Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dies ist leicht dargestellt, wenn man annimmt, daß jedes der Häuser Londons
eine Front, von fünfzehn Fuß Breite habe. Multiplicirt man die Zahl der
Häuser mit fünfzehn, so findet man, daß eine solche Straße ziemlich tausend
englische Meilen lang und somit über ganz England und Frankreich, von Nork
bis nach den Phrennäen reichen würde.

Nach dieser Betrachtung wird man leicht einsehn, daß die Straßen der -
Hauptstadt, welche auf der Karte wie ein ungeheures Wirrsal von Ziegelstein-
Häusern aussehen, mehre Tausende sind/ und wirklich zählt jener gewaltige Band
des London Post-Office Directory mehr als 10,300 verschiedene Straßen,
Plätze, Rundtheile, Terrassen, Villas, Gassen, Höfe, Squares, Seitengäßchen
u. s. w. auf.

Viele von diesen Durchfahrten sind an sich selbst voll nicht unbeträcht¬
licher Länge. Orfortstreet z. B. ist fast anderthalb Meilen lang, und Regent-
street mißt von Langsam Church bis zur Carlton Terrasse beinahe eine Meile,
während die beiden großen mit dem Flusse parallellaufenden Durchfahrten, von
denen die eine sich über Orfordstreet, Holborn, Cheapside, Cornhill und White-.
chapel nach Mile End erstreckt und in der That nur eine Straße mit ver¬
schiedenen Namen ist, und die andere, die von Knightsbridge über Piccadilly,
Haymarket, Pakt Malt East, den Strand, Cannon Street, Tower Street u. s. w.
auf der Natcliffestraße nach den Westindia Docks geht, jede über sechs Meilen
lang sind.

"Aber wenn man," sagt Dr. Johnson, "sich einen rechten Begriff von
der Größe dieser Stadt machen will, so muß man sich nicht damit zu¬
frieden geben, daß man ihre Straßen und Plätze sieht, sondern zugleich einen
Blick auf die kleinen Seitengäßchen und Höfe werfen. Nicht in .den glänzen¬
den Gebäuden jener besteht die Unermeßlichkeit Londons, sondern in der Viel¬
artigkeit menschlicher Wohnungen, welche hier zusammengedrängt sind."

In der That, die Ausdehnung der londoner Straßen, mit Einrechnung
der kleinen und kleinsten, ist beinahe unglaublich. Denn ein Bericht der Polizei
aus dem Jahr -I8S0 gibt die Länge der Durchfahrten der Stadt auf nicht
weniger als 17S0 Meilen an, so daß hiernach die Haupt- und Nebengassen der
Capitale noch länger als die Linien der fünf großen Eisenbahnen sind, wenn
diese aneinandergehetzt würden.

Versuchen wir nun auch von der ungeheuren Masse menschlicher Wesen,
welche in diesen Straßen und Häusern leben, eine deutliche Vorstellung zu ge¬
winnen, so ist vielleicht der folgende Weg der richtige. Vergleichen wir die
Zahl der Menschen, die in der Metropole Englands leben, mit der Zahl derer,
die bei Gelegenheit des Begräbnisses Wellingtons in den Straßen waren,
welche der Leichenzug berührte, so können wir aus der Ausdehnung der
Menschenmasse, die an jenem Tage sich versammelt hatte, auf die Ausdehnung


Grenzboten. 1^. 4 8ö6. . Ü3

Dies ist leicht dargestellt, wenn man annimmt, daß jedes der Häuser Londons
eine Front, von fünfzehn Fuß Breite habe. Multiplicirt man die Zahl der
Häuser mit fünfzehn, so findet man, daß eine solche Straße ziemlich tausend
englische Meilen lang und somit über ganz England und Frankreich, von Nork
bis nach den Phrennäen reichen würde.

Nach dieser Betrachtung wird man leicht einsehn, daß die Straßen der -
Hauptstadt, welche auf der Karte wie ein ungeheures Wirrsal von Ziegelstein-
Häusern aussehen, mehre Tausende sind/ und wirklich zählt jener gewaltige Band
des London Post-Office Directory mehr als 10,300 verschiedene Straßen,
Plätze, Rundtheile, Terrassen, Villas, Gassen, Höfe, Squares, Seitengäßchen
u. s. w. auf.

Viele von diesen Durchfahrten sind an sich selbst voll nicht unbeträcht¬
licher Länge. Orfortstreet z. B. ist fast anderthalb Meilen lang, und Regent-
street mißt von Langsam Church bis zur Carlton Terrasse beinahe eine Meile,
während die beiden großen mit dem Flusse parallellaufenden Durchfahrten, von
denen die eine sich über Orfordstreet, Holborn, Cheapside, Cornhill und White-.
chapel nach Mile End erstreckt und in der That nur eine Straße mit ver¬
schiedenen Namen ist, und die andere, die von Knightsbridge über Piccadilly,
Haymarket, Pakt Malt East, den Strand, Cannon Street, Tower Street u. s. w.
auf der Natcliffestraße nach den Westindia Docks geht, jede über sechs Meilen
lang sind.

