Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gutes sich mit weitrauchenden Schornsteinen erheben, und sie dürfen nur bis
zum benachbarten Dorfe gehn, um ihr Herz, mit Neid zu erfüllen. Und sie
sehen hier das eigne H>uns und Leben. Hier mangelt alles Hirschauer, auf
selbsterschaffenes Glück, und daher jede Poesie, jeder erhebende Ausdruck eines
menschlichen Gefühls. Es sind zwei oder drei von den Polen erlernte Lieder,
eines vom Ziegenbock, das andre von den Franzosen.und noch ein drittes be¬
liebiges: diese singt der Masur mitunter trübe und alleinstimmig vor sich hin
und weiß nach Beendigung des schlechten Liedes nicht, daß er gesungen hat.
Düster und in sich gekehrt sitzt er da, und zum höchsten Genuß an seinen
Fischen nagend, denkt er an die vollen" Scheuern des Gutsherrn und an die
gehäuften Schüsseln reicher deutscher Bauern. Sogar nach der Stadt führt ihn oft
der Verkauf der besten Fische, besonders der Muräne; und es ist leicht zu er¬
klären, daß die Anschauungen, die er in der Stadt gewinnt, seine Unzufrieden¬
heit, seinen Neid, seinen Groll gegen das Schicksal vermehren müssen. Daher
ist der Masur von Natur scheu und hat einen bösen Blick; man traut ihm
nicht viel Gutes zu, und man darf ihm in der That nicht zu sehr trauen. --
Alles, was diese Leute von Märchen sich erzählen, sind Räubergeschichten, Ge¬
schichten von Todtschlag reicher Herrn, von Beraubung begüterter Nachbarn
und ähnliche. Hier und" da taucht eine Sage auf, in welcher Weise sie zu
ihrem Erwerbe, selbst zu diesem kärglichen Erwerbe gelangt wären. So er¬
zählen sie sich von den Muränen, oder wie sie dort heißen -- Mareilen, deren
Verkauf vielen Masuren die einzigen Münzen in die Hände bringt, eine sonder¬
bare Sage. Diese Mareilen sollen nämlich -- wir können die Wahrheit dieses
Umstandes nicht verbürgen -- nur in einem See Italiens, in einem sächsischen
und am meisten in den Seen Masurens angetroffen werden. Der Masur er¬
zählt, daß der Teufel ihm die Fische aus dem gesegneten Italien gebracht,
unterwegs aber einige verloren habe, wodurch auch noch ein andrer See
solche Fische erhalten. Diese Sage hörten wir oft, und es wurde bei der
Erzählung der Aerger nicht verhehlt, daß die Kralle des Teufels nicht vor¬
sichtiger gewesen sei. --

Der Leser soll von diesen Bildern des Elendes nicht scheiden, ohne vor¬
her seinen Blick auf ein Gemälde andrer Art gerichtet zu haben.

Längs der südöstlichen Grenze des preußischen Gebiets zieht sich nämlich
der ungeheure johannisburger Forst hin, eine de? beträchtlichsten Waldungen
Preußens. Dieser Theil der Provinz zeigt fast durchgängig einen sandigen
Boden, der nur an wenigen Stellen durch fruchtbares Land unterbrochen ist.
Dürr und spärlich mit Halmen besetzt, zeigen sich hier die Aecker und mühevoll
bahnt sich der Fuß des Wandrers oder das Rad des Gespanns seinen Pfad
durch die glühenden, aufstäubenden Sandwege, ohne paß auf Meilen in der
^iunde ein wirthliches Dach Labung und Ruhe verheißt. Aus einem solchen


Gutes sich mit weitrauchenden Schornsteinen erheben, und sie dürfen nur bis
zum benachbarten Dorfe gehn, um ihr Herz, mit Neid zu erfüllen. Und sie
sehen hier das eigne H>uns und Leben. Hier mangelt alles Hirschauer, auf
selbsterschaffenes Glück, und daher jede Poesie, jeder erhebende Ausdruck eines
menschlichen Gefühls. Es sind zwei oder drei von den Polen erlernte Lieder,
eines vom Ziegenbock, das andre von den Franzosen.und noch ein drittes be¬
liebiges: diese singt der Masur mitunter trübe und alleinstimmig vor sich hin
und weiß nach Beendigung des schlechten Liedes nicht, daß er gesungen hat.
Düster und in sich gekehrt sitzt er da, und zum höchsten Genuß an seinen
Fischen nagend, denkt er an die vollen» Scheuern des Gutsherrn und an die
gehäuften Schüsseln reicher deutscher Bauern. Sogar nach der Stadt führt ihn oft
der Verkauf der besten Fische, besonders der Muräne; und es ist leicht zu er¬
klären, daß die Anschauungen, die er in der Stadt gewinnt, seine Unzufrieden¬
heit, seinen Neid, seinen Groll gegen das Schicksal vermehren müssen. Daher
ist der Masur von Natur scheu und hat einen bösen Blick; man traut ihm
nicht viel Gutes zu, und man darf ihm in der That nicht zu sehr trauen. —
Alles, was diese Leute von Märchen sich erzählen, sind Räubergeschichten, Ge¬
schichten von Todtschlag reicher Herrn, von Beraubung begüterter Nachbarn
und ähnliche. Hier und» da taucht eine Sage auf, in welcher Weise sie zu
ihrem Erwerbe, selbst zu diesem kärglichen Erwerbe gelangt wären. So er¬
zählen sie sich von den Muränen, oder wie sie dort heißen — Mareilen, deren
Verkauf vielen Masuren die einzigen Münzen in die Hände bringt, eine sonder¬
bare Sage. Diese Mareilen sollen nämlich — wir können die Wahrheit dieses
Umstandes nicht verbürgen — nur in einem See Italiens, in einem sächsischen
und am meisten in den Seen Masurens angetroffen werden. Der Masur er¬
zählt, daß der Teufel ihm die Fische aus dem gesegneten Italien gebracht,
unterwegs aber einige verloren habe, wodurch auch noch ein andrer See
solche Fische erhalten. Diese Sage hörten wir oft, und es wurde bei der
Erzählung der Aerger nicht verhehlt, daß die Kralle des Teufels nicht vor¬
sichtiger gewesen sei. —

