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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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ein Recht gehabt hätten, sich über das britische Protectorat über die Moskito¬
küste als eine Verletzung ihrer Souveränität zu beschweren, dieses Recht den
Vereinigten Staaten ganz und gar abging, darüber schwieg die englische Re¬
gierung schonend.

Der Versuch, die Aufstellung des Präsidenten Monroe als einen all¬
gemein giltigen Lehrsatz des Völkerrechts zur Anerkennung zu bringen, ist aller¬
dings von den Amerikanern mehrfach gemacht worden. Aber neue völkerrecht¬
liche Grundsätze können nur durch Zustimmung aller Betheiligten zur rechtlichen
Geltung gelangen und die einseitige Ansicht eines Präsidenten der Vereinigten
Staaten über ein völkerrechtliches Verhältniß kann für die Rechte europäischer
Staaten nicht im mindesten maßgebend sein. Ganz ebenso verhielt es sich mit
dem von der Vereinigten Staaten Regierung aufgestellten Grundsatz, daß Wilde
nach europäischem Völkerrecht keinen unabhängigen Staat bilden können, eine
Behauptung, die durch die Praxis der nordamerikanischen Republik, die den
Negerstaat Liberia stets als einen unabhängigen Staat behandelt hat, wider¬
legt wird. . .

Einen Schein von Stichhaltigkeit -- und noch dazu blos auf den ersten
Blick -- hat nur der zuletzt angeführte Beschwerdegrund, daß durch das Pro¬
tectorat über das Moskitogebiet und namentlich durch die Besetzung von San
Juan de Nicaragua der Vertrag von 1830 verletzt sei. Es läßt darüber der
Vertrag keinen Zweifel. Es muß hier zuvörderst hervorgehoben werden, daß
der Vertrag abgeschlossen wurde zu einer Zeit, wo das englische Protectorat
über die Moskitoküste schon seit Jahren bestand, ohne von der Negierung der
Vereinigten Staaten angefochten worden zu sein und dieses Protectorat ist daher
als das rechtsgiltige Verhältniß zu betrachten, welches der Vertrag nur in gewis¬
sen Schranken halten soll. Indem nun der erste Artikel desselben jedes Protecto¬
rat (oder Bündniß) verbietet, welches zum Zwecke hat, Befestigungen zu errichten
oder zu unterhalten, welche den projectirten Kanal beherrschten, oder in den früher
genannten mittelamerikanischen Staaten überhaupt Befestigungen anzulegen,
sie zu occupiren oder zu colonisiren, oder ein Herrschastsrecht über dieselben zu
beanspruchen oder auszuüben, erlaubt er selbstverständlich jedes andere Pro¬
tectorat, welches sich mit einem geringeren Maß von Befugnissen begnügt. Wie
früher schon erwähnt, herrschte bei der amerikanischen Regierung nach dem Ab¬
schluß des Vertrags darüber auch gar kein Zweifel und der Staatssecretär
Webster erklärte ausdrücklich, wie es die Ansicht seiner Regierung sei, daß
England keineswegs damit jedem Rechtsanspruch auf Einmischung in die An¬
gelegenheiten von Greytown oder die Moskitoküste entsage. Daß gegen das
britische Protectorat nichts einzuwenden ist, scheint sogar die gegenwärtige
amerikanische Negierung selbst anzuerkennen, indem Mr. Buchanan in seinen
Depeschen eigenmächtig das Protectorat in ein Besitzverhältniß verwandelt,


ein Recht gehabt hätten, sich über das britische Protectorat über die Moskito¬
küste als eine Verletzung ihrer Souveränität zu beschweren, dieses Recht den
Vereinigten Staaten ganz und gar abging, darüber schwieg die englische Re¬
gierung schonend.

Der Versuch, die Aufstellung des Präsidenten Monroe als einen all¬
gemein giltigen Lehrsatz des Völkerrechts zur Anerkennung zu bringen, ist aller¬
dings von den Amerikanern mehrfach gemacht worden. Aber neue völkerrecht¬
liche Grundsätze können nur durch Zustimmung aller Betheiligten zur rechtlichen
Geltung gelangen und die einseitige Ansicht eines Präsidenten der Vereinigten
Staaten über ein völkerrechtliches Verhältniß kann für die Rechte europäischer
Staaten nicht im mindesten maßgebend sein. Ganz ebenso verhielt es sich mit
dem von der Vereinigten Staaten Regierung aufgestellten Grundsatz, daß Wilde
nach europäischem Völkerrecht keinen unabhängigen Staat bilden können, eine
Behauptung, die durch die Praxis der nordamerikanischen Republik, die den
Negerstaat Liberia stets als einen unabhängigen Staat behandelt hat, wider¬
legt wird. . .

Einen Schein von Stichhaltigkeit — und noch dazu blos auf den ersten
Blick — hat nur der zuletzt angeführte Beschwerdegrund, daß durch das Pro¬
tectorat über das Moskitogebiet und namentlich durch die Besetzung von San
Juan de Nicaragua der Vertrag von 1830 verletzt sei. Es läßt darüber der
Vertrag keinen Zweifel. Es muß hier zuvörderst hervorgehoben werden, daß
der Vertrag abgeschlossen wurde zu einer Zeit, wo das englische Protectorat
über die Moskitoküste schon seit Jahren bestand, ohne von der Negierung der
Vereinigten Staaten angefochten worden zu sein und dieses Protectorat ist daher
als das rechtsgiltige Verhältniß zu betrachten, welches der Vertrag nur in gewis¬
sen Schranken halten soll. Indem nun der erste Artikel desselben jedes Protecto¬
rat (oder Bündniß) verbietet, welches zum Zwecke hat, Befestigungen zu errichten
oder zu unterhalten, welche den projectirten Kanal beherrschten, oder in den früher
genannten mittelamerikanischen Staaten überhaupt Befestigungen anzulegen,
sie zu occupiren oder zu colonisiren, oder ein Herrschastsrecht über dieselben zu
beanspruchen oder auszuüben, erlaubt er selbstverständlich jedes andere Pro¬
tectorat, welches sich mit einem geringeren Maß von Befugnissen begnügt. Wie
früher schon erwähnt, herrschte bei der amerikanischen Regierung nach dem Ab¬
schluß des Vertrags darüber auch gar kein Zweifel und der Staatssecretär
Webster erklärte ausdrücklich, wie es die Ansicht seiner Regierung sei, daß
England keineswegs damit jedem Rechtsanspruch auf Einmischung in die An¬
gelegenheiten von Greytown oder die Moskitoküste entsage. Daß gegen das
britische Protectorat nichts einzuwenden ist, scheint sogar die gegenwärtige
amerikanische Negierung selbst anzuerkennen, indem Mr. Buchanan in seinen
Depeschen eigenmächtig das Protectorat in ein Besitzverhältniß verwandelt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/396>, abgerufen am 21.06.2024.