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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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demselben Trog, der von dem Tischgeräts) ihrer Mitwohnerschaft in nichts ver¬
schieden ist, kaum in der Sauberkeit; denn man gestattet es dem Hausgeflügel
wenigstens vollkommen und verzeiht es den allerliebsten grunzenden Thierchen,
wenn sie Schnabel oder Schnautze den seltneren Leckerbissen nähern. Diese
bestehen aus Fischen und immer wieder aus'Fischen: Fische liefern die Suppe,
gekochte Fische sind das Gemüse, getrocknete Fische die Fleischkost, geräucherte
Fische das Brot dazu. Dies hat wirklich die Form des Brotes. Die kleinen
Fische werden nämlich mit dem Schlamm des Sees, der ihnen anhaftet, weidlich
zu Klumpen zusammengeknetet, halb getrocknet und dann noch 'über dem Rauch
ein wenig gebräunt. So sind sie Brot geworden und werden in langen Reiben
auf ein Bret über dem Herd aufgespeichert. Die größeren Fische räuchert man
hier auf die kürzeste Weise. In den Boden deS Wohnraumes, in den'man bei be¬
sonders glücklichen Zeiten auch den kleinen Vorrath von Küchengewächsen ein¬
kellert, wird ein Loch gegraben und im Grunde desselben ein Schmanchfeuer
von Kienspänen und Reisig zum Schwelm angezündet. Darüber hängt man die
auf einen dünnen Stab gereihten Fische und läßt sie einige Stunden räuchern:
das theilt zugleich dem Zimmer Wärme und Duft, den Wänden die schwarze,
dauerhafte Tünche mit. Diesem Bilde gebe .man die hier gewöhnliche Be¬
leuchtung durch einen Kienspan, Dzibber genannt, der aus einem Spalt der
niedrigen Decke herabragt und den die Hausfrau nicht müde wird alle fünf
Minuten durch einen neuen zu ersetzen. So hat man ein Gemälde, das durch -
Originalität und Düsterkeit seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Für unsre Gewohnheiten, unser Auge, unsren Gaumen ist alles dieses nicht
geeignet; für diese aber finden wir auch in der stattlicheren Hütte und bei den
wohlhabenderen Insassen keine Befriedigung. Kaum die Herberge werden wir hier
erträglich finden; unsre Speisevorräthe werden wir uns weislich selbst mitbringen
müssen. Wir vertrauen dann den Händen der uns herzlich bewillkommenden,
sehr gastfreien Wirthin etwa den gemahlenen Kaffee an, dessen Absud uns er¬
quicken soll, und nach langem Harren erhalten wir endlich unsren Kaffee, nicht
ihn selbst, sondern nach Fortschüttung der unerklärlichen Brühe den nahrhafter
scheinenden Bodensatz mit einer Zuthat von geröstetem Speck und Zwiebeln.
Es geschieht uns dann ganz recht; wir sind nach Verdienst bestraft für
die Unbedachtsamkeit, diesen Leuten eine Bekanntschaft mit der Levante zu-
zumuthen.

Hier wüßte ich in der That nichts Versöhnendes, um das Anschaun eines
so traurigen Daseins erträglicher, keinen Gesichtspunkt, um von ihm aus dieses
Elend verschönt darzustellen!. Alles ist hier tristes, unglückseliges Hinbrüten,
zwangvolle, unlustige Arbeit, freudenleeres Begehren. Man wende nicht ein,
daß diese Menschen sich in ihrem Elende auch wohl fühlen, weil sie keinen
bessern Zustand kennen. -- Sie sehen dort das hohe Dach des nahe gelegenen


demselben Trog, der von dem Tischgeräts) ihrer Mitwohnerschaft in nichts ver¬
schieden ist, kaum in der Sauberkeit; denn man gestattet es dem Hausgeflügel
wenigstens vollkommen und verzeiht es den allerliebsten grunzenden Thierchen,
wenn sie Schnabel oder Schnautze den seltneren Leckerbissen nähern. Diese
bestehen aus Fischen und immer wieder aus'Fischen: Fische liefern die Suppe,
gekochte Fische sind das Gemüse, getrocknete Fische die Fleischkost, geräucherte
Fische das Brot dazu. Dies hat wirklich die Form des Brotes. Die kleinen
Fische werden nämlich mit dem Schlamm des Sees, der ihnen anhaftet, weidlich
zu Klumpen zusammengeknetet, halb getrocknet und dann noch 'über dem Rauch
ein wenig gebräunt. So sind sie Brot geworden und werden in langen Reiben
auf ein Bret über dem Herd aufgespeichert. Die größeren Fische räuchert man
hier auf die kürzeste Weise. In den Boden deS Wohnraumes, in den'man bei be¬
sonders glücklichen Zeiten auch den kleinen Vorrath von Küchengewächsen ein¬
kellert, wird ein Loch gegraben und im Grunde desselben ein Schmanchfeuer
von Kienspänen und Reisig zum Schwelm angezündet. Darüber hängt man die
auf einen dünnen Stab gereihten Fische und läßt sie einige Stunden räuchern:
das theilt zugleich dem Zimmer Wärme und Duft, den Wänden die schwarze,
dauerhafte Tünche mit. Diesem Bilde gebe .man die hier gewöhnliche Be¬
leuchtung durch einen Kienspan, Dzibber genannt, der aus einem Spalt der
niedrigen Decke herabragt und den die Hausfrau nicht müde wird alle fünf
Minuten durch einen neuen zu ersetzen. So hat man ein Gemälde, das durch -
Originalität und Düsterkeit seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Für unsre Gewohnheiten, unser Auge, unsren Gaumen ist alles dieses nicht
geeignet; für diese aber finden wir auch in der stattlicheren Hütte und bei den
wohlhabenderen Insassen keine Befriedigung. Kaum die Herberge werden wir hier
erträglich finden; unsre Speisevorräthe werden wir uns weislich selbst mitbringen
müssen. Wir vertrauen dann den Händen der uns herzlich bewillkommenden,
sehr gastfreien Wirthin etwa den gemahlenen Kaffee an, dessen Absud uns er¬
quicken soll, und nach langem Harren erhalten wir endlich unsren Kaffee, nicht
ihn selbst, sondern nach Fortschüttung der unerklärlichen Brühe den nahrhafter
scheinenden Bodensatz mit einer Zuthat von geröstetem Speck und Zwiebeln.
Es geschieht uns dann ganz recht; wir sind nach Verdienst bestraft für
die Unbedachtsamkeit, diesen Leuten eine Bekanntschaft mit der Levante zu-
zumuthen.