„Aber wenn man," sagt Dr. Johnson, „sich einen rechten Begriff von
der Größe dieser Stadt machen will, so muß man sich nicht damit zu¬
frieden geben, daß man ihre Straßen und Plätze sieht, sondern zugleich einen
Blick auf die kleinen Seitengäßchen und Höfe werfen. Nicht in .den glänzen¬
den Gebäuden jener besteht die Unermeßlichkeit Londons, sondern in der Viel¬
artigkeit menschlicher Wohnungen, welche hier zusammengedrängt sind."

In der That, die Ausdehnung der londoner Straßen, mit Einrechnung
der kleinen und kleinsten, ist beinahe unglaublich. Denn ein Bericht der Polizei
aus dem Jahr -I8S0 gibt die Länge der Durchfahrten der Stadt auf nicht
weniger als 17S0 Meilen an, so daß hiernach die Haupt- und Nebengassen der
Capitale noch länger als die Linien der fünf großen Eisenbahnen sind, wenn
diese aneinandergehetzt würden.

Versuchen wir nun auch von der ungeheuren Masse menschlicher Wesen,
welche in diesen Straßen und Häusern leben, eine deutliche Vorstellung zu ge¬
winnen, so ist vielleicht der folgende Weg der richtige. Vergleichen wir die
Zahl der Menschen, die in der Metropole Englands leben, mit der Zahl derer,
die bei Gelegenheit des Begräbnisses Wellingtons in den Straßen waren,
welche der Leichenzug berührte, so können wir aus der Ausdehnung der
Menschenmasse, die an jenem Tage sich versammelt hatte, auf die Ausdehnung