Der Leser soll von diesen Bildern des Elendes nicht scheiden, ohne vor¬
her seinen Blick auf ein Gemälde andrer Art gerichtet zu haben.

Längs der südöstlichen Grenze des preußischen Gebiets zieht sich nämlich
der ungeheure johannisburger Forst hin, eine de? beträchtlichsten Waldungen
Preußens. Dieser Theil der Provinz zeigt fast durchgängig einen sandigen
Boden, der nur an wenigen Stellen durch fruchtbares Land unterbrochen ist.
Dürr und spärlich mit Halmen besetzt, zeigen sich hier die Aecker und mühevoll
bahnt sich der Fuß des Wandrers oder das Rad des Gespanns seinen Pfad
durch die glühenden, aufstäubenden Sandwege, ohne paß auf Meilen in der
^iunde ein wirthliches Dach Labung und Ruhe verheißt. Aus einem solchen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101966"/>
            <p xml:id="ID_1181" prev="#ID_1180"> Gutes sich mit weitrauchenden Schornsteinen erheben, und sie dürfen nur bis<lb/>
zum benachbarten Dorfe gehn, um ihr Herz, mit Neid zu erfüllen. Und sie<lb/>
sehen hier das eigne H&gt;uns und Leben. Hier mangelt alles Hirschauer, auf<lb/>
selbsterschaffenes Glück, und daher jede Poesie, jeder erhebende Ausdruck eines<lb/>
menschlichen Gefühls. Es sind zwei oder drei von den Polen erlernte Lieder,<lb/>
eines vom Ziegenbock, das andre von den Franzosen.und noch ein drittes be¬<lb/>
liebiges: diese singt der Masur mitunter trübe und alleinstimmig vor sich hin<lb/>
und weiß nach Beendigung des schlechten Liedes nicht, daß er gesungen hat.<lb/>
Düster und in sich gekehrt sitzt er da, und zum höchsten Genuß an seinen<lb/>
Fischen nagend, denkt er an die vollen» Scheuern des Gutsherrn und an die<lb/>
gehäuften Schüsseln reicher deutscher Bauern. Sogar nach der Stadt führt ihn oft<lb/>
der Verkauf der besten Fische, besonders der Muräne; und es ist leicht zu er¬<lb/>
klären, daß die Anschauungen, die er in der Stadt gewinnt, seine Unzufrieden¬<lb/>
heit, seinen Neid, seinen Groll gegen das Schicksal vermehren müssen. Daher<lb/>
ist der Masur von Natur scheu und hat einen bösen Blick; man traut ihm<lb/>
nicht viel Gutes zu, und man darf ihm in der That nicht zu sehr trauen. &#x2014;<lb/>
Alles, was diese Leute von Märchen sich erzählen, sind Räubergeschichten, Ge¬<lb/>
schichten von Todtschlag reicher Herrn, von Beraubung begüterter Nachbarn<lb/>
und ähnliche. Hier und» da taucht eine Sage auf, in welcher Weise sie zu<lb/>
ihrem Erwerbe, selbst zu diesem kärglichen Erwerbe gelangt wären. So er¬<lb/>
zählen sie sich von den Muränen, oder wie sie dort heißen &#x2014; Mareilen, deren<lb/>
Verkauf vielen Masuren die einzigen Münzen in die Hände bringt, eine sonder¬<lb/>
bare Sage. Diese Mareilen sollen nämlich &#x2014; wir können die Wahrheit dieses<lb/>
Umstandes nicht verbürgen &#x2014; nur in einem See Italiens, in einem sächsischen<lb/>
und am meisten in den Seen Masurens angetroffen werden. Der Masur er¬<lb/>
zählt, daß der Teufel ihm die Fische aus dem gesegneten Italien gebracht,<lb/>
unterwegs aber einige verloren habe, wodurch auch noch ein andrer See<lb/>
solche Fische erhalten. Diese Sage hörten wir oft, und es wurde bei der<lb/>
Erzählung der Aerger nicht verhehlt, daß die Kralle des Teufels nicht vor¬<lb/>
sichtiger gewesen sei. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1182"> Der Leser soll von diesen Bildern des Elendes nicht scheiden, ohne vor¬<lb/>
her seinen Blick auf ein Gemälde andrer Art gerichtet zu haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1183" next="#ID_1184"> Längs der südöstlichen Grenze des preußischen Gebiets zieht sich nämlich<lb/>
der ungeheure johannisburger Forst hin, eine de? beträchtlichsten Waldungen<lb/>