Hier wüßte ich in der That nichts Versöhnendes, um das Anschaun eines
so traurigen Daseins erträglicher, keinen Gesichtspunkt, um von ihm aus dieses
Elend verschönt darzustellen!. Alles ist hier tristes, unglückseliges Hinbrüten,
zwangvolle, unlustige Arbeit, freudenleeres Begehren. Man wende nicht ein,
daß diese Menschen sich in ihrem Elende auch wohl fühlen, weil sie keinen
bessern Zustand kennen. — Sie sehen dort das hohe Dach des nahe gelegenen


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[0438] demselben Trog, der von dem Tischgeräts) ihrer Mitwohnerschaft in nichts ver¬ schieden ist, kaum in der Sauberkeit; denn man gestattet es dem Hausgeflügel wenigstens vollkommen und verzeiht es den allerliebsten grunzenden Thierchen, wenn sie Schnabel oder Schnautze den seltneren Leckerbissen nähern. Diese bestehen aus Fischen und immer wieder aus'Fischen: Fische liefern die Suppe, gekochte Fische sind das Gemüse, getrocknete Fische die Fleischkost, geräucherte Fische das Brot dazu. Dies hat wirklich die Form des Brotes. Die kleinen Fische werden nämlich mit dem Schlamm des Sees, der ihnen anhaftet, weidlich zu Klumpen zusammengeknetet, halb getrocknet und dann noch 'über dem Rauch ein wenig gebräunt. So sind sie Brot geworden und werden in langen Reiben auf ein Bret über dem Herd aufgespeichert. Die größeren Fische räuchert man hier auf die kürzeste Weise. In den Boden deS Wohnraumes, in den'man bei be¬ sonders glücklichen Zeiten auch den kleinen Vorrath von Küchengewächsen ein¬ kellert, wird ein Loch gegraben und im Grunde desselben ein Schmanchfeuer von Kienspänen und Reisig zum Schwelm angezündet. Darüber hängt man die auf einen dünnen Stab gereihten Fische und läßt sie einige Stunden räuchern: das theilt zugleich dem Zimmer Wärme und Duft, den Wänden die schwarze, dauerhafte Tünche mit. Diesem Bilde gebe .man die hier gewöhnliche Be¬ leuchtung durch einen Kienspan, Dzibber genannt, der aus einem Spalt der niedrigen Decke herabragt und den die Hausfrau nicht müde wird alle fünf Minuten durch einen neuen zu ersetzen. So hat man ein Gemälde, das durch - Originalität und Düsterkeit seine Wirkung nicht verfehlen wird. Für unsre Gewohnheiten, unser Auge, unsren Gaumen ist alles dieses nicht geeignet; für diese aber finden wir auch in der stattlicheren Hütte und bei den wohlhabenderen Insassen keine Befriedigung. Kaum die Herberge werden wir hier erträglich finden; unsre Speisevorräthe werden wir uns weislich selbst mitbringen müssen. Wir vertrauen dann den Händen der uns herzlich bewillkommenden, sehr gastfreien Wirthin etwa den gemahlenen Kaffee an, dessen Absud uns er¬ quicken soll, und nach langem Harren erhalten wir endlich unsren Kaffee, nicht ihn selbst, sondern nach Fortschüttung der unerklärlichen Brühe den nahrhafter scheinenden Bodensatz mit einer Zuthat von geröstetem Speck und Zwiebeln. Es geschieht uns dann ganz recht; wir sind nach Verdienst bestraft für die Unbedachtsamkeit, diesen Leuten eine Bekanntschaft mit der Levante zu- zumuthen. Hier wüßte ich in der That nichts Versöhnendes, um das Anschaun eines so traurigen Daseins erträglicher, keinen Gesichtspunkt, um von ihm aus dieses Elend verschönt darzustellen!. Alles ist hier tristes, unglückseliges Hinbrüten, zwangvolle, unlustige Arbeit, freudenleeres Begehren. Man wende nicht ein, daß diese Menschen sich in ihrem Elende auch wohl fühlen, weil sie keinen bessern Zustand kennen. — Sie sehen dort das hohe Dach des nahe gelegenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/438>, abgerufen am 27.06.2024.