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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Nehmen wir es sodann als ausgemacht an, wenn Balbl die gesamntte
Einwohnerzahl der Erde auf 1,075 Millionen angibt, so macht die Riesenstadt
an der Themse.grade den los. Theil dieser Menge aus, so daß sich in jedem
Tcwsend der ungefähren Gliederzahl der gesammten Menschenfamilie wenigstens
zwei Londoner befinden.

Kurz, -London kann dreist als die am dichtesten bewohnte Stadt der Welt
bezeichnet werden. Es hat ein Viertel mehr Menschen in seinen Mauern, als
Peking haben soll, zwei Drittel mehr als Paris, noch einmal so viel als
Konstantinopel, viermal soviel als Petersburg, fünfmal so viel als Wien und
Neuyork und ungefähr sechsmal so viel als Berlin.

Wir folgten im Vorstehenden, mit einigen nothwendigen Abweichungen, der
Darstellung Henry Mayhews, der in seiner soeben in der ersten Nummer er¬
schienenen Schrift (ÄöiU ^Vorlä ok l^onäon" einen sehr lehrreichen und
interessanten Ueberblick über diese Verhältnisse gibt. Es sei uns gestattet,
einige weitere Auszüge aus den Mittheilungen vieses Hefts zu geben. So
mag denn London, fährt Mayhew fort, zahlreicher bevölkert, als irgend eine
französische oder englische Provinz und als manches Königreich, wol als eine
Welt für sich betrachtet werden und von diesem Standpunkt aus hat Advisvn
von der britischen Hauptstadt, als zusammengesetzt aus verschiedenen Racen wie
eine Welt gesprochen, statt sie als bestehend aus verwandten Familien wie eine
Stadt zu betrachten. " '

"Wenn ich diese große Stadt," sagt er im spectator, "nach ihren ver¬
schiedenen Quartieren und Abtheilungen betrachte, so sehe ich sie als eine
Mischung verschiedener Nationen an, die sich nach ihren betreffenden Sitten,
ihrer Lebensweise uno ihren Interessen von einander trennen. Die Höfe von
zwei Ländern unterscheiden sich nicht so sehr von einander, als der Hof und
die Stadt Londons in ihrer eigenthümlichen Lebens- und Redeweise. Kurz,
die Bewohner von Se. James sind trotzdem, daß sie unter denselben Gesetzen
leben uno dieselbe Sprache reden, ein verschiedenes Volk von denen, welche
in Cheapside wohnen, verschieden nach Klimaten und Graden in ihrem Den¬
ken und Reden."

Betrachten wir deshalb London als Welt für sich, so erscheinen Belgravia
und Bethnal Green als die entgegengesetzten Pole der londoner Sphäre, gleich¬
sam die kalten Zonen der Hauptstadt, die eine eiskalt in ihrer Vornehmheit,
Förmlichkeit und Feierlichkeit, vie andre von dem ewigen Winter erstarrender
Armuth bedeckt. Von dieser Welt ist Temple Bar der unzweifelhafte Aequator,
welcher die Hemisphäre der City von der des West End unterscheidet und in
seiner unmittelbaren Nachbarschaft eine Reihe von Banken hat, welche die Gold¬
küste vertreten können. Was Greenwich für die Kauffahrer Englands ist, das


Grenzboten. II, I8ö6. 32

Nehmen wir es sodann als ausgemacht an, wenn Balbl die gesamntte
Einwohnerzahl der Erde auf 1,075 Millionen angibt, so macht die Riesenstadt
an der Themse.grade den los. Theil dieser Menge aus, so daß sich in jedem
Tcwsend der ungefähren Gliederzahl der gesammten Menschenfamilie wenigstens
zwei Londoner befinden.

Kurz, -London kann dreist als die am dichtesten bewohnte Stadt der Welt
bezeichnet werden. Es hat ein Viertel mehr Menschen in seinen Mauern, als
Peking haben soll, zwei Drittel mehr als Paris, noch einmal so viel als
Konstantinopel, viermal soviel als Petersburg, fünfmal so viel als Wien und
Neuyork und ungefähr sechsmal so viel als Berlin.

Wir folgten im Vorstehenden, mit einigen nothwendigen Abweichungen, der
Darstellung Henry Mayhews, der in seiner soeben in der ersten Nummer er¬
schienenen Schrift (ÄöiU ^Vorlä ok l^onäon" einen sehr lehrreichen und
interessanten Ueberblick über diese Verhältnisse gibt. Es sei uns gestattet,
einige weitere Auszüge aus den Mittheilungen vieses Hefts zu geben. So
mag denn London, fährt Mayhew fort, zahlreicher bevölkert, als irgend eine
französische oder englische Provinz und als manches Königreich, wol als eine
Welt für sich betrachtet werden und von diesem Standpunkt aus hat Advisvn
von der britischen Hauptstadt, als zusammengesetzt aus verschiedenen Racen wie
eine Welt gesprochen, statt sie als bestehend aus verwandten Familien wie eine
Stadt zu betrachten. « '

