Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Noch weiter hinauf nimmt die Straße eine völlig andere Physiognomie
an und die Stapelplätze getrockneter Fische, die Garküchen, die schmuzigen
Fleischer und die Gurkenfässer machen Trödelmärkten Platz, wo alte Model,und
allerlei Handwerksgeräth aufgestapelt sind. Sägen und Hobel, Winkelmaße
und Aerte liegen hier zu Tausenden an den Fenstern zum Verkauf. Das
Pflaster vor den Thüren ist bedeckt mit einem Gerümpel alter Tische und
Stühle aus Tannenholz, mit ungeheuren unbehilflichen Sophas, deren Sitz
unter das Gestell gesunken ist und die mit diesen niedcrgesessenen Kissen wie
jene Wagen aussehen, wo die Ladung unter der Achse der Räder liegt. Ferner
sind in den Laven plumpe Armstühle ohne Ueberzug im Neglige grober grauer
Leinwand, altmodische Schenktische, Bambusstühle, deren Rohrbezug sich in seine
Elemente auszulösen im Begriff ist, und die an alte Fischreusen erinnern. Die
Diele aber bedeckt ein Haufen von Federbetten, die zusammengedrückt sind und
Klumpen von Noggenmehlteig gleichen.

Neben den Möbeltrödlern machen sich die Kleidertrödler besonders be¬
merklich, die, wie die Reihen Hosen von englischem Leder oder genarbtem Plüsch,
die Flanelljacken und ähnliche Körperhüllen beweisen, die an ihren Thüren und
Fenstern baumeln, ihre Kunden vorzüglich unter den Arbeitern haben.

Fast vor jeder Thür sitzt eine dicke Jüdin, deren Ohrengehänge so groß
wie ein Mannssinger sind, und deren Hände von goldnen Ringen blitzen.
Die einen putzen alte Messingleuchter, die andern scheuern den Rost und Nuß
von alten Theekesseln. Ihre Hände und Gesichter strotzen mitten in ihrem Putz
von Schmuz. Hier sieht man ein Frauenzimmer, die auf ihrer Haube solche
Büschel künstlicher Blumen hat, wie sie die Kutscher zum ersten Mai ihren
Pferden an die Köpfe stecken, damit beschäftigt, das Fett eins dem Kragen
eines fadenscheinigen Ueberrocks zu ziehen, und dort wichst eine nicht weniger
aufgeputzte Judcndirne ein Paar Schnürstiefeln oder ein Pferdekummt, wäh¬
rend an der Thür dieses Gewölbes mit alten Flaschen und Lumpen, und dieses
gebrechlichen Hauses, dessen Bewohner, nach seinem elenden Aussehen zu ur¬
theilen, keine hundert Schritt vom Armenhause entfernt zu sein scheinen, eine
großartige Modedame mit einem spitzenbesetztem Sonnenschirm in der mit gelben
Handschuhen bekleideten Hand und einem hellgrünen und feuerroth geblümten
Kaschunrshawl sich eben von ihren schmierigen Töchtern verabschiedet.

Sähe man nicht solche Figuren, so würde man sich fragen, was diese selt¬
same Mischung von Lumpen, alten Kleidern, rostigen Kesseln und gichtbrüchigen
Möbeln mit Juwelen uno künstlichen Blumen an den Fenstern von Petticoat
Laue bedeute. Die Leute, die hierher kommen, um zu kaufen oder >zu verkaufen,
sind Arme, und die brauchen keine Ninge und Ohrglocken. Der Lurus, der sich
>n der Straße dem Trödelkram beimischt, ist für die, welche sich von dem Elende
"ber dem Verbrechen der Annen nähren. Wenn alle die alten Betten und


Noch weiter hinauf nimmt die Straße eine völlig andere Physiognomie
an und die Stapelplätze getrockneter Fische, die Garküchen, die schmuzigen
Fleischer und die Gurkenfässer machen Trödelmärkten Platz, wo alte Model,und
allerlei Handwerksgeräth aufgestapelt sind. Sägen und Hobel, Winkelmaße
und Aerte liegen hier zu Tausenden an den Fenstern zum Verkauf. Das
Pflaster vor den Thüren ist bedeckt mit einem Gerümpel alter Tische und
Stühle aus Tannenholz, mit ungeheuren unbehilflichen Sophas, deren Sitz
unter das Gestell gesunken ist und die mit diesen niedcrgesessenen Kissen wie
jene Wagen aussehen, wo die Ladung unter der Achse der Räder liegt. Ferner
sind in den Laven plumpe Armstühle ohne Ueberzug im Neglige grober grauer
Leinwand, altmodische Schenktische, Bambusstühle, deren Rohrbezug sich in seine
Elemente auszulösen im Begriff ist, und die an alte Fischreusen erinnern. Die
Diele aber bedeckt ein Haufen von Federbetten, die zusammengedrückt sind und
Klumpen von Noggenmehlteig gleichen.