Grenzboten. 1^. 4 8ö6. . Ü3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101952"/>
            <p xml:id="ID_1125" prev="#ID_1124"> Dies ist leicht dargestellt, wenn man annimmt, daß jedes der Häuser Londons<lb/>
eine Front, von fünfzehn Fuß Breite habe. Multiplicirt man die Zahl der<lb/>
Häuser mit fünfzehn, so findet man, daß eine solche Straße ziemlich tausend<lb/>
englische Meilen lang und somit über ganz England und Frankreich, von Nork<lb/>
bis nach den Phrennäen reichen würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1126"> Nach dieser Betrachtung wird man leicht einsehn, daß die Straßen der -<lb/>
Hauptstadt, welche auf der Karte wie ein ungeheures Wirrsal von Ziegelstein-<lb/>
Häusern aussehen, mehre Tausende sind/ und wirklich zählt jener gewaltige Band<lb/>
des London Post-Office Directory mehr als 10,300 verschiedene Straßen,<lb/>
Plätze, Rundtheile, Terrassen, Villas, Gassen, Höfe, Squares, Seitengäßchen<lb/>
u. s. w. auf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1127"> Viele von diesen Durchfahrten sind an sich selbst voll nicht unbeträcht¬<lb/>
licher Länge. Orfortstreet z. B. ist fast anderthalb Meilen lang, und Regent-<lb/>
street mißt von Langsam Church bis zur Carlton Terrasse beinahe eine Meile,<lb/>
während die beiden großen mit dem Flusse parallellaufenden Durchfahrten, von<lb/>
denen die eine sich über Orfordstreet, Holborn, Cheapside, Cornhill und White-.<lb/>
chapel nach Mile End erstreckt und in der That nur eine Straße mit ver¬<lb/>
schiedenen Namen ist, und die andere, die von Knightsbridge über Piccadilly,<lb/>
Haymarket, Pakt Malt East, den Strand, Cannon Street, Tower Street u. s. w.<lb/>
auf der Natcliffestraße nach den Westindia Docks geht, jede über sechs Meilen<lb/>
lang sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1128"> &#x201E;Aber wenn man," sagt Dr. Johnson, &#x201E;sich einen rechten Begriff von<lb/>
der Größe dieser Stadt machen will, so muß man sich nicht damit zu¬<lb/>
frieden geben, daß man ihre Straßen und Plätze sieht, sondern zugleich einen<lb/>
Blick auf die kleinen Seitengäßchen und Höfe werfen. Nicht in .den glänzen¬<lb/>
den Gebäuden jener besteht die Unermeßlichkeit Londons, sondern in der Viel¬<lb/>
artigkeit menschlicher Wohnungen, welche hier zusammengedrängt sind."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1129"> In der That, die Ausdehnung der londoner Straßen, mit Einrechnung<lb/>
der kleinen und kleinsten, ist beinahe unglaublich. Denn ein Bericht der Polizei<lb/>
aus dem Jahr -I8S0 gibt die Länge der Durchfahrten der Stadt auf nicht<lb/>
weniger als 17S0 Meilen an, so daß hiernach die Haupt- und Nebengassen der<lb/>
Capitale noch länger als die Linien der fünf großen Eisenbahnen sind, wenn<lb/>
diese aneinandergehetzt würden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1130" next="#ID_1131"> Versuchen wir nun auch von der ungeheuren Masse menschlicher Wesen,<lb/>
welche in diesen Straßen und Häusern leben, eine deutliche Vorstellung zu ge¬<lb/>
winnen, so ist vielleicht der folgende Weg der richtige. Vergleichen wir die<lb/>
Zahl der Menschen, die in der Metropole Englands leben, mit der Zahl derer,<lb/>
die bei Gelegenheit des Begräbnisses Wellingtons in den Straßen waren,<lb/>
welche der Leichenzug berührte, so können wir aus der Ausdehnung der<lb/>
Menschenmasse, die an jenem Tage sich versammelt hatte, auf die Ausdehnung</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. 1^. 4 8ö6. . Ü3</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] Dies ist leicht dargestellt, wenn man annimmt, daß jedes der Häuser Londons eine Front, von fünfzehn Fuß Breite habe. Multiplicirt man die Zahl der Häuser mit fünfzehn, so findet man, daß eine solche Straße ziemlich tausend englische Meilen lang und somit über ganz England und Frankreich, von Nork bis nach den Phrennäen reichen würde. Nach dieser Betrachtung wird man leicht einsehn, daß die Straßen der - Hauptstadt, welche auf der Karte wie ein ungeheures Wirrsal von Ziegelstein- Häusern aussehen, mehre Tausende sind/ und wirklich zählt jener gewaltige Band des London Post-Office Directory mehr als 10,300 verschiedene Straßen, Plätze, Rundtheile, Terrassen, Villas, Gassen, Höfe, Squares, Seitengäßchen u. s. w. auf. Viele von diesen Durchfahrten sind an sich selbst voll nicht unbeträcht¬ licher Länge. Orfortstreet z. B. ist fast anderthalb Meilen lang, und Regent- street mißt von Langsam Church bis zur Carlton Terrasse beinahe eine Meile, während die beiden großen mit dem Flusse parallellaufenden Durchfahrten, von denen die eine sich über Orfordstreet, Holborn, Cheapside, Cornhill und White-. chapel nach Mile End erstreckt und in der That nur eine Straße mit ver¬ schiedenen Namen ist, und die andere, die von Knightsbridge über Piccadilly, Haymarket, Pakt Malt East, den Strand, Cannon Street, Tower Street u. s. w. auf der Natcliffestraße nach den Westindia Docks geht, jede über sechs Meilen lang sind. „Aber wenn man," sagt Dr. Johnson, „sich einen rechten Begriff von der Größe dieser Stadt machen will, so muß man sich nicht damit zu¬ frieden geben, daß man ihre Straßen und Plätze sieht, sondern zugleich einen Blick auf die kleinen Seitengäßchen und Höfe werfen. Nicht in .den glänzen¬ den Gebäuden jener besteht die Unermeßlichkeit Londons, sondern in der Viel¬ artigkeit menschlicher Wohnungen, welche hier zusammengedrängt sind." In der That, die Ausdehnung der londoner Straßen, mit Einrechnung der kleinen und kleinsten, ist beinahe unglaublich. Denn ein Bericht der Polizei aus dem Jahr -I8S0 gibt die Länge der Durchfahrten der Stadt auf nicht weniger als 17S0 Meilen an, so daß hiernach die Haupt- und Nebengassen der Capitale noch länger als die Linien der fünf großen Eisenbahnen sind, wenn diese aneinandergehetzt würden. Versuchen wir nun auch von der ungeheuren Masse menschlicher Wesen, welche in diesen Straßen und Häusern leben, eine deutliche Vorstellung zu ge¬ winnen, so ist vielleicht der folgende Weg der richtige. Vergleichen wir die Zahl der Menschen, die in der Metropole Englands leben, mit der Zahl derer, die bei Gelegenheit des Begräbnisses Wellingtons in den Straßen waren, welche der Leichenzug berührte, so können wir aus der Ausdehnung der Menschenmasse, die an jenem Tage sich versammelt hatte, auf die Ausdehnung Grenzboten. 1^. 4 8ö6. . Ü3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/425>, abgerufen am 27.06.2024.