„Wenn ich diese große Stadt," sagt er im spectator, „nach ihren ver¬
schiedenen Quartieren und Abtheilungen betrachte, so sehe ich sie als eine
Mischung verschiedener Nationen an, die sich nach ihren betreffenden Sitten,
ihrer Lebensweise uno ihren Interessen von einander trennen. Die Höfe von
zwei Ländern unterscheiden sich nicht so sehr von einander, als der Hof und
die Stadt Londons in ihrer eigenthümlichen Lebens- und Redeweise. Kurz,
die Bewohner von Se. James sind trotzdem, daß sie unter denselben Gesetzen
leben uno dieselbe Sprache reden, ein verschiedenes Volk von denen, welche
in Cheapside wohnen, verschieden nach Klimaten und Graden in ihrem Den¬
ken und Reden."

Betrachten wir deshalb London als Welt für sich, so erscheinen Belgravia
und Bethnal Green als die entgegengesetzten Pole der londoner Sphäre, gleich¬
sam die kalten Zonen der Hauptstadt, die eine eiskalt in ihrer Vornehmheit,
Förmlichkeit und Feierlichkeit, vie andre von dem ewigen Winter erstarrender
Armuth bedeckt. Von dieser Welt ist Temple Bar der unzweifelhafte Aequator,
welcher die Hemisphäre der City von der des West End unterscheidet und in
seiner unmittelbaren Nachbarschaft eine Reihe von Banken hat, welche die Gold¬
küste vertreten können. Was Greenwich für die Kauffahrer Englands ist, das


Grenzboten. II, I8ö6. 32
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[0417] Nehmen wir es sodann als ausgemacht an, wenn Balbl die gesamntte Einwohnerzahl der Erde auf 1,075 Millionen angibt, so macht die Riesenstadt an der Themse.grade den los. Theil dieser Menge aus, so daß sich in jedem Tcwsend der ungefähren Gliederzahl der gesammten Menschenfamilie wenigstens zwei Londoner befinden. Kurz, -London kann dreist als die am dichtesten bewohnte Stadt der Welt bezeichnet werden. Es hat ein Viertel mehr Menschen in seinen Mauern, als Peking haben soll, zwei Drittel mehr als Paris, noch einmal so viel als Konstantinopel, viermal soviel als Petersburg, fünfmal so viel als Wien und Neuyork und ungefähr sechsmal so viel als Berlin. Wir folgten im Vorstehenden, mit einigen nothwendigen Abweichungen, der Darstellung Henry Mayhews, der in seiner soeben in der ersten Nummer er¬ schienenen Schrift (ÄöiU ^Vorlä ok l^onäon" einen sehr lehrreichen und interessanten Ueberblick über diese Verhältnisse gibt. Es sei uns gestattet, einige weitere Auszüge aus den Mittheilungen vieses Hefts zu geben. So mag denn London, fährt Mayhew fort, zahlreicher bevölkert, als irgend eine französische oder englische Provinz und als manches Königreich, wol als eine Welt für sich betrachtet werden und von diesem Standpunkt aus hat Advisvn von der britischen Hauptstadt, als zusammengesetzt aus verschiedenen Racen wie eine Welt gesprochen, statt sie als bestehend aus verwandten Familien wie eine Stadt zu betrachten. « ' „Wenn ich diese große Stadt," sagt er im spectator, „nach ihren ver¬ schiedenen Quartieren und Abtheilungen betrachte, so sehe ich sie als eine Mischung verschiedener Nationen an, die sich nach ihren betreffenden Sitten, ihrer Lebensweise uno ihren Interessen von einander trennen. Die Höfe von zwei Ländern unterscheiden sich nicht so sehr von einander, als der Hof und die Stadt Londons in ihrer eigenthümlichen Lebens- und Redeweise. Kurz, die Bewohner von Se. James sind trotzdem, daß sie unter denselben Gesetzen leben uno dieselbe Sprache reden, ein verschiedenes Volk von denen, welche in Cheapside wohnen, verschieden nach Klimaten und Graden in ihrem Den¬ ken und Reden." Betrachten wir deshalb London als Welt für sich, so erscheinen Belgravia und Bethnal Green als die entgegengesetzten Pole der londoner Sphäre, gleich¬ sam die kalten Zonen der Hauptstadt, die eine eiskalt in ihrer Vornehmheit, Förmlichkeit und Feierlichkeit, vie andre von dem ewigen Winter erstarrender Armuth bedeckt. Von dieser Welt ist Temple Bar der unzweifelhafte Aequator, welcher die Hemisphäre der City von der des West End unterscheidet und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eine Reihe von Banken hat, welche die Gold¬ küste vertreten können. Was Greenwich für die Kauffahrer Englands ist, das Grenzboten. II, I8ö6. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/417>, abgerufen am 05.07.2024.