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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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hören oder das Gewinsel eines Leierkastens bricht aus, während das Trio von
Bänkelsängern, das seinen Spuren folgt, sich die erschöpften Lungen ausruht.

Ein Tisch ist grün und weiß von Nübenbündeln, ein andrer roth von
Aepfeln, ein dritter gelb von Zwiebeln, ein vierter purpurblau von Nothkraut.
In diesem Augenblicke schreitet ein Mann mit einem Regenschirme vorbei,
dessen innere Seite nach außen gekehrt und mit Anzeigen beklebt ist. Dann
fahrt man zusammen von dem plötzlichen Knacken der Zündhütchen auf den
Gewehren, mit denen Knaben an der Ecke der Straße nach der Scheibe
schießen, und dann wieder hört man den Ausrufer vor der Thüre eines Penny-
concerts die Vorübergehenden eindringlich ernähren, sich mit dem Eintritt zu
sputen, da Mr. Somebody eben daran ist, das beliebte Lied vom Scheren¬
schleifer zu singen.

Hier wieder ist ein Perkaufstisch mit neuen Blcchpfannen, dort ein anderer
mit blauem und gelbem Steingut und blitzenden Glaswaaren. Dann geht man
an einer Reihe alter Stiefeln vorbei, und dann an einem Laden mit rothen
Taschentüchern und gestreiften Hemden, hinter denen Knaben die Kunden
herbeirufen. An der' Thür eines Theeladens steht ein Mann, umstrahlt von
hundert Lichtkugeln, um den Leuten ihre Rechnungen auszutheilen, wobei er
"dem Publicum für bisher bewiesene Gunst dankt" und alle Concurrenz zu ver¬
achten betheuert. Hier an der Straße hin befinden sich ein Dutzend Glieder-
Puppen, lvie sie die Schneider zur Ausstellung ihrer Waaren verwenden. Sie
haben keine Köpfe, sind in sogenannte Chcsterfieldjacken von grobem Stoff
gekleidet'und tragen auf der Brust Zettelchen mit Inschriften wie "Sehen Sie
auf den Preis!" oder "Bedenken Sie die Qualität!" Und hier wieder Passiren
wir "an einem Fleischladen vorbei, wo Rippenstücken und Keulen, Zungen und
Schinken bis an die Decke aufgeschichtet sind, und vor welchen der Fleischer
>n seinem blauen Rocke, das Messer an dem von seiner Hüfte herabhängenden
Stahle wetzend, hin und hergeht und zu jeder vorüberwandelnden Frau sagt:
"Was kann ich für Sie thun, meine Liebe?"

Ehe man diesen Tumult und dieses Gedränge selbst gesehen hat, ist es
unmöglich, sich einen Begriff von der Anstrengung und dem Kampfe zu machen,
den eS kostet, den Penny Prosit aus dem Sonntagsmahle des armen Mannes
>n London zu erringen, von dem daselbst Tausende leben.

Zum Schlüsse sei uns gestattet, unserm Führer noch in ein Quartier zu
folgen, welches, wenn jener Hof in Houndsditch die Börse der Lumpensammler
'se, ohne Bedenken als die Börse der londoner Diebe bezeichnet werden kann,
^user Bild von dem Leben auf den Straßen der britischen Metropole würde
unvollständig sein, wenn wir nicht einen Blick in die Diebshehlerstraße thun
wollten, welche einst Petticoat Lane, jetzt anständiger Middleser Street heißt.

Anfänglich unterscheidet sich die Petticoat Leine, welches als absoluter Ge-


hören oder das Gewinsel eines Leierkastens bricht aus, während das Trio von
Bänkelsängern, das seinen Spuren folgt, sich die erschöpften Lungen ausruht.

Ein Tisch ist grün und weiß von Nübenbündeln, ein andrer roth von
Aepfeln, ein dritter gelb von Zwiebeln, ein vierter purpurblau von Nothkraut.
In diesem Augenblicke schreitet ein Mann mit einem Regenschirme vorbei,
dessen innere Seite nach außen gekehrt und mit Anzeigen beklebt ist. Dann
fahrt man zusammen von dem plötzlichen Knacken der Zündhütchen auf den
Gewehren, mit denen Knaben an der Ecke der Straße nach der Scheibe
schießen, und dann wieder hört man den Ausrufer vor der Thüre eines Penny-
concerts die Vorübergehenden eindringlich ernähren, sich mit dem Eintritt zu
sputen, da Mr. Somebody eben daran ist, das beliebte Lied vom Scheren¬
schleifer zu singen.

