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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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leidigungen und leichte Thätlichkeiten bestand die Selbstrache fort, jedoch nicht
in Form deS Duells. Das heutige Duell ist erst aus der Ansage der Fehde
im Mittelalter in derselben Weise nach und nach entstanden, als es in der
Form als Gottesurtheil nach und nach gleichzeitig verschwand. Erst im 16.
Jahrhundert entwickelte sich der heutige Begriff des Duells vollständig und da¬
mit entstanden auch Gesetze über dasselbe. Die Reichsgesetze bestraften Selbst¬
hilfe und Zweikampf wegen des Vermögens; aber weder die peinliche Hals¬
gerichtsordnung von 1331, noch die Reichspolizeiordnung von 1577, noch ein
Landesgesetz-enthält Bestimmungen über den Ehrenzweikampf, und das Reichs¬
kammergericht hielt im 16. Jahrhundert dies Duell für ebenso erlaubt, als die
Vertheidigung deS Lebens. , '

Zu Ende des 16., besonders im 17. Jahrhundert war das Duelliren in
Frankreich zu einem solchen Unfug und Greuel entartet, daß z. B. in den
ersten acht Regierungsjahren Heinrichs IV. i>000 Edelleute im Zweikampfe ge¬
blieben waren. Die vielfachen damaligen Beziehungen und der Verkehr mit
Frankreich, namentlich der dreißigjährige Krieg, verbreiteten diese Entartung
auch nach Deutschland. Damals erstanden Duellgesetze in fast allen Ländern
Europas, unter denen sich besonders die von Frankreich auszeichnen. Hein¬
rich IV. erließ zuerst 1602 im April ein Edict, welches die Grundlage der
spätern französischen Gesetzgebung wurde. Es gründet sich aus das System
des Ehrengerichts, in welchem Genugthuung für erhaltene Ehrenbeleidigungen
nach dem Gewissen von Standesgenossen gewährt wurde und die strenge Be¬
strafung der dennoch stattfindenden Duelle. Wichtiger noch als das Edict von.
1602 ist das von Sully abgefaßte vom Juni 1609, welches zwar im Wesent¬
lichen das frühere erneute, jedoch mehr Ehrenstrafen als Todesstrafen anwen¬
det. Wer jemand an seiner Ehre beleidigt, verliert auf sechs Jahre sein Amt,
seine Ehren, Würden und Pensionen, muß während dieser Zeit vom Hofe
entfernt bleiben, kann innerhalb dieser Zeit auch nur durch die Begnadigung
des Königs von dieser Strafe befreit werden, sofern er gleichzeitig dem Belei¬
digten die vorgeschriebene Genugthuung gewährt. Wer aber dergleichen Wirr-
den, Pensionen :c. nicht hat, verliert ebensolange ein Drittel seiner Einkünfte,
und wenn er auch diese nicht, oder weniger als 200 Livres hat, erhält er
Zweijährige Gefängnißstrafe. Das Duell wurde gleichzeitig für infam und als
gegen die wahre Ehre laufend bezeichnet. Unter den spätern Edicten ist
besonders noch daS vom Juli 1643, vom August 1679 und 28. October 1711
Zu erwähnen, welche jedoch im Wesentlichen die frühern Bestimmungen nur
mit mehr Eingehen in das Detail wiederholten. Diese Gesetzgebung ist bis
letzt die einzige, welche das Wesen des Duells wahrhaft erkannt, und gegen
dasselbe geeignete Mittel angewendet hat. Sie lehnt sich an die öffentliche
Meinung, läßt nur Standesgenossen über Ehrensachen competent urtheilen,


leidigungen und leichte Thätlichkeiten bestand die Selbstrache fort, jedