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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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arbeitn- sich ausbreiten. Mincing Lane ist der Sitz der Großhändler in
Materialwaaren. In der Lower Thomas Street ist der Handel mit Orangen
und ausländischem Obst vorwiegend u. s. w. >

Eine der am schärfsten ausgeprägten Physiognomien ist die der Gegenden
in der Nachbarschaft der Docks. Die Straßen haben in diesen, Stadttheile
alle mehr oder minder einen seemännischen Charakter. Die Läden sind der
Mehrzahl nach mit den Bedürfnissen der Matrosen gefüllt. Die Schaufenster
zeigen Quadranten und Sertanten von blitzendem Messing, Chronometer und
Fernröhre, während über der Thür die gewaltige Figur eines Seeoffiziers mit
einem dreieckigen Hute unverwandten Blicks jahraus jahrein den Leuten im
ersten Stock des gegenüberliegenden Hauses in die Fenster starrt. Dann
kommen die Märkte, wo die Matrosen wohlfeile Schuhe kaufen, die Schenken,
welche fast alle "Zur lustigen Theerjacke" heißen, die gewöhnlich "Matrosen-
Heimath" getauften Herbergen für Seeleute, wo hinter dem Schenktisch fort¬
während freies Concert ist. Ferner sind hier die Segelmacher, deren Läden
Massen von Tauwerk füllen und wo ein durchdringender Theergeruch die
Nase beleidigt. Alle Materialisten in dieser Gegend sind sogenannte "Provision
ktxents", in ihren Fenstern stehen Büchsen mit eingemachten Gemüsen und
jeder Artikel "wird garantirt, sich in jedem Klima zu halten". Das Pri¬
vilegium, an den Ecken der Straßen zu wohnen, scheinen die "Slnpssllors/'
d.h. die Verkäufer billiger fertiger Kleider zu haben. Ihre Fenster hängen voll
rothe und blaue Wollenhemden, die Thüren sind fast ganz versperrt mit wohlge-
vlten Norwestern, die Front des Hauses nehmen zahllose Hosen von Segeltuch,
grobe Lootscnröcke und sogenannte Peajackets ein. Schon die Fußgänger, die
mit dem Wackelschritt, der dem Seemann eigen ist, durch die Straßen schlendern,
die Steuermänner in glänzenden Westen von schwarzem Atlas, die schwarzen
Matrosen mit großen Pelzmützen auf den Köpfen und die Steuerofficianten
mir ihren Messingknöpfen auf den Jacken würden dem Fremden sagen, daß er
sich in der maritimen Sphäre Londons befindet.

Sehr interessant auch ist ein Blick auf den Marktverkehr, der namentlich
an Sonnabenden auf manchen Gassen äußerst lebhast ist. Dann nämlich
kaufen die arbeitenden Classen, die ihren Lohn bekommen haben, ihr Sonn¬
tagsmahl ein, und das Gedränge ist dann an manchen Punkten kaum zum
Durchkommen. Das Schauspiel, das der Beobachter hier hat, trägt mehr den
Charakter eines Jahrmarkts als eines Wochenmarkts. Hunderte von Verkaufs¬
tischen sind aufgestellt und jeder hat seine zwei Lichter, entweder die neu¬
modische Gaslampe mit ihrem milchweißen Lichte oder die rothbrennende rau¬
chige Thranlampe der alten aMcn Zeit. Der eine zeigt seine gelben Schellfische
vermittelst einer Kerze, die in ein Bündel Feuerholz gesteckt ist, der Nachbar
hat sich aus einersungeheuern Rübe einen Leuchter gemacht und das Unschlitt


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arbeitn- sich ausbreiten. Mincing Lane ist der Sitz der Großhändler in
Materialwaaren. In der Lower Thomas Street ist der Handel mit Orangen
und ausländischem Obst vorwiegend u. s. w. >

Eine der am schärfsten ausgeprägten Physiognomien ist die der Gegenden
in der Nachbarschaft der Docks. Die Straßen haben in diesen, Stadttheile
alle mehr oder minder einen seemännischen Charakter. Die Läden sind der
Mehrzahl nach mit den Bedürfnissen der Matrosen gefüllt. Die Schaufenster
zeigen Quadranten und Sertanten von blitzendem Messing, Chronometer und
Fernröhre, während über der Thür die gewaltige Figur eines Seeoffiziers mit
einem dreieckigen Hute unverwandten Blicks jahraus jahrein den Leuten im
ersten Stock des gegenüberliegenden Hauses in die Fenster starrt. Dann
kommen die Märkte, wo die Matrosen wohlfeile Schuhe kaufen, die Schenken,
welche fast alle „Zur lustigen Theerjacke" heißen, die gewöhnlich „Matrosen-
Heimath" getauften Herbergen für Seeleute, wo hinter dem Schenktisch fort¬
während freies Concert ist. Ferner sind hier die Segelmacher, deren Läden
Massen von Tauwerk füllen und wo ein durchdringender Theergeruch die
Nase beleidigt. Alle Materialisten in dieser Gegend sind sogenannte „Provision
ktxents", in ihren Fenstern stehen Büchsen mit eingemachten Gemüsen und
jeder Artikel „wird garantirt, sich in jedem Klima zu halten". Das Pri¬
vilegium, an den Ecken der Straßen zu wohnen, scheinen die „Slnpssllors/'
d.h. die Verkäufer billiger fertiger Kleider zu haben. Ihre Fenster hängen voll
rothe und blaue Wollenhemden, die Thüren sind fast ganz versperrt mit wohlge-
vlten Norwestern, die Front des Hauses nehmen zahllose Hosen von Segeltuch,
grobe Lootscnröcke und sogenannte Peajackets ein. Schon die Fußgänger, die
mit dem Wackelschritt, der dem Seemann eigen ist, durch die Straßen schlendern,
die Steuermänner in glänzenden Westen von schwarzem Atlas, die schwarzen
Matrosen mit großen Pelzmützen auf den Köpfen und die Steuerofficianten
mir ihren Messingknöpfen auf den Jacken würden dem Fremden sagen, daß er
sich in der maritimen Sphäre Londons befindet.

Sehr interessant auch ist ein Blick auf den Marktverkehr, der namentlich
an Sonnabenden auf manchen Gassen äußerst lebhast ist. Dann nämlich
kaufen die arbeitenden Classen, die ihren Lohn bekommen haben, ihr Sonn¬
tagsmahl ein, und das Gedränge ist dann an manchen Punkten kaum zum
Durchkommen. Das Schauspiel, das der Beobachter hier hat, trägt mehr den
Charakter eines Jahrmarkts als eines Wochenmarkts. Hunderte von Verkaufs¬
tischen sind aufgestellt und jeder hat seine zwei Lichter, entweder die neu¬
modische Gaslampe mit ihrem milchweißen Lichte oder die rothbrennende rau¬
chige Thranlampe der alten aMcn Zeit. Der eine zeigt seine gelben Schellfische
vermittelst einer Kerze, die in ein Bündel Feuerholz gesteckt ist, der Nachbar
hat sich aus einersungeheuern Rübe einen Leuchter gemacht und das Unschlitt


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[0459] arbeitn- sich ausbreiten. Mincing Lane ist der Sitz der Großhändler in Materialwaaren. In der Lower Thomas Street ist der Handel mit Orangen und ausländischem Obst vorwiegend u. s. w. > Eine der am schärfsten ausgeprägten Physiognomien ist die der Gegenden in der Nachbarschaft der Docks. Die Straßen haben in diesen, Stadttheile alle mehr oder minder einen seemännischen Charakter. Die Läden sind der Mehrzahl nach mit den Bedürfnissen der Matrosen gefüllt. Die Schaufenster zeigen Quadranten und Sertanten von blitzendem Messing, Chronometer und Fernröhre, während über der Thür die gewaltige Figur eines Seeoffiziers mit einem dreieckigen Hute unverwandten Blicks jahraus jahrein den Leuten im ersten Stock des gegenüberliegenden Hauses in die Fenster starrt. Dann kommen die Märkte, wo die Matrosen wohlfeile Schuhe kaufen, die Schenken, welche fast alle „Zur lustigen Theerjacke" heißen, die gewöhnlich „Matrosen- Heimath" getauften Herbergen für Seeleute, wo hinter dem Schenktisch fort¬ während freies Concert ist. Ferner sind hier die Segelmacher, deren Läden Massen von Tauwerk füllen und wo ein durchdringender Theergeruch die Nase beleidigt. Alle Materialisten in dieser Gegend sind sogenannte „Provision ktxents", in ihren Fenstern stehen Büchsen mit eingemachten Gemüsen und jeder Artikel „wird garantirt, sich in jedem Klima zu halten". Das Pri¬ vilegium, an den Ecken der Straßen zu wohnen, scheinen die „Slnpssllors/' d.h. die Verkäufer billiger fertiger Kleider zu haben. Ihre Fenster hängen voll rothe und blaue Wollenhemden, die Thüren sind fast ganz versperrt mit wohlge- vlten Norwestern, die Front des Hauses nehmen zahllose Hosen von Segeltuch, grobe Lootscnröcke und sogenannte Peajackets ein. Schon die Fußgänger, die mit dem Wackelschritt, der dem Seemann eigen ist, durch die Straßen schlendern, die Steuermänner in glänzenden Westen von schwarzem Atlas, die schwarzen Matrosen mit großen Pelzmützen auf den Köpfen und die Steuerofficianten mir ihren Messingknöpfen auf den Jacken würden dem Fremden sagen, daß er sich in der maritimen Sphäre Londons befindet. Sehr interessant auch ist ein Blick auf den Marktverkehr, der namentlich an Sonnabenden auf manchen Gassen äußerst lebhast ist. Dann nämlich kaufen die arbeitenden Classen, die ihren Lohn bekommen haben, ihr Sonn¬ tagsmahl ein, und das Gedränge ist dann an manchen Punkten kaum zum Durchkommen. Das Schauspiel, das der Beobachter hier hat, trägt mehr den Charakter eines Jahrmarkts als eines Wochenmarkts. Hunderte von Verkaufs¬ tischen sind aufgestellt und jeder hat seine zwei Lichter, entweder die neu¬ modische Gaslampe mit ihrem milchweißen Lichte oder die rothbrennende rau¬ chige Thranlampe der alten aMcn Zeit. Der eine zeigt seine gelben Schellfische vermittelst einer Kerze, die in ein Bündel Feuerholz gesteckt ist, der Nachbar hat sich aus einersungeheuern Rübe einen Leuchter gemacht und das Unschlitt 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/459>, abgerufen am 21.06.2024.