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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sorties eingreifen. Und in welchem Zustande das vorpeträische Nußland sich
in Hinsicht der Bildung und Aufklärung befand, zeigen alle nach den
Quellen bearbeiteten Schriften über dieses Thema.

Zu solchen Werken zählt auch die Geschichte der slawisch-griechisch¬
lateinischen Akademie in Moskau. Ihr Hauptverdienst besteht-darin,
daß sie nicht allein nach gedruckten Quellen bearbeitet ist, sondern daß' der
Verfasser auch zahlreiche handschriftliche Urkunden zu Rathe gezogen hat, die
in den Sammlungen der geistlichen Akademie, der Synvdalbibliothek und des
Reichsarchivs in Moskau, in verschiedenen Kloster- und Kirchenbibliothcken
enthalten sind. Sein Buch ist daher für die Geschichte der Civilisation und
Literatur in Rußland von außerordentlicher Wichtigkeit. In dieser Geschichte
macht die Errichtung der moskauer Akademie Epoche. Wie schwer die Gelehr¬
samkeit, selbst die theologische, in Rußland Eingang fand, erhellt aus den
Hindernissen, die sich bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der Ein¬
führung geistlicher Schulen entgegenstellten. "Die Bildung und die Gewohn¬
heiten des Westens," heißt es in der Schrift des Herrn Smirnow, "galten un¬
sern Vorfahren als Heidenthum (basuemanstvo.) Es ist bekannt, daß Boris
Godunow Lehranstalten in Moskau zu gründen und deutsche Gelehrte nach
der Hauptstadt zu berufen wünschte; allein die Ausführung dieses PlanV stieß,
bei der Geistlichkeit auf energischen Widerstand. Das fromme Altrußland
fürchtete die westlichen Innovationen und daher beschränkte sich bei uns die
Bildung zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts auf wenig mehr, als die
Erlernung des Alphabets." -- Selbst das Bestreben, die Ritualbücher zu ver¬
bessern, hatte seine Märtyrer. Weder der berühmte Name eines der Retter des
Vaterlandes, des lroizker Archimandriten Dionysius, noch das Genie des
mächtigen Patriarchen nitor konnten diese Männer beim ersten Angriff auf die
Unwissenheit vom Verderben retten. Es ist unmöglich, alle Opfer aufzuzählen,
welche dieses sinnlose Ungethüm verschlang, aber die Geschichte muß die Namen
der edlen Märtyrer der Aufklärung in ihre Tafeln einschreiben. Der Metro¬
polit von Gaza, PaistuS Ligarides, der im Jahr 1660 nach Moskau kam,
erklärte endlich gradezu, daß die religiösen Unruhen in Nußland von der Un¬
wissenheit herrührten und daß es zur Heilung dieser Krankheit nur ein Mittel,
die Errichtung von Schulen, gebe. "Alles Uebel/' schrieb er, "entsteht aus
zwei Ursachen, daß man weder Volksschulen, noch Bibliotheken hat. Wenn man
unes fragen würde: welches sind die Säulen der Kirche und des Staates? so
würde ich antworten: zum'ersten Schulen,'zum andern Schulen und zum drillen
Schulen!"") Ferner spricht er in seinem Sendschreiben von der Nolhwendig-



Dieser Ausspruch des griechischen Erzbischöfe erinnert an das bckannnle Axiom Monte--
annulis über Kriegführung, scheint aber kein Plagiat zu sein, da die Schriften deö denihmie"

sorties eingreifen. Und in welchem Zustande das vorpeträische Nußland sich
in Hinsicht der Bildung und Aufklärung befand, zeigen alle nach den
Quellen bearbeiteten Schriften über dieses Thema.