Neben den Möbeltrödlern machen sich die Kleidertrödler besonders be¬
merklich, die, wie die Reihen Hosen von englischem Leder oder genarbtem Plüsch,
die Flanelljacken und ähnliche Körperhüllen beweisen, die an ihren Thüren und
Fenstern baumeln, ihre Kunden vorzüglich unter den Arbeitern haben.

Fast vor jeder Thür sitzt eine dicke Jüdin, deren Ohrengehänge so groß
wie ein Mannssinger sind, und deren Hände von goldnen Ringen blitzen.
Die einen putzen alte Messingleuchter, die andern scheuern den Rost und Nuß
von alten Theekesseln. Ihre Hände und Gesichter strotzen mitten in ihrem Putz
von Schmuz. Hier sieht man ein Frauenzimmer, die auf ihrer Haube solche
Büschel künstlicher Blumen hat, wie sie die Kutscher zum ersten Mai ihren
Pferden an die Köpfe stecken, damit beschäftigt, das Fett eins dem Kragen
eines fadenscheinigen Ueberrocks zu ziehen, und dort wichst eine nicht weniger
aufgeputzte Judcndirne ein Paar Schnürstiefeln oder ein Pferdekummt, wäh¬
rend an der Thür dieses Gewölbes mit alten Flaschen und Lumpen, und dieses
gebrechlichen Hauses, dessen Bewohner, nach seinem elenden Aussehen zu ur¬
theilen, keine hundert Schritt vom Armenhause entfernt zu sein scheinen, eine
großartige Modedame mit einem spitzenbesetztem Sonnenschirm in der mit gelben
Handschuhen bekleideten Hand und einem hellgrünen und feuerroth geblümten
Kaschunrshawl sich eben von ihren schmierigen Töchtern verabschiedet.

