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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Boden erhebt sich in einer Ausdehnung von etwa dreizehn Meilen jene Wild¬
nis), der johannisburger Forst. Eben und zierlos ist der durch herabgefallene
dürre Tannennadeln gebräunte und geglättete Boden; das Auge späht umsonst
nach einem Farrenkraut, einer Erdbeerblüte, einem Mooshügel, welche mit ihrem
Grün diesen gleich einem weiten Sale braunpolirten Boden schmückten. Und
auf diesem erheben sich nun in einem gleichen Braun die hohen schlanken
Stämme der Tannen, Tausende von Stämmen, die wie ebensoviel Säulen
die dunkelgrünen Gewölbe des Forstes emporhalten. Ernst und schweigend ist
die Natur, wie die Vorhallen und die Säulengänge eines Museums, deren
weite Leere mit einem Gefühl der Einsamkeit erfüllt, während doch eine so
bunte Mannigfaltigkeit im Innern sich uns erschließen soll.

Lenkt der Wandrer, seinen mühevollen Weg tiefer in diese Wildniß, in
einer und derselben Richtung, um sich nicht zu verirren, durch die nackten, von
keiner Haselstaude umschatteten Stämme bis in die Nähe des Städtchens Jo-
hannisburg fortschreitend, so sieht er plötzlich den Wald sich lichten und ge¬
wahrt auf dem baumlosen Raume, aber rings umher dicht von Wald ein¬
geschlossen, ein wohlansehnliches Dorf und weiterhin noch ein zweites ähn¬
liches, aus Hütten bestehend, die zwar nicht mit den Wohngebäuden reicher
Bauern wetteifern, doch in ihrem Aussehn sich vor den ärmlichen Fischerhütten
Masurens sehr vortheilhaft auszeichnen.

In diesen Dörfern wandeln hohe Gestalten einher, in jenen Gegenden
ein Schreckmittel für Kinder und Erwachsene; doch ist kein triftiger Grund vor¬
handen, bei ihrem Begegnen vor Furcht außer sich zu gerathen, selbst wenn
sie dem einsamen Wandrer, hoch und finster einherschreitend, tief in der Oede
des Waldes, das lange Jagdgewehr aus der Schulter und die blinkende Holz¬
art in der Hand, begegnen.

Diese merkwürdigen, halb geheimnißvollen Menschen sind die sogenannten
Philipponen. Woher ihr Name, das ist selbst den eingebornen Masuren un¬
bekannt; auch hat sich um ihre Herkunft wol selten jemand im Ernste beküm¬
mert und culturgeschichtlich sind sie gänzlich verborgen. Sie weichen in ihrem
Wuchs, ihrer Haltung, ihrer Kleidung bedeutend von den übrigen Einwohnern
Masurens ab. Hoch, schlank, stattlich, von fast edlem Wesen, dunkelbärtig,
mit regelmäßigen, oft schönen Gesichtszügen wandeln sie einher. Ihr Anzug
besteht fast uniform aus etneen langen, gut geschnittenen blauen Rock und
einer spitzen, grauen Mütze, welche diese Gestalten noch größer erscheinen läßt.
Ein gewisser Wohlstand ist in ihr'em Aeußern bemerkbar, obgleich es bekannt ist,
daß die beiden von ihnen bewohnten Dörfer nur dürftiges, schlechtes Land
besitzen. Es ist ausgemacht, daß sie sich vorzugsweise durch Holz- und Wild- ,
biebftayl ernähren, wobei >te durch den Respect nicht wenig beschützt werden,
in den sie sich selbst bei den Forstbeamten zu setzen gewußt haben. Eine Reihe


Boden erhebt sich in einer Ausdehnung von etwa dreizehn Meilen jene Wild¬
nis), der johannisburger Forst. Eben und zierlos ist der durch herabgefallene
dürre Tannennadeln gebräunte und geglättete Boden; das Auge späht umsonst
nach einem Farrenkraut, einer Erdbeerblüte, einem Mooshügel, welche mit ihrem
Grün diesen gleich einem weiten Sale braunpolirten Boden schmückten. Und
auf diesem erheben sich nun in einem gleichen Braun die hohen schlanken
Stämme der Tannen, Tausende von Stämmen, die wie ebensoviel Säulen
die dunkelgrünen Gewölbe des Forstes emporhalten. Ernst und schweigend ist
die Natur, wie die Vorhallen und die Säulengänge eines Museums, deren
weite Leere mit einem Gefühl der Einsamkeit erfüllt, während doch eine so
bunte Mannigfaltigkeit im Innern sich uns erschließen soll.

Lenkt der Wandrer, seinen mühevollen Weg tiefer in diese Wildniß, in
einer und derselben Richtung, um sich nicht zu verirren, durch die nackten, von
keiner Haselstaude umschatteten Stämme bis in die Nähe des Städtchens Jo-
hannisburg fortschreitend, so sieht er plötzlich den Wald sich lichten und ge¬
wahrt auf dem baumlosen Raume, aber rings umher dicht von Wald ein¬
geschlossen, ein wohlansehnliches Dorf und weiterhin noch ein zweites ähn¬
liches, aus Hütten bestehend, die zwar nicht mit den Wohngebäuden reicher
Bauern wetteifern, doch in ihrem Aussehn sich vor den ärmlichen Fischerhütten
Masurens sehr vortheilhaft auszeichnen.

In diesen Dörfern wandeln hohe Gestalten einher, in jenen Gegenden
ein Schreckmittel für Kinder und Erwachsene; doch ist kein triftiger Grund vor¬
handen, bei ihrem Begegnen vor Furcht außer sich zu gerathen, selbst wenn
sie dem einsamen Wandrer, hoch und finster einherschreitend, tief in der Oede
des Waldes, das lange Jagdgewehr aus der Schulter und die blinkende Holz¬
art in der Hand, begegnen.

Diese merkwürdigen, halb geheimnißvollen Menschen sind die sogenannten
Philipponen. Woher ihr Name, das ist selbst den eingebornen Masuren un¬
bekannt; auch hat sich um ihre Herkunft wol selten jemand im Ernste beküm¬
mert und culturgeschichtlich sind sie gänzlich verborgen. Sie weichen in ihrem
Wuchs, ihrer Haltung, ihrer Kleidung bedeutend von den übrigen Einwohnern
Masurens ab. Hoch, schlank, stattlich, von fast edlem Wesen, dunkelbärtig,
mit regelmäßigen, oft schönen Gesichtszügen wandeln sie einher. Ihr Anzug
besteht fast uniform aus etneen langen, gut geschnittenen blauen Rock und
einer spitzen, grauen Mütze, welche diese Gestalten noch größer erscheinen läßt.
Ein gewisser Wohlstand ist in ihr'em Aeußern bemerkbar, obgleich es bekannt ist,
daß die beiden von ihnen bewohnten Dörfer nur dürftiges, schlechtes Land
besitzen. Es ist ausgemacht, daß sie sich vorzugsweise durch Holz- und Wild- ,
biebftayl ernähren, wobei >te durch den Respect nicht wenig beschützt werden,
in den sie sich selbst bei den Forstbeamten zu setzen gewußt haben. Eine Reihe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/440>, abgerufen am 27.06.2024.