuseln bei dem
weidenden Rind und Schaf, waren arge Verstöße gegen den guten Geschmack;
und so wurde auch Schuberts Wanderer in lauter einzelne contrastirende
Effecte zerspalten. Die Wahl des marsch nerschen Liedes war, abgesehen
von der trivialen Composition, schon des Tertes wegen ein Mißgriff. Ober
finden Sie es angemessen, wenn bei einem Musikfest ein Mann auf die
Tribune tritt und vor Tausenden singt:


Ja du bist mein, ja du bist mein!
Ich wills dem blauen Himmel sagen,
Ich wills der dunkeln Nacht vertrau».
Du sollst von Lieb und Lust umgeben,
Ganz fühlen, daß du glücklich bist.
schließ mich in deine Arme ein.
Ja du bist mein, und ewig mein!

Nehmen Sie es nicht als Mangel an Galanterie, daß ich zuletzt von den
Damen rede, allein leider waren die Sängerinnen dies Mal nicht der Glanz¬
punkt des Musikfestes. Frl. Tietjens zeichnet sich durch eine schöne, starke,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102027"/>
          <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> und unermüdlichem Eifer stets bereit sind einzutreten und es zu einem Grad<lb/>
von«Sicherheit und Fertigkeit bringen, daß ihre Mitwirkung, da wo man nicht<lb/>
über großartige Mittel zu verfügen hat, stets dankenswert!) ist und'ihnen eine<lb/>
verdiente locale Autorität verschafft. Den Aufgaben und Anforderungen eines<lb/>
großen Musikfestes zu genügen, ist er jetzt nicht mehr im Stande, und ein<lb/>
wirklicher Sänger kann er nie gewesen sein. Seine Stimmmittel hätten dazu<lb/>
wol ausgereicht, aber es fehlt ihm an künstlerischer Bildung. Man hört fast<lb/>
nur Gurgeltöne, sehr oft verkehrtes Athemholen und durchweg eine schlechte<lb/>
Aussprache, so daß das erste Element eines guten Gesanges, schöne Tonbildung,<lb/>
ihm mangelt; auch hat er, wie dies so oft Dilettanten geht, Unvollkommen-<lb/>
heiten und Fehler einer ungenügenden Bildung mit Vorliebe als vermeintliche<lb/>
Vorzüge gepflegt. Dahin gehört, offenbar als angebliches Attribut eines<lb/>
würdigen und kräftigen Vertrags, eine eigenthümliche Art von Martellato,<lb/>
das jeden Ton accentuirt und im Recitativ der neunten Symphonie den Zu¬<lb/>
hörer die einzelnen Töne wie ebensoviele Stößt einer Locomotive empfinden<lb/>
ließ, wobei Hr. Dumont in der langen Phrase ans freuten (vollem) sogar nach<lb/>
n nicht blos absetzte, sondern pausirte und' erst nach den beiden Accorden<lb/>
des Orchesters K eintreten ließ! Schlimmer noch, oder wenigstens ebenso schlimm<lb/>
ist der Mangel an Geist und Geschmack im Vortrage Hrn. Dumouts, wie<lb/>
dies besonders in der Arie aus der Schöpfung und den Liedern hervortrat.<lb/>
Die Verbesserungen, welche Hr. Dumont Haydn gelegentlich zu Theil werden<lb/>
ließ, waren um so störender, je bekannter das Musikstück ist, die übertriebene<lb/>
Charakteristik der einzelnen Thiergattungen, das schmelzende Säuseln bei dem<lb/>
weidenden Rind und Schaf, waren arge Verstöße gegen den guten Geschmack;<lb/>
und so wurde auch Schuberts Wanderer in lauter einzelne contrastirende<lb/>
Effecte zerspalten. Die Wahl des marsch nerschen Liedes war, abgesehen<lb/>
von der trivialen Composition, schon des Tertes wegen ein Mißgriff. Ober<lb/>
finden Sie es angemessen, wenn bei einem Musikfest ein Mann auf die<lb/>
Tribune tritt und vor Tausenden singt:</p><lb/>
          <quote> Ja du bist mein, ja du bist mein!<lb/>
