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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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leicht ansprechende, namentlich auch in der Höhe ungemein wohlklingende
Stimme aus, so daß die materielle Wirkung aufs Ohr, da wo sie ihre Stimme
frei gebrauchen konnte, besonders in der. glänzenden und für sie günstig ge¬
legenen großen Arie im Elias, eine sehr günstige war. Leider war sie durch
eine Erkältung schon von Anfang an sehr gehindert und diese nahm im Ver¬
lauf des Festes so sehr zu, daß man namentlich am letzten Tage nur bedauern
konnte, daß sie ihrer Stimme solche Anstrengungen zumuthen mußte, ohne ein
befriedigendes Resultat zu erreichen/ Diese ungünstigen Verhältnisse lassen
über ihre Ausbildung als Sängerin vielleicht kein ganz sicheres Urtheil zu.
Es war auffallend, daß sie den Ton nicht selten quetschte, daß sie ihn nicht
fest einsetzte, sondern hinüberzog, daß sie falsch Athem holte, daß sie die Colo-
raturen nicht frei und sicher machte, sondern verwischte und im Tempo zu¬
nehmend beschleunigte, daß sie bei so mancher Gelegenheit, ja Nöthigung dazu
keinen Triller machte; .und ich suchte, diese Ausstellungen kommen nicht alle
auf Rechnung des Katarrhs: eine wahrhaft künstlerisch durchgebildete Sängerin
hätte anch unter ungünstigen Umständen ihre Kunst unzweifelhaft erkennen
lassen. Unverkennbar und nicht zu entschuldigen war es, daß Frl. Tietjens
ihre Partien, die noch dazu einem Genre angehören, das ihr fremd ist, nicht
vorher mit der gehörigen Sorgfalt einstudirt hatte. Man findet meistens, daß
gründlich gebildete Künstler mit dem größten Fleiß studiren, weil sie wissen,
was es sagen will, eine Partie ganz und gar zu beherrschen, und wie noth¬
wendig dies ist, um ein sicheres Gelingen zu verbürgen; wer sich ohne Noth
auf die Eingebung des Augenblicks verläßt, zeigt dadurch in der Regel auch,
daß er in seiner Ausbildung nicht' weit genug vorgeschritten ist, um die
Schwierigkeiten der Sache und sein eignes Können richtig zu ermessen. Frl.
TietjenS war in ihren Partien so wenig zu Hause, daß sie in den Proben
noch mit dem Notenlesen und dem Takt recht ernst.'es zu thun hatte und erst
anfangen mußte zu lernen; es versteht sich von selbst, daß unter solchen Um¬
ständen bei der Aufführung auch von. geistiger Auffassung und freier Dar¬
stellung nicht die Rede sein konnte, sondern daß"ti,e Sachen eben nur heraus¬
kamen, und wenn auch manche landläufige Sängereffecte von ihr nicht ver¬
fehlt wurden und ihre Wirkung beim Publicum nicht verfehlten, so spricht das
immer nur für einen Grad von Routine, welches einer Bühnensängerin eben
nicht hoch anzurechnen ist. Allein eine solche Nonchalance zeugt von wenig
Achtung für die Kunst, für das Publicum und den eignen Ruf, und diese
darf auch eine kaiserl. königliche Hofopernsängerin nicht ungestraft aus den
Augen setzen.

Frau Hoffbauer hat eine Altstimme von seltener Schönheit und na¬
mentlich sind die tiefen Töne der eigentlichen Altregion von außerordentlich
schönem Klang, auch die Höhe klingt gut; allein die verschiedenen Register


leicht ansprechende, namentlich auch in der Höhe ungemein wohlklingende
Stimme aus, so daß die materielle Wirkung aufs Ohr, da wo sie ihre Stimme
frei gebrauchen konnte, besonders in der. glänzenden und für sie günstig ge¬
legenen großen Arie im Elias, eine sehr günstige war. Leider war sie durch
eine Erkältung schon von Anfang an sehr gehindert und diese nahm im Ver¬
lauf des Festes so sehr zu, daß man namentlich am letzten Tage nur bedauern
konnte, daß sie ihrer Stimme solche Anstrengungen zumuthen mußte, ohne ein
befriedigendes Resultat zu erreichen/ Diese ungünstigen Verhältnisse lassen
über ihre Ausbildung als Sängerin vielleicht kein ganz sicheres Urtheil zu.
Es war auffallend, daß sie den Ton nicht selten quetschte, daß sie ihn nicht
fest einsetzte, sondern hinüberzog, daß sie falsch Athem holte, daß sie die Colo-
raturen nicht frei und sicher machte, sondern verwischte und im Tempo zu¬
nehmend beschleunigte, daß sie bei so mancher Gelegenheit, ja Nöthigung dazu
keinen Triller machte; .und ich suchte, diese Ausstellungen kommen nicht alle
auf Rechnung des Katarrhs: eine wahrhaft künstlerisch durchgebildete Sängerin
hätte anch unter ungünstigen Umständen ihre Kunst unzweifelhaft erkennen
lassen. Unverkennbar und nicht zu entschuldigen war es, daß Frl. Tietjens
ihre Partien, die noch dazu einem Genre angehören, das ihr fremd ist, nicht
vorher mit der gehörigen Sorgfalt einstudirt hatte. Man findet meistens, daß
gründlich gebildete Künstler mit dem größten Fleiß studiren, weil sie wissen,
was es sagen will, eine Partie ganz und gar zu beherrschen, und wie noth¬
wendig dies ist, um ein sicheres Gelingen zu verbürgen; wer sich ohne Noth
auf die Eingebung des Augenblicks verläßt, zeigt dadurch in der Regel auch,
daß er in seiner Ausbildung nicht' weit genug vorgeschritten ist, um die
Schwierigkeiten der Sache und sein eignes Können richtig zu ermessen. Frl.
TietjenS war in ihren Partien so wenig zu Hause, daß sie in den Proben
noch mit dem Notenlesen und dem Takt recht ernst.'es zu thun hatte und erst
anfangen mußte zu lernen; es versteht sich von selbst, daß unter solchen Um¬
ständen bei der Aufführung auch von. geistiger Auffassung und freier Dar¬
stellung nicht die Rede sein konnte, sondern daß»ti,e Sachen eben nur heraus¬
kamen, und wenn auch manche landläufige Sängereffecte von ihr nicht ver¬
fehlt wurden und ihre Wirkung beim Publicum nicht verfehlten, so spricht das
immer nur für einen Grad von Routine, welches einer Bühnensängerin eben
nicht hoch anzurechnen ist. Allein eine solche Nonchalance zeugt von wenig
Achtung für die Kunst, für das Publicum und den eignen Ruf, und diese
darf auch eine kaiserl. königliche Hofopernsängerin nicht ungestraft aus den
Augen setzen.

Frau Hoffbauer hat eine Altstimme von seltener Schönheit und na¬
mentlich sind die tiefen Töne der eigentlichen Altregion von außerordentlich
schönem Klang, auch die Höhe klingt gut; allein die verschiedenen Register


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/501>, abgerufen am 23.06.2024.