Hier wieder ist ein Perkaufstisch mit neuen Blcchpfannen, dort ein anderer
mit blauem und gelbem Steingut und blitzenden Glaswaaren. Dann geht man
an einer Reihe alter Stiefeln vorbei, und dann an einem Laden mit rothen
Taschentüchern und gestreiften Hemden, hinter denen Knaben die Kunden
herbeirufen. An der' Thür eines Theeladens steht ein Mann, umstrahlt von
hundert Lichtkugeln, um den Leuten ihre Rechnungen auszutheilen, wobei er
„dem Publicum für bisher bewiesene Gunst dankt" und alle Concurrenz zu ver¬
achten betheuert. Hier an der Straße hin befinden sich ein Dutzend Glieder-
Puppen, lvie sie die Schneider zur Ausstellung ihrer Waaren verwenden. Sie
haben keine Köpfe, sind in sogenannte Chcsterfieldjacken von grobem Stoff
gekleidet'und tragen auf der Brust Zettelchen mit Inschriften wie „Sehen Sie
auf den Preis!" oder „Bedenken Sie die Qualität!" Und hier wieder Passiren
wir «an einem Fleischladen vorbei, wo Rippenstücken und Keulen, Zungen und
Schinken bis an die Decke aufgeschichtet sind, und vor welchen der Fleischer
>n seinem blauen Rocke, das Messer an dem von seiner Hüfte herabhängenden
Stahle wetzend, hin und hergeht und zu jeder vorüberwandelnden Frau sagt:
„Was kann ich für Sie thun, meine Liebe?"

Ehe man diesen Tumult und dieses Gedränge selbst gesehen hat, ist es
unmöglich, sich einen Begriff von der Anstrengung und dem Kampfe zu machen,
den eS kostet, den Penny Prosit aus dem Sonntagsmahle des armen Mannes
>n London zu erringen, von dem daselbst Tausende leben.

Zum Schlüsse sei uns gestattet, unserm Führer noch in ein Quartier zu
folgen, welches, wenn jener Hof in Houndsditch die Börse der Lumpensammler
'se, ohne Bedenken als die Börse der londoner Diebe bezeichnet werden kann,
^user Bild von dem Leben auf den Straßen der britischen Metropole würde
unvollständig sein, wenn wir nicht einen Blick in die Diebshehlerstraße thun
wollten, welche einst Petticoat Lane, jetzt anständiger Middleser Street heißt.

Anfänglich unterscheidet sich die Petticoat Leine, welches als absoluter Ge-


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[0461] hören oder das Gewinsel eines Leierkastens bricht aus, während das Trio von Bänkelsängern, das seinen Spuren folgt, sich die erschöpften Lungen ausruht. Ein Tisch ist grün und weiß von Nübenbündeln, ein andrer roth von Aepfeln, ein dritter gelb von Zwiebeln, ein vierter purpurblau von Nothkraut. In diesem Augenblicke schreitet ein Mann mit einem Regenschirme vorbei, dessen innere Seite nach außen gekehrt und mit Anzeigen beklebt ist. Dann fahrt man zusammen von dem plötzlichen Knacken der Zündhütchen auf den Gewehren, mit denen Knaben an der Ecke der Straße nach der Scheibe schießen, und dann wieder hört man den Ausrufer vor der Thüre eines Penny- concerts die Vorübergehenden eindringlich ernähren, sich mit dem Eintritt zu sputen, da Mr. Somebody eben daran ist, das beliebte Lied vom Scheren¬ schleifer zu singen. Hier wieder ist ein Perkaufstisch mit neuen Blcchpfannen, dort ein anderer mit blauem und gelbem Steingut und blitzenden Glaswaaren. Dann geht man an einer Reihe alter Stiefeln vorbei, und dann an einem Laden mit rothen Taschentüchern und gestreiften Hemden, hinter denen Knaben die Kunden herbeirufen. An der' Thür eines Theeladens steht ein Mann, umstrahlt von hundert Lichtkugeln, um den Leuten ihre Rechnungen auszutheilen, wobei er „dem Publicum für bisher bewiesene Gunst dankt" und alle Concurrenz zu ver¬ achten betheuert. Hier an der Straße hin befinden sich ein Dutzend Glieder- Puppen, lvie sie die Schneider zur Ausstellung ihrer Waaren verwenden. Sie haben keine Köpfe, sind in sogenannte Chcsterfieldjacken von grobem Stoff gekleidet'und tragen auf der Brust Zettelchen mit Inschriften wie „Sehen Sie auf den Preis!" oder „Bedenken Sie die Qualität!" Und hier wieder Passiren wir «an einem Fleischladen vorbei, wo Rippenstücken und Keulen, Zungen und Schinken bis an die Decke aufgeschichtet sind, und vor welchen der Fleischer >n seinem blauen Rocke, das Messer an dem von seiner Hüfte herabhängenden Stahle wetzend, hin und hergeht und zu jeder vorüberwandelnden Frau sagt: „Was kann ich für Sie thun, meine Liebe?" Ehe man diesen Tumult und dieses Gedränge selbst gesehen hat, ist es unmöglich, sich einen Begriff von der Anstrengung und dem Kampfe zu machen, den eS kostet, den Penny Prosit aus dem Sonntagsmahle des armen Mannes >n London zu erringen, von dem daselbst Tausende leben. Zum Schlüsse sei uns gestattet, unserm Führer noch in ein Quartier zu folgen, welches, wenn jener Hof in Houndsditch die Börse der Lumpensammler 'se, ohne Bedenken als die Börse der londoner Diebe bezeichnet werden kann, ^user Bild von dem Leben auf den Straßen der britischen Metropole würde unvollständig sein, wenn wir nicht einen Blick in die Diebshehlerstraße thun wollten, welche einst Petticoat Lane, jetzt anständiger Middleser Street heißt. Anfänglich unterscheidet sich die Petticoat Leine, welches als absoluter Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/461>, abgerufen am 21.06.2024.