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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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seinem.Werthe ein Gewicht zu legen, ebensoweit ist der ehrenhafte Mann
entfernt, auf Bestrafung des Beleidigers zu dringen, ihm kommt es in der
Regel nur darauf an, seinen Standesgenossen darzuthun, daß er nicht gesonnen
sei dergleichen erfahrene Beleidigungen zu ertragen. Der Jnjurienproceß (und
dieser kann im preußischen Recht unter Umständen zu einem vom Staatsanwalt
erhobenen Anklageproccsse werden) sagt einmal Stelzer, neues Archiv für Cri-
minalrecht Band in. S. 448, "ist die Glocke, mit welcher die Schande, welche
man erlitten zu haben glaubt, erst recht ausgeläutet wird," und Mittermaier
sagt einmal, "es ist dem nicht juristischen Verstände wol zu verzeihen, wenn
er an dem Jnjurienprocesse keinen Gefallen findet, da selbst Rechtsgelehrte die
Unzweckmäßigkeit der Klage rügten." Nichtsdestoweniger ist nach § KL3 und
132 ff. des Strafgefetzbuchs der Rechtsweg das einzige Ehrenrettnngsmittel,
welches die Gesetzgebung dem Beleidigten als Surrogat für das bestrafte
Duell gibt. Wie wenig dieser Weg aber im Stande ist, dies zu sein, darüber
hat die öffentliche Meinung aller Länder seit Jahrhunderten bereits entschie¬
den. Das bisher als Ehrenrettungsmittel angesehene Duell ist von der Gesetz¬
gebung mit Strafe bedroht, und so ist der unglückliche Unterthan in der übel¬
sten Situation, von dem Staate in die traurige Lage versetzt., entweder das
mit Strafe bedrohende Duellgesetz, zu befolgen und den Makel seiner Ehre zu
ertragen, oder ab^r das Gesetz zu verletzen und seine Ehre wieder herzustellen,
da sich das alleinige Mittel, welches der Staat gewährt, hierzu als durchaus
ungeeignet erwiesen hat.

So stehen sich die öffentliche Meinung und das Gesetz direct gegenüber und
der Unterthan rathlos zwischen beiden. Kann aber nicht der Unterthan ge¬
rechterweise verlangen , daß der Gesetzgeber , wenn er das Duell verbietet,
auch Anstalten treffe, durch welche er zu dem gelange, was er nach den Ge¬
setzen der Gerechtigkeit beanspruchen darf? Strafen gegen den Zweikampf, sagen >
sehr.treffend die Motive zum hair-löcher Strafgesetzbuch von -1831 S. 180.,
lassen sich nur dann erst zur Vollziehung bringen, wenn die nothwendige Vor¬
bedingung in Erfüllung gesetzt ist, kräftige Maßregeln nämlich , in denen der
Beleidigte Schutz wider die Beleidigung und ungesäumte vollständige Neparirung
der verletzten Ehre findet.

Hiernach ist also im preußischen Recht das Duell indirvct zur Nothwen¬
digkeit geworden, während alle Stimmen sich mehr und mehr dahin vereini¬
gen, daß dasselbe verschwinde. Da die jetzige Gesetzgebung und die durch sie
gegebenen Mittel nicht hinreichen, ein Surrogat für dasselbe zu sein, so er¬
hält das Vorurtheil, welches man noch immer theilweise sür dasselbe hat, nur
neue Nahrung und die Erfüllung deö allgemeinen Wunsches wird immer wei¬
ter in die Ferne hinausgeschoben. Während das Duell durch Verbreitung
richtiger Ansichten, wie die Erfahrung lehrt und wie ich oben schon ange-


Grenzbvlen. II. 18os. 48

seinem.Werthe ein Gewicht zu legen, ebensoweit ist der ehrenhafte Mann
entfernt, auf Bestrafung des Beleidigers zu dringen, ihm kommt es in der
Regel nur darauf an, seinen Standesgenossen darzuthun, daß er nicht gesonnen
sei dergleichen erfahrene Beleidigungen zu ertragen. Der Jnjurienproceß (und
dieser kann im preußischen Recht unter Umständen zu einem vom Staatsanwalt
erhobenen Anklageproccsse werden) sagt einmal Stelzer, neues Archiv für Cri-
minalrecht Band in. S. 448, „ist die Glocke, mit welcher die Schande, welche
man erlitten zu haben glaubt, erst recht ausgeläutet wird," und Mittermaier
sagt einmal, „es ist dem nicht juristischen Verstände wol zu verzeihen, wenn
er an dem Jnjurienprocesse keinen Gefallen findet, da selbst Rechtsgelehrte die
Unzweckmäßigkeit der Klage rügten." Nichtsdestoweniger ist nach § KL3 und
132 ff. des Strafgefetzbuchs der Rechtsweg das einzige Ehrenrettnngsmittel,
welches die Gesetzgebung dem Beleidigten als Surrogat für das bestrafte
Duell gibt. Wie wenig dieser Weg aber im Stande ist, dies zu sein, darüber
hat die öffentliche Meinung aller Länder seit Jahrhunderten bereits entschie¬
den. Das bisher als Ehrenrettungsmittel angesehene Duell ist von der Gesetz¬
gebung mit Strafe bedroht, und so ist der unglückliche Unterthan in der übel¬
sten Situation, von dem Staate in die traurige Lage versetzt., entweder das
mit Strafe bedrohende Duellgesetz, zu befolgen und den Makel seiner Ehre zu
ertragen, oder ab^r das Gesetz zu verletzen und seine Ehre wieder herzustellen,
da sich das alleinige Mittel, welches der Staat gewährt, hierzu als durchaus
ungeeignet erwiesen hat.

So stehen sich die öffentliche Meinung und das Gesetz direct gegenüber und
der Unterthan rathlos zwischen beiden. Kann aber nicht der Unterthan ge¬
rechterweise verlangen , daß der Gesetzgeber , wenn er das Duell verbietet,
auch Anstalten treffe, durch welche er zu dem gelange, was er nach den Ge¬
setzen der Gerechtigkeit beanspruchen darf? Strafen gegen den Zweikampf, sagen >
sehr.treffend die Motive zum hair-löcher Strafgesetzbuch von -1831 S. 180.,
lassen sich nur dann erst zur Vollziehung bringen, wenn die nothwendige Vor¬
bedingung in Erfüllung gesetzt ist, kräftige Maßregeln nämlich , in denen der
Beleidigte Schutz wider die Beleidigung und ungesäumte vollständige Neparirung
der verletzten Ehre findet.

Hiernach ist also im preußischen Recht das Duell indirvct zur Nothwen¬
digkeit geworden, während alle Stimmen sich mehr und mehr dahin vereini¬
gen, daß dasselbe verschwinde. Da die jetzige Gesetzgebung und die durch sie
gegebenen Mittel nicht hinreichen, ein Surrogat für dasselbe zu sein, so er¬
hält das Vorurtheil, welches man noch immer theilweise sür dasselbe hat, nur
neue Nahrung und die Erfüllung deö allgemeinen Wunsches wird immer wei¬
ter in die Ferne hinausgeschoben. Während das Duell durch Verbreitung
richtiger Ansichten, wie die Erfahrung lehrt und wie ich oben schon ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/385>, abgerufen am 21.06.2024.