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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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gensatz der Regentstreet aufzufassen, als Brennpunkt alles Gemeinen und
Lumpigen, als Centrum der unfashionabcln Welt zu betrachten ist, nur wenig
von den Straßen in ihrer Nachbarschaft. Sie ist so eng und so dunkel wie
diese und ist von denselben Sackgäßchen unterbrochen, wie diese. Weiter
hin aber kommen ihre charakteristischen Merkmale mehr zu Tage. In den
Rinnsteinen haben sich Schmuz und sein Feind, der Seifenschaum, friedlich neben¬
einander abgelagert. Auf den Schwellen und Treppenstufen sitzen Weibsbilder
mit ungekannten Haaren, und vor den Häusern spielen Gruppen von Knaben
mit scharfgeschnittnen Nasen, einige in Männerröcken, deren Aermel in die
Höhe gestreift sind, während die Schöße auf dem Pflaster schleppen, andere
in Hosen,' die unten aufgerollt und oben mit Bindfaden bis unter die Arme
heraufgezogen sind.

In einem andern Seitengäßchen erblickt man Weiber, die eine alte französische
Bettstelle auskratzen, welche über den halben Hof weggeht, und daneben sind
andere, die ein Bettinlet von der Farbe mit Milch gemischten Kaffees ausklopfen,
ehe es in das Möbelmagazin oben geschafft wird. Im Hofe gegenüber steht
vielleicht ein eben geöffnetes Faß uralter Heringe, während- an der Mauer d>>
aufgeschlitztem Leiber von Stockfischen trocknen. Ein Stück weiter hinauf scheint die
Gasse sich vorzüglich der Zubereitung solcher Eßwaaren zu widmen, welche die
Jsraeliten besonders lieben. Beinahe ein Haus um das andere enthält ein
"Etablissement", wo gebratne Fische verkauft werden, die Luft ist dick von Dämpfen
gesottenen Oels und'während man weiter geht, hört man das Zischen 'und
Prasseln der schmorenden Schollen und Goldbutten, während Weiber mit
glühend rothen Wangen, orientalischen Habichtsnasen und fcttgetränkten Schür¬
zen, ,die dampfende Bratpfanne in der Hand, hin und her laufen. Die Ver-
kaufSbretcr der Garküchen stehen voll von Schüsseln mit frischgebratenen Fischen,
die so braun wie der Boden eines frisch mit Sand bestreuten'Vogelbauers
aussehen, und neben diesen stehen Austerfässer, gefüllt mit eingelegten Gurken,
die in der Essigbrühe wie ungeheure sette Raupen liegen.

Gemische mit diesem trifft man ferner seltsame Fleischerladen, an deren
Haken kleine, blutlos bleiche Fleischstücken hängen. An jedes ist ein blechernes
Zeichen befestigt --das Siegel des Rabbiners,, womit er bezeugt, daß das Thier,
von dem daS Fleisch kommt, nach dem vorgeschriebenen Gebrauch geschlachtet
worden ist. Die Fleischer, die man hier sieht, sind die einzigen Glieder ihres
Handwerks, die in London dem Genius'der llnreinlichkeit treu geblieben sind-

Die Bäckerladen in dieser Gegend haben ebenfalls ein anderes Gepräge,
als in andern Theilen der Stadt. Die Haare und Augenbrauen der Bäcker¬
meister sind in ungewöhnlichem Grade mit Mehl bestäubt, so daß sie dem
grotesken Bilde gleichen, welches ein gepuderter jüdischer Bedienter in Bclgravia
liefern würde.


gensatz der Regentstreet aufzufassen, als Brennpunkt alles Gemeinen und
Lumpigen, als Centrum der unfashionabcln Welt zu betrachten ist, nur wenig
von den Straßen in ihrer Nachbarschaft. Sie ist so eng und so dunkel wie
diese und ist von denselben Sackgäßchen unterbrochen, wie diese. Weiter
hin aber kommen ihre charakteristischen Merkmale mehr zu Tage. In den
Rinnsteinen haben sich Schmuz und sein Feind, der Seifenschaum, friedlich neben¬
einander abgelagert. Auf den Schwellen und Treppenstufen sitzen Weibsbilder
mit ungekannten Haaren, und vor den Häusern spielen Gruppen von Knaben
mit scharfgeschnittnen Nasen, einige in Männerröcken, deren Aermel in die
Höhe gestreift sind, während die Schöße auf dem Pflaster schleppen, andere
in Hosen,' die unten aufgerollt und oben mit Bindfaden bis unter die Arme
heraufgezogen sind.

In einem andern Seitengäßchen erblickt man Weiber, die eine alte französische
Bettstelle auskratzen, welche über den halben Hof weggeht, und daneben sind
andere, die ein Bettinlet von der Farbe mit Milch gemischten Kaffees ausklopfen,
ehe es in das Möbelmagazin oben geschafft wird. Im Hofe gegenüber steht
vielleicht ein eben geöffnetes Faß uralter Heringe, während- an der Mauer d>>
aufgeschlitztem Leiber von Stockfischen trocknen. Ein Stück weiter hinauf scheint die
Gasse sich vorzüglich der Zubereitung solcher Eßwaaren zu widmen, welche die
Jsraeliten besonders lieben. Beinahe ein Haus um das andere enthält ein
„Etablissement", wo gebratne Fische verkauft werden, die Luft ist dick von Dämpfen
gesottenen Oels und'während man weiter geht, hört man das Zischen 'und
Prasseln der schmorenden Schollen und Goldbutten, während Weiber mit
glühend rothen Wangen, orientalischen Habichtsnasen und fcttgetränkten Schür¬
zen, ,die dampfende Bratpfanne in der Hand, hin und her laufen. Die Ver-
kaufSbretcr der Garküchen stehen voll von Schüsseln mit frischgebratenen Fischen,
die so braun wie der Boden eines frisch mit Sand bestreuten'Vogelbauers
aussehen, und neben diesen stehen Austerfässer, gefüllt mit eingelegten Gurken,
die in der Essigbrühe wie ungeheure sette Raupen liegen.

Gemische mit diesem trifft man ferner seltsame Fleischerladen, an deren
Haken kleine, blutlos bleiche Fleischstücken hängen. An jedes ist ein blechernes
Zeichen befestigt —das Siegel des Rabbiners,, womit er bezeugt, daß das Thier,
von dem daS Fleisch kommt, nach dem vorgeschriebenen Gebrauch geschlachtet
worden ist. Die Fleischer, die man hier sieht, sind die einzigen Glieder ihres
Handwerks, die in London dem Genius'der llnreinlichkeit treu geblieben sind-

Die Bäckerladen in dieser Gegend haben ebenfalls ein anderes Gepräge,
als in andern Theilen der Stadt. Die Haare und Augenbrauen der Bäcker¬
meister sind in ungewöhnlichem Grade mit Mehl bestäubt, so daß sie dem
grotesken Bilde gleichen, welches ein gepuderter jüdischer Bedienter in Bclgravia
liefern würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/462>, abgerufen am 21.06.2024.