Zu solchen Werken zählt auch die Geschichte der slawisch-griechisch¬
lateinischen Akademie in Moskau. Ihr Hauptverdienst besteht-darin,
daß sie nicht allein nach gedruckten Quellen bearbeitet ist, sondern daß' der
Verfasser auch zahlreiche handschriftliche Urkunden zu Rathe gezogen hat, die
in den Sammlungen der geistlichen Akademie, der Synvdalbibliothek und des
Reichsarchivs in Moskau, in verschiedenen Kloster- und Kirchenbibliothcken
enthalten sind. Sein Buch ist daher für die Geschichte der Civilisation und
Literatur in Rußland von außerordentlicher Wichtigkeit. In dieser Geschichte
macht die Errichtung der moskauer Akademie Epoche. Wie schwer die Gelehr¬
samkeit, selbst die theologische, in Rußland Eingang fand, erhellt aus den
Hindernissen, die sich bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der Ein¬
führung geistlicher Schulen entgegenstellten. „Die Bildung und die Gewohn¬
heiten des Westens," heißt es in der Schrift des Herrn Smirnow, „galten un¬
sern Vorfahren als Heidenthum (basuemanstvo.) Es ist bekannt, daß Boris
Godunow Lehranstalten in Moskau zu gründen und deutsche Gelehrte nach
der Hauptstadt zu berufen wünschte; allein die Ausführung dieses PlanV stieß,
bei der Geistlichkeit auf energischen Widerstand. Das fromme Altrußland
fürchtete die westlichen Innovationen und daher beschränkte sich bei uns die
Bildung zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts auf wenig mehr, als die
Erlernung des Alphabets." — Selbst das Bestreben, die Ritualbücher zu ver¬
bessern, hatte seine Märtyrer. Weder der berühmte Name eines der Retter des
Vaterlandes, des lroizker Archimandriten Dionysius, noch das Genie des
mächtigen Patriarchen nitor konnten diese Männer beim ersten Angriff auf die
Unwissenheit vom Verderben retten. Es ist unmöglich, alle Opfer aufzuzählen,
welche dieses sinnlose Ungethüm verschlang, aber die Geschichte muß die Namen
der edlen Märtyrer der Aufklärung in ihre Tafeln einschreiben. Der Metro¬
polit von Gaza, PaistuS Ligarides, der im Jahr 1660 nach Moskau kam,
erklärte endlich gradezu, daß die religiösen Unruhen in Nußland von der Un¬
wissenheit herrührten und daß es zur Heilung dieser Krankheit nur ein Mittel,
die Errichtung von Schulen, gebe. „Alles Uebel/' schrieb er, „entsteht aus
zwei Ursachen, daß man weder Volksschulen, noch Bibliotheken hat. Wenn man
unes fragen würde: welches sind die Säulen der Kirche und des Staates? so
würde ich antworten: zum'ersten Schulen,'zum andern Schulen und zum drillen
Schulen!"") Ferner spricht er in seinem Sendschreiben von der Nolhwendig-



Dieser Ausspruch des griechischen Erzbischöfe erinnert an das bckannnle Axiom Monte--
annulis über Kriegführung, scheint aber kein Plagiat zu sein, da die Schriften deö denihmie»
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[0479] sorties eingreifen. Und in welchem Zustande das vorpeträische Nußland sich in Hinsicht der Bildung und Aufklärung befand, zeigen alle nach den Quellen bearbeiteten Schriften über dieses Thema. Zu solchen Werken zählt auch die Geschichte der slawisch-griechisch¬ lateinischen Akademie in Moskau. Ihr Hauptverdienst besteht-darin, daß sie nicht allein nach gedruckten Quellen bearbeitet ist, sondern daß' der Verfasser auch zahlreiche handschriftliche Urkunden zu Rathe gezogen hat, die in den Sammlungen der geistlichen Akademie, der Synvdalbibliothek und des Reichsarchivs in Moskau, in verschiedenen Kloster- und Kirchenbibliothcken enthalten sind. Sein Buch ist daher für die Geschichte der Civilisation und Literatur in Rußland von außerordentlicher Wichtigkeit. In dieser Geschichte macht die Errichtung der moskauer Akademie Epoche. Wie schwer die Gelehr¬ samkeit, selbst die theologische, in Rußland Eingang fand, erhellt aus den Hindernissen, die sich bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der Ein¬ führung geistlicher Schulen entgegenstellten. „Die Bildung und die Gewohn¬ heiten des Westens," heißt es in der Schrift des Herrn Smirnow, „galten un¬ sern Vorfahren als Heidenthum (basuemanstvo.) Es ist bekannt, daß Boris Godunow Lehranstalten in Moskau zu gründen und deutsche Gelehrte nach der Hauptstadt zu berufen wünschte; allein die Ausführung dieses PlanV stieß, bei der Geistlichkeit auf energischen Widerstand. Das fromme Altrußland fürchtete die westlichen Innovationen und daher beschränkte sich bei uns die Bildung zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts auf wenig mehr, als die Erlernung des Alphabets." — Selbst das Bestreben, die Ritualbücher zu ver¬ bessern, hatte seine Märtyrer. Weder der berühmte Name eines der Retter des Vaterlandes, des lroizker Archimandriten Dionysius, noch das Genie des mächtigen Patriarchen nitor konnten diese Männer beim ersten Angriff auf die Unwissenheit vom Verderben retten. Es ist unmöglich, alle Opfer aufzuzählen, welche dieses sinnlose Ungethüm verschlang, aber die Geschichte muß die Namen der edlen Märtyrer der Aufklärung in ihre Tafeln einschreiben. Der Metro¬ polit von Gaza, PaistuS Ligarides, der im Jahr 1660 nach Moskau kam, erklärte endlich gradezu, daß die religiösen Unruhen in Nußland von der Un¬ wissenheit herrührten und daß es zur Heilung dieser Krankheit nur ein Mittel, die Errichtung von Schulen, gebe. „Alles Uebel/' schrieb er, „entsteht aus zwei Ursachen, daß man weder Volksschulen, noch Bibliotheken hat. Wenn man unes fragen würde: welches sind die Säulen der Kirche und des Staates? so würde ich antworten: zum'ersten Schulen,'zum andern Schulen und zum drillen Schulen!"") Ferner spricht er in seinem Sendschreiben von der Nolhwendig- Dieser Ausspruch des griechischen Erzbischöfe erinnert an das bckannnle Axiom Monte-- annulis über Kriegführung, scheint aber kein Plagiat zu sein, da die Schriften deö denihmie»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/479>, abgerufen am 21.06.2024.