Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verderblicher, je einschmeichelnder es uns eingegeben wird. Der rohe Acteur,
der bei jedem Abgang brüllen zu müssen glaubt, daß das Haus erzittert, wird
einfach ausgelacht; der aber, der mit affectirtester Feinheit seine Abgänge in
das rechte Licht zu stellen weiß, der auch sonstige kleine Hilfsmittel nicht ver¬
schmäht, als da sind ein bischen Stottern, dann Dehnen und plötzliches
Fallenlassen der Worte, oder der gar mit einer neuen, wenn auch an sich un¬
wahren und abgeschmackten Deutelei seiner Rolle dem Publicum imponirt --
der wird bewundert und verehrt. Beide stehen aber auf der nämlichen Stufe
der Kunst -- beide wollen mit ungehörigen Mitteln den Sieg davon tragen.

Es ist eine kaum zu vermeidende Klippe für die Künstler, daß sie in ihren
Gastdarstellungen zu sehr austragen und nüanciren. Es ist begreiflich, daß sie
ihre Vorzüge dem neuen Publicum in das schönste Licht zu stellen und sie so
viel wie möglich hervorzuheben trachten. Das Publicum seinerseits erwartet
etwas Unerhörtes, Unübertreffliches, und so kommen sich beide entgegen und
treiben sich gegenseitig auf der schwindelnden Höhe empor, die immer weiter
von der Natur abführt. Einen schlagenden Beweis lieferte hierfür schon Jff¬
land, der freilich wieder verständig genug war, seinen Fehler einzusehen und
zu gestehen. Er gab im Jahr 1809 eine Reihe von Gastvorstellungen in
Hamburg und gefiel an einem Abend in der Rolle des Baron in der "Laster-
schule" außerordentlich, da er mit wahrhaft übersprudelnder Laune spielte. Er
mußte die Rolle wiederholen, und zu dieser zweiten Darstellung sand sich auch
Schröder ein, der damals das Theater schon verlassen hatte, und Jffland wußte
um diesen Besuch. Sieh da, zur größten Verwunderung aller gab Jffland ein
ganz andres Bild als das erste Mal, mit viel gemäßigteren, naturwahreren
Zügen, und als ihn jemand über seine vermeintliche geringere Laune berief,
sagte er ruhig, aus Schröters Loge deutend: "die hohe Obrigkeit ist auf ihrem
Posten.""') --

Gestand aber schon Jffland auf diese Weise seinen Fehler, wie vielmehr
ist er seitdem Allgemeingut der reisenden Schauspieler geworden, und mußte
es werden. Jffland ist es, der zuerst in seinen Darstellungen ein Effectspiel
aufbrachte, das selbst seine große Künstlernatur oft ganz beherrschte.^)

Hat sich der Künstler aber einmal ni mehrmonatlichen Gastspielen an die
Unsitte des Affectirens und EsfecthaschenS gewöhnt, wird er da -- zurückgekehrt
an seinen heimischen Ort, nicht die Art und Weise, die ihn in der Fremde so
vielen Beifall ernten ließ, auch bei den heimischen Laren einbürgern wollen?

Goethe sprach sich öfters gegen die häufigen Gastspiele aus. Auf den
Porwurf, daß er dem Publicum die Bekanntschaft mit fremden Künstlern ent-




Lebrnu, band. Theatergesch.
") Tieck, dramatische Briefe, an mehrern Orten. Ed. Devrient, Geschichte der
Schausp. in, os. .
Grenzboten. II. tL66. i)9

verderblicher, je einschmeichelnder es uns eingegeben wird. Der rohe Acteur,
der bei jedem Abgang brüllen zu müssen glaubt, daß das Haus erzittert, wird
einfach ausgelacht; der aber, der mit affectirtester Feinheit seine Abgänge in
das rechte Licht zu stellen weiß, der auch sonstige kleine Hilfsmittel nicht ver¬
schmäht, als da sind ein bischen Stottern, dann Dehnen und plötzliches
Fallenlassen der Worte, oder der gar mit einer neuen, wenn auch an sich un¬
wahren und abgeschmackten Deutelei seiner Rolle dem Publicum imponirt —
der wird bewundert und verehrt. Beide stehen aber auf der nämlichen Stufe
der Kunst — beide wollen mit ungehörigen Mitteln den Sieg davon tragen.