Sähe man nicht solche Figuren, so würde man sich fragen, was diese selt¬
same Mischung von Lumpen, alten Kleidern, rostigen Kesseln und gichtbrüchigen
Möbeln mit Juwelen uno künstlichen Blumen an den Fenstern von Petticoat
Laue bedeute. Die Leute, die hierher kommen, um zu kaufen oder >zu verkaufen,
sind Arme, und die brauchen keine Ninge und Ohrglocken. Der Lurus, der sich
>n der Straße dem Trödelkram beimischt, ist für die, welche sich von dem Elende
"ber dem Verbrechen der Annen nähren. Wenn alle die alten Betten und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101990"/>
            <p xml:id="ID_1269"> Noch weiter hinauf nimmt die Straße eine völlig andere Physiognomie<lb/>
an und die Stapelplätze getrockneter Fische, die Garküchen, die schmuzigen<lb/>
Fleischer und die Gurkenfässer machen Trödelmärkten Platz, wo alte Model,und<lb/>
allerlei Handwerksgeräth aufgestapelt sind. Sägen und Hobel, Winkelmaße<lb/>
und Aerte liegen hier zu Tausenden an den Fenstern zum Verkauf. Das<lb/>
Pflaster vor den Thüren ist bedeckt mit einem Gerümpel alter Tische und<lb/>
Stühle aus Tannenholz, mit ungeheuren unbehilflichen Sophas, deren Sitz<lb/>
unter das Gestell gesunken ist und die mit diesen niedcrgesessenen Kissen wie<lb/>
jene Wagen aussehen, wo die Ladung unter der Achse der Räder liegt. Ferner<lb/>
sind in den Laven plumpe Armstühle ohne Ueberzug im Neglige grober grauer<lb/>
Leinwand, altmodische Schenktische, Bambusstühle, deren Rohrbezug sich in seine<lb/>
Elemente auszulösen im Begriff ist, und die an alte Fischreusen erinnern. Die<lb/>
Diele aber bedeckt ein Haufen von Federbetten, die zusammengedrückt sind und<lb/>
Klumpen von Noggenmehlteig gleichen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1270"> Neben den Möbeltrödlern machen sich die Kleidertrödler besonders be¬<lb/>
merklich, die, wie die Reihen Hosen von englischem Leder oder genarbtem Plüsch,<lb/>
die Flanelljacken und ähnliche Körperhüllen beweisen, die an ihren Thüren und<lb/>
Fenstern baumeln, ihre Kunden vorzüglich unter den Arbeitern haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1271"> Fast vor jeder Thür sitzt eine dicke Jüdin, deren Ohrengehänge so groß<lb/>
wie ein Mannssinger sind, und deren Hände von goldnen Ringen blitzen.<lb/>
Die einen putzen alte Messingleuchter, die andern scheuern den Rost und Nuß<lb/>
von alten Theekesseln. Ihre Hände und Gesichter strotzen mitten in ihrem Putz<lb/>
von Schmuz. Hier sieht man ein Frauenzimmer, die auf ihrer Haube solche<lb/>
Büschel künstlicher Blumen hat, wie sie die Kutscher zum ersten Mai ihren<lb/>
Pferden an die Köpfe stecken, damit beschäftigt, das Fett eins dem Kragen<lb/>
eines fadenscheinigen Ueberrocks zu ziehen, und dort wichst eine nicht weniger<lb/>
aufgeputzte Judcndirne ein Paar Schnürstiefeln oder ein Pferdekummt, wäh¬<lb/>
rend an der Thür dieses Gewölbes mit alten Flaschen und Lumpen, und dieses<lb/>
gebrechlichen Hauses, dessen Bewohner, nach seinem elenden Aussehen zu ur¬<lb/>
theilen, keine hundert Schritt vom Armenhause entfernt zu sein scheinen, eine<lb/>
großartige Modedame mit einem spitzenbesetztem Sonnenschirm in der mit gelben<lb/>
Handschuhen bekleideten Hand und einem hellgrünen und feuerroth geblümten<lb/>
Kaschunrshawl sich eben von ihren schmierigen Töchtern verabschiedet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1272" next="#ID_1273"> Sähe man nicht solche Figuren, so würde man sich fragen, was diese selt¬<lb/>
same Mischung von Lumpen, alten Kleidern, rostigen Kesseln und gichtbrüchigen<lb/>
Möbeln mit Juwelen uno künstlichen Blumen an den Fenstern von Petticoat<lb/>
Laue bedeute. Die Leute, die hierher kommen, um zu kaufen oder &gt;zu verkaufen,<lb/>
sind Arme, und die brauchen keine Ninge und Ohrglocken. Der Lurus, der sich<lb/>
&gt;n der Straße dem Trödelkram beimischt, ist für die, welche sich von dem Elende<lb/>
"ber dem Verbrechen der Annen nähren.  Wenn alle die alten Betten und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Noch weiter hinauf nimmt die Straße eine völlig andere Physiognomie an und die Stapelplätze getrockneter Fische, die Garküchen, die schmuzigen Fleischer und die Gurkenfässer machen Trödelmärkten Platz, wo alte Model,und allerlei Handwerksgeräth aufgestapelt sind. Sägen und Hobel, Winkelmaße und Aerte liegen hier zu Tausenden an den Fenstern zum Verkauf. Das Pflaster vor den Thüren ist bedeckt mit einem Gerümpel alter Tische und Stühle aus Tannenholz, mit ungeheuren unbehilflichen Sophas, deren Sitz unter das Gestell gesunken ist und die mit diesen niedcrgesessenen Kissen wie jene Wagen aussehen, wo die Ladung unter der Achse der Räder liegt. Ferner sind in den Laven plumpe Armstühle ohne Ueberzug im Neglige grober grauer Leinwand, altmodische Schenktische, Bambusstühle, deren Rohrbezug sich in seine Elemente auszulösen im Begriff ist, und die an alte Fischreusen erinnern. Die Diele aber bedeckt ein Haufen von Federbetten, die zusammengedrückt sind und Klumpen von Noggenmehlteig gleichen. Neben den Möbeltrödlern machen sich die Kleidertrödler besonders be¬ merklich, die, wie die Reihen Hosen von englischem Leder oder genarbtem Plüsch, die Flanelljacken und ähnliche Körperhüllen beweisen, die an ihren Thüren und Fenstern baumeln, ihre Kunden vorzüglich unter den Arbeitern haben. Fast vor jeder Thür sitzt eine dicke Jüdin, deren Ohrengehänge so groß wie ein Mannssinger sind, und deren Hände von goldnen Ringen blitzen. Die einen putzen alte Messingleuchter, die andern scheuern den Rost und Nuß von alten Theekesseln. Ihre Hände und Gesichter strotzen mitten in ihrem Putz von Schmuz. Hier sieht man ein Frauenzimmer, die auf ihrer Haube solche Büschel künstlicher Blumen hat, wie sie die Kutscher zum ersten Mai ihren Pferden an die Köpfe stecken, damit beschäftigt, das Fett eins dem Kragen eines fadenscheinigen Ueberrocks zu ziehen, und dort wichst eine nicht weniger aufgeputzte Judcndirne ein Paar Schnürstiefeln oder ein Pferdekummt, wäh¬ rend an der Thür dieses Gewölbes mit alten Flaschen und Lumpen, und dieses gebrechlichen Hauses, dessen Bewohner, nach seinem elenden Aussehen zu ur¬ theilen, keine hundert Schritt vom Armenhause entfernt zu sein scheinen, eine großartige Modedame mit einem spitzenbesetztem Sonnenschirm in der mit gelben Handschuhen bekleideten Hand und einem hellgrünen und feuerroth geblümten Kaschunrshawl sich eben von ihren schmierigen Töchtern verabschiedet. Sähe man nicht solche Figuren, so würde man sich fragen, was diese selt¬ same Mischung von Lumpen, alten Kleidern, rostigen Kesseln und gichtbrüchigen Möbeln mit Juwelen uno künstlichen Blumen an den Fenstern von Petticoat Laue bedeute. Die Leute, die hierher kommen, um zu kaufen oder >zu verkaufen, sind Arme, und die brauchen keine Ninge und Ohrglocken. Der Lurus, der sich >n der Straße dem Trödelkram beimischt, ist für die, welche sich von dem Elende "ber dem Verbrechen der Annen nähren. Wenn alle die alten Betten und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/463>, abgerufen am 21.06.2024.