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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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zöge, sagte er: "Sind sie schlechter als unsre Schauspieler, so wollt ihr sie
nicht sehen, sind sie besser, so sollt ihr nicht." Durch letzteres Mittel wollte er
dem Publicum die einheimischen Mitglieder nicht verleiden. Doch berief er die
bedeutendsten, deren Besitz Weimar doch nicht hoffen konnte, öfters zu Gast¬
spielen, so Jffland, die Unzelmann-Bethmann u, a. Er wollte dabei die Gäste
dem Personal zum Muster und neuen Antrieb, dem Publicum zum Maßstab
des Geschmacks hinstellen. In Weimar, wo unrer Goethes Direction das
tüchtige Zusammenspiel als das Wichtigste erkannt war, für das die fleißigsten
Studien gemacht werden mußten, mochten jene obenerwähnten Uebelstände der
Gastspiele weniger auffallen. Ein Mann, wie Goethe, der schon im Mai 1791
bei Eröffnung des Theaters im Prolog sagen ließ:


"Allein bedenke" wir, daß Harmonie
Des ganzen Spiels allein verdienen kann
Von euch gelobt zu werden, daß ein jeder
Mit jedem stimmen, alle miteinander
Ein schönes Ganze vor Euch stellen sollen,
So reget sich die Furcht in unsrer Brust." . .

und noch deutlicher etwas weiter:


"Denn hier gilt nicht, daß Einer athemlos
dem Andern hastig vorzueilen strebt,
Um einen Kranz für sich hinweg zu haschen" --

ein Mann, der diese Zeilen als Hauptprincip hinstellte und die Macht hatte,
ihre Befolgung.durchzusetzen, konnte auch Uebergriffen der Gäste entgegentreten;
allein ob er seinen Zweck erreichte, und die Gastspiele die heimischen Künstler
neu belebten und anfeuerten, ist doch sehr zu bezweifeln. Nur zu leicht ent¬
steht das Gegentheil, denn auch Künstler, vbwv.l sie häufig genug Engel und
Heilige darzustellen haben, sind doch nur Menschen, die einen Fremden, einen
Eindringling, der sich ohne weiteres über sie stellt, und den daS Publicum oft
ungebührlich erhebt, gewöhnlich mit mißgünstigen Augen betrachten, und wenn
sie überhaupt etwas von ihm lernen, nur zu leicht grabe die Fehler absehen,
weil jener damit seine Haupterfolge erreichte, so daß man getrost von ihnen
sagen kann:


"Wie er sich räuspert, wie er spuckt,
Das habt ihr ihm glücklich abgcgnckt."

Gewiß, die Fälle sind zu zählen, in welchen ein solches Borbild wahren
Eifer und wahre Selbsterkenntniß bei andern erweckt. An diesem Uebelstand ist
das Publicum oft großentheils schuld, indem-es durch allzu ungerechte Partei¬
nahme für den Gast die eignen Bühnenmitqlicder mißmuthig macht, die wol
empfinden, daß man sie auf eine zu unbillige Art fallen läßt. Sind doch, die
wenigsten Theater ausgenommen, überall die Stücke, in denen ein berühmter


zöge, sagte er: „Sind sie schlechter als unsre Schauspieler, so wollt ihr sie
nicht sehen, sind sie besser, so sollt ihr nicht." Durch letzteres Mittel wollte er
dem Publicum die einheimischen Mitglieder nicht verleiden. Doch berief er die
bedeutendsten, deren Besitz Weimar doch nicht hoffen konnte, öfters zu Gast¬
spielen, so Jffland, die Unzelmann-Bethmann u, a. Er wollte dabei die Gäste
dem Personal zum Muster und neuen Antrieb, dem Publicum zum Maßstab
des Geschmacks hinstellen. In Weimar, wo unrer Goethes Direction das
tüchtige Zusammenspiel als das Wichtigste erkannt war, für das die fleißigsten
Studien gemacht werden mußten, mochten jene obenerwähnten Uebelstände der
Gastspiele weniger auffallen. Ein Mann, wie Goethe, der schon im Mai 1791
bei Eröffnung des Theaters im Prolog sagen ließ:


„Allein bedenke» wir, daß Harmonie
Des ganzen Spiels allein verdienen kann
Von euch gelobt zu werden, daß ein jeder
Mit jedem stimmen, alle miteinander
Ein schönes Ganze vor Euch stellen sollen,
So reget sich die Furcht in unsrer Brust." . .

und noch deutlicher etwas weiter:


„Denn hier gilt nicht, daß Einer athemlos
dem Andern hastig vorzueilen strebt,
Um einen Kranz für sich hinweg zu haschen" —

ein Mann, der diese Zeilen als Hauptprincip hinstellte und die Macht hatte,
ihre Befolgung.durchzusetzen, konnte auch Uebergriffen der Gäste entgegentreten;
allein ob er seinen Zweck erreichte, und die Gastspiele die heimischen Künstler
neu belebten und anfeuerten, ist doch sehr zu bezweifeln. Nur zu leicht ent¬
steht das Gegentheil, denn auch Künstler, vbwv.l sie häufig genug Engel und
Heilige darzustellen haben, sind doch nur Menschen, die einen Fremden, einen
Eindringling, der sich ohne weiteres über sie stellt, und den daS Publicum oft
ungebührlich erhebt, gewöhnlich mit mißgünstigen Augen betrachten, und wenn
sie überhaupt etwas von ihm lernen, nur zu leicht grabe die Fehler absehen,
weil jener damit seine Haupterfolge erreichte, so daß man getrost von ihnen
sagen kann:


„Wie er sich räuspert, wie er spuckt,
Das habt ihr ihm glücklich abgcgnckt."

Gewiß, die Fälle sind zu zählen, in welchen ein solches Borbild wahren
Eifer und wahre Selbsterkenntniß bei andern erweckt. An diesem Uebelstand ist
das Publicum oft großentheils schuld, indem-es durch allzu ungerechte Partei¬
nahme für den Gast die eignen Bühnenmitqlicder mißmuthig macht, die wol
empfinden, daß man sie auf eine zu unbillige Art fallen läßt. Sind doch, die
wenigsten Theater ausgenommen, überall die Stücke, in denen ein berühmter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/474>, abgerufen am 21.06.2024.