Es ist eine kaum zu vermeidende Klippe für die Künstler, daß sie in ihren
Gastdarstellungen zu sehr austragen und nüanciren. Es ist begreiflich, daß sie
ihre Vorzüge dem neuen Publicum in das schönste Licht zu stellen und sie so
viel wie möglich hervorzuheben trachten. Das Publicum seinerseits erwartet
etwas Unerhörtes, Unübertreffliches, und so kommen sich beide entgegen und
treiben sich gegenseitig auf der schwindelnden Höhe empor, die immer weiter
von der Natur abführt. Einen schlagenden Beweis lieferte hierfür schon Jff¬
land, der freilich wieder verständig genug war, seinen Fehler einzusehen und
zu gestehen. Er gab im Jahr 1809 eine Reihe von Gastvorstellungen in
Hamburg und gefiel an einem Abend in der Rolle des Baron in der „Laster-
schule" außerordentlich, da er mit wahrhaft übersprudelnder Laune spielte. Er
mußte die Rolle wiederholen, und zu dieser zweiten Darstellung sand sich auch
Schröder ein, der damals das Theater schon verlassen hatte, und Jffland wußte
um diesen Besuch. Sieh da, zur größten Verwunderung aller gab Jffland ein
ganz andres Bild als das erste Mal, mit viel gemäßigteren, naturwahreren
Zügen, und als ihn jemand über seine vermeintliche geringere Laune berief,
sagte er ruhig, aus Schröters Loge deutend: „die hohe Obrigkeit ist auf ihrem
Posten.""') —

Gestand aber schon Jffland auf diese Weise seinen Fehler, wie vielmehr
ist er seitdem Allgemeingut der reisenden Schauspieler geworden, und mußte
es werden. Jffland ist es, der zuerst in seinen Darstellungen ein Effectspiel
aufbrachte, das selbst seine große Künstlernatur oft ganz beherrschte.^)

Hat sich der Künstler aber einmal ni mehrmonatlichen Gastspielen an die
Unsitte des Affectirens und EsfecthaschenS gewöhnt, wird er da — zurückgekehrt
an seinen heimischen Ort, nicht die Art und Weise, die ihn in der Fremde so
vielen Beifall ernten ließ, auch bei den heimischen Laren einbürgern wollen?

Goethe sprach sich öfters gegen die häufigen Gastspiele aus. Auf den
Porwurf, daß er dem Publicum die Bekanntschaft mit fremden Künstlern ent-