Preußens. Dieser Theil der Provinz zeigt fast durchgängig einen sandigen<lb/>
Boden, der nur an wenigen Stellen durch fruchtbares Land unterbrochen ist.<lb/>
Dürr und spärlich mit Halmen besetzt, zeigen sich hier die Aecker und mühevoll<lb/>
bahnt sich der Fuß des Wandrers oder das Rad des Gespanns seinen Pfad<lb/>
durch die glühenden, aufstäubenden Sandwege, ohne paß auf Meilen in der<lb/>
^iunde ein wirthliches Dach Labung und Ruhe verheißt.  Aus einem solchen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0439] Gutes sich mit weitrauchenden Schornsteinen erheben, und sie dürfen nur bis zum benachbarten Dorfe gehn, um ihr Herz, mit Neid zu erfüllen. Und sie sehen hier das eigne H>uns und Leben. Hier mangelt alles Hirschauer, auf selbsterschaffenes Glück, und daher jede Poesie, jeder erhebende Ausdruck eines menschlichen Gefühls. Es sind zwei oder drei von den Polen erlernte Lieder, eines vom Ziegenbock, das andre von den Franzosen.und noch ein drittes be¬ liebiges: diese singt der Masur mitunter trübe und alleinstimmig vor sich hin und weiß nach Beendigung des schlechten Liedes nicht, daß er gesungen hat. Düster und in sich gekehrt sitzt er da, und zum höchsten Genuß an seinen Fischen nagend, denkt er an die vollen» Scheuern des Gutsherrn und an die gehäuften Schüsseln reicher deutscher Bauern. Sogar nach der Stadt führt ihn oft der Verkauf der besten Fische, besonders der Muräne; und es ist leicht zu er¬ klären, daß die Anschauungen, die er in der Stadt gewinnt, seine Unzufrieden¬ heit, seinen Neid, seinen Groll gegen das Schicksal vermehren müssen. Daher ist der Masur von Natur scheu und hat einen bösen Blick; man traut ihm nicht viel Gutes zu, und man darf ihm in der That nicht zu sehr trauen. — Alles, was diese Leute von Märchen sich erzählen, sind Räubergeschichten, Ge¬ schichten von Todtschlag reicher Herrn, von Beraubung begüterter Nachbarn und ähnliche. Hier und» da taucht eine Sage auf, in welcher Weise sie zu ihrem Erwerbe, selbst zu diesem kärglichen Erwerbe gelangt wären. So er¬ zählen sie sich von den Muränen, oder wie sie dort heißen — Mareilen, deren Verkauf vielen Masuren die einzigen Münzen in die Hände bringt, eine sonder¬ bare Sage. Diese Mareilen sollen nämlich — wir können die Wahrheit dieses Umstandes nicht verbürgen — nur in einem See Italiens, in einem sächsischen und am meisten in den Seen Masurens angetroffen werden. Der Masur er¬ zählt, daß der Teufel ihm die Fische aus dem gesegneten Italien gebracht, unterwegs aber einige verloren habe, wodurch auch noch ein andrer See solche Fische erhalten. Diese Sage hörten wir oft, und es wurde bei der Erzählung der Aerger nicht verhehlt, daß die Kralle des Teufels nicht vor¬ sichtiger gewesen sei. — Der Leser soll von diesen Bildern des Elendes nicht scheiden, ohne vor¬ her seinen Blick auf ein Gemälde andrer Art gerichtet zu haben. Längs der südöstlichen Grenze des preußischen Gebiets zieht sich nämlich der ungeheure johannisburger Forst hin, eine de? beträchtlichsten Waldungen Preußens. Dieser Theil der Provinz zeigt fast durchgängig einen sandigen Boden, der nur an wenigen Stellen durch fruchtbares Land unterbrochen ist. Dürr und spärlich mit Halmen besetzt, zeigen sich hier die Aecker und mühevoll bahnt sich der Fuß des Wandrers oder das Rad des Gespanns seinen Pfad durch die glühenden, aufstäubenden Sandwege, ohne paß auf Meilen in der ^iunde ein wirthliches Dach Labung und Ruhe verheißt. Aus einem solchen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/439
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/439>, abgerufen am 27.06.2024.