Ich wills dem blauen Himmel sagen,<lb/>
Ich wills der dunkeln Nacht vertrau».<lb/>
Du sollst von Lieb und Lust umgeben,<lb/>
Ganz fühlen, daß du glücklich bist.<lb/>
schließ mich in deine Arme ein.<lb/>
Ja du bist mein, und ewig mein!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1369" next="#ID_1370"> Nehmen Sie es nicht als Mangel an Galanterie, daß ich zuletzt von den<lb/>
Damen rede, allein leider waren die Sängerinnen dies Mal nicht der Glanz¬<lb/>
punkt des Musikfestes.  Frl. Tietjens zeichnet sich durch eine schöne, starke,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0500] und unermüdlichem Eifer stets bereit sind einzutreten und es zu einem Grad von«Sicherheit und Fertigkeit bringen, daß ihre Mitwirkung, da wo man nicht über großartige Mittel zu verfügen hat, stets dankenswert!) ist und'ihnen eine verdiente locale Autorität verschafft. Den Aufgaben und Anforderungen eines großen Musikfestes zu genügen, ist er jetzt nicht mehr im Stande, und ein wirklicher Sänger kann er nie gewesen sein. Seine Stimmmittel hätten dazu wol ausgereicht, aber es fehlt ihm an künstlerischer Bildung. Man hört fast nur Gurgeltöne, sehr oft verkehrtes Athemholen und durchweg eine schlechte Aussprache, so daß das erste Element eines guten Gesanges, schöne Tonbildung, ihm mangelt; auch hat er, wie dies so oft Dilettanten geht, Unvollkommen- heiten und Fehler einer ungenügenden Bildung mit Vorliebe als vermeintliche Vorzüge gepflegt. Dahin gehört, offenbar als angebliches Attribut eines würdigen und kräftigen Vertrags, eine eigenthümliche Art von Martellato, das jeden Ton accentuirt und im Recitativ der neunten Symphonie den Zu¬ hörer die einzelnen Töne wie ebensoviele Stößt einer Locomotive empfinden ließ, wobei Hr. Dumont in der langen Phrase ans freuten (vollem) sogar nach n nicht blos absetzte, sondern pausirte und' erst nach den beiden Accorden des Orchesters K eintreten ließ! Schlimmer noch, oder wenigstens ebenso schlimm ist der Mangel an Geist und Geschmack im Vortrage Hrn. Dumouts, wie dies besonders in der Arie aus der Schöpfung und den Liedern hervortrat. Die Verbesserungen, welche Hr. Dumont Haydn gelegentlich zu Theil werden ließ, waren um so störender, je bekannter das Musikstück ist, die übertriebene Charakteristik der einzelnen Thiergattungen, das schmelzende Säuseln bei dem weidenden Rind und Schaf, waren arge Verstöße gegen den guten Geschmack; und so wurde auch Schuberts Wanderer in lauter einzelne contrastirende Effecte zerspalten. Die Wahl des marsch nerschen Liedes war, abgesehen von der trivialen Composition, schon des Tertes wegen ein Mißgriff. Ober finden Sie es angemessen, wenn bei einem Musikfest ein Mann auf die Tribune tritt und vor Tausenden singt: Ja du bist mein, ja du bist mein! Ich wills dem blauen Himmel sagen, Ich wills der dunkeln Nacht vertrau». Du sollst von Lieb und Lust umgeben, Ganz fühlen, daß du glücklich bist. schließ mich in deine Arme ein. Ja du bist mein, und ewig mein! Nehmen Sie es nicht als Mangel an Galanterie, daß ich zuletzt von den Damen rede, allein leider waren die Sängerinnen dies Mal nicht der Glanz¬ punkt des Musikfestes. Frl. Tietjens zeichnet sich durch eine schöne, starke,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/500
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/500>, abgerufen am 21.06.2024.