Lebrnu, band. Theatergesch.
") Tieck, dramatische Briefe, an mehrern Orten. Ed. Devrient, Geschichte der
Schausp. in, os. .
Grenzboten. II. tL66. i)9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102000"/>
          <p xml:id="ID_1302" prev="#ID_1301"> verderblicher, je einschmeichelnder es uns eingegeben wird. Der rohe Acteur,<lb/>
der bei jedem Abgang brüllen zu müssen glaubt, daß das Haus erzittert, wird<lb/>
einfach ausgelacht; der aber, der mit affectirtester Feinheit seine Abgänge in<lb/>
das rechte Licht zu stellen weiß, der auch sonstige kleine Hilfsmittel nicht ver¬<lb/>
schmäht, als da sind ein bischen Stottern, dann Dehnen und plötzliches<lb/>
Fallenlassen der Worte, oder der gar mit einer neuen, wenn auch an sich un¬<lb/>
wahren und abgeschmackten Deutelei seiner Rolle dem Publicum imponirt &#x2014;<lb/>
der wird bewundert und verehrt. Beide stehen aber auf der nämlichen Stufe<lb/>
der Kunst &#x2014; beide wollen mit ungehörigen Mitteln den Sieg davon tragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1303"> Es ist eine kaum zu vermeidende Klippe für die Künstler, daß sie in ihren<lb/>
Gastdarstellungen zu sehr austragen und nüanciren. Es ist begreiflich, daß sie<lb/>
ihre Vorzüge dem neuen Publicum in das schönste Licht zu stellen und sie so<lb/>
viel wie möglich hervorzuheben trachten. Das Publicum seinerseits erwartet<lb/>
etwas Unerhörtes, Unübertreffliches, und so kommen sich beide entgegen und<lb/>
treiben sich gegenseitig auf der schwindelnden Höhe empor, die immer weiter<lb/>
von der Natur abführt. Einen schlagenden Beweis lieferte hierfür schon Jff¬<lb/>
land, der freilich wieder verständig genug war, seinen Fehler einzusehen und<lb/>
zu gestehen. Er gab im Jahr 1809 eine Reihe von Gastvorstellungen in<lb/>
Hamburg und gefiel an einem Abend in der Rolle des Baron in der &#x201E;Laster-<lb/>
schule" außerordentlich, da er mit wahrhaft übersprudelnder Laune spielte. Er<lb/>
mußte die Rolle wiederholen, und zu dieser zweiten Darstellung sand sich auch<lb/>
Schröder ein, der damals das Theater schon verlassen hatte, und Jffland wußte<lb/>
um diesen Besuch. Sieh da, zur größten Verwunderung aller gab Jffland ein<lb/>
ganz andres Bild als das erste Mal, mit viel gemäßigteren, naturwahreren<lb/>
Zügen, und als ihn jemand über seine vermeintliche geringere Laune berief,<lb/>
sagte er ruhig, aus Schröters Loge deutend: &#x201E;die hohe Obrigkeit ist auf ihrem<lb/>
Posten.""') &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1304"> Gestand aber schon Jffland auf diese Weise seinen Fehler, wie vielmehr<lb/>
ist er seitdem Allgemeingut der reisenden Schauspieler geworden, und mußte<lb/>
es werden. Jffland ist es, der zuerst in seinen Darstellungen ein Effectspiel<lb/>
aufbrachte, das selbst seine große Künstlernatur oft ganz beherrschte.^)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1305"> Hat sich der Künstler aber einmal ni mehrmonatlichen Gastspielen an die<lb/>
Unsitte des Affectirens und EsfecthaschenS gewöhnt, wird er da &#x2014; zurückgekehrt<lb/>
an seinen heimischen Ort, nicht die Art und Weise, die ihn in der Fremde so<lb/>
vielen Beifall ernten ließ, auch bei den heimischen Laren einbürgern wollen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1306" next="#ID_1307"> Goethe sprach sich öfters gegen die häufigen Gastspiele aus. Auf den<lb/>
Porwurf, daß er dem Publicum die Bekanntschaft mit fremden Künstlern ent-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> Lebrnu, band. Theatergesch.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> ") Tieck, dramatische Briefe, an mehrern Orten.  Ed. Devrient, Geschichte der<lb/>
Schausp. in, os. .</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. tL66. i)9</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] verderblicher, je einschmeichelnder es uns eingegeben wird. Der rohe Acteur, der bei jedem Abgang brüllen zu müssen glaubt, daß das Haus erzittert, wird einfach ausgelacht; der aber, der mit affectirtester Feinheit seine Abgänge in das rechte Licht zu stellen weiß, der auch sonstige kleine Hilfsmittel nicht ver¬ schmäht, als da sind ein bischen Stottern, dann Dehnen und plötzliches Fallenlassen der Worte, oder der gar mit einer neuen, wenn auch an sich un¬ wahren und abgeschmackten Deutelei seiner Rolle dem Publicum imponirt — der wird bewundert und verehrt. Beide stehen aber auf der nämlichen Stufe der Kunst — beide wollen mit ungehörigen Mitteln den Sieg davon tragen. Es ist eine kaum zu vermeidende Klippe für die Künstler, daß sie in ihren Gastdarstellungen zu sehr austragen und nüanciren. Es ist begreiflich, daß sie ihre Vorzüge dem neuen Publicum in das schönste Licht zu stellen und sie so viel wie möglich hervorzuheben trachten. Das Publicum seinerseits erwartet etwas Unerhörtes, Unübertreffliches, und so kommen sich beide entgegen und treiben sich gegenseitig auf der schwindelnden Höhe empor, die immer weiter von der Natur abführt. Einen schlagenden Beweis lieferte hierfür schon Jff¬ land, der freilich wieder verständig genug war, seinen Fehler einzusehen und zu gestehen. Er gab im Jahr 1809 eine Reihe von Gastvorstellungen in Hamburg und gefiel an einem Abend in der Rolle des Baron in der „Laster- schule" außerordentlich, da er mit wahrhaft übersprudelnder Laune spielte. Er mußte die Rolle wiederholen, und zu dieser zweiten Darstellung sand sich auch Schröder ein, der damals das Theater schon verlassen hatte, und Jffland wußte um diesen Besuch. Sieh da, zur größten Verwunderung aller gab Jffland ein ganz andres Bild als das erste Mal, mit viel gemäßigteren, naturwahreren Zügen, und als ihn jemand über seine vermeintliche geringere Laune berief, sagte er ruhig, aus Schröters Loge deutend: „die hohe Obrigkeit ist auf ihrem Posten.""') — Gestand aber schon Jffland auf diese Weise seinen Fehler, wie vielmehr ist er seitdem Allgemeingut der reisenden Schauspieler geworden, und mußte es werden. Jffland ist es, der zuerst in seinen Darstellungen ein Effectspiel aufbrachte, das selbst seine große Künstlernatur oft ganz beherrschte.^) Hat sich der Künstler aber einmal ni mehrmonatlichen Gastspielen an die Unsitte des Affectirens und EsfecthaschenS gewöhnt, wird er da — zurückgekehrt an seinen heimischen Ort, nicht die Art und Weise, die ihn in der Fremde so vielen Beifall ernten ließ, auch bei den heimischen Laren einbürgern wollen? Goethe sprach sich öfters gegen die häufigen Gastspiele aus. Auf den Porwurf, daß er dem Publicum die Bekanntschaft mit fremden Künstlern ent- Lebrnu, band. Theatergesch. ") Tieck, dramatische Briefe, an mehrern Orten. Ed. Devrient, Geschichte der Schausp. in, os. . Grenzboten. II. tL66. i)9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/473>, abgerufen am 21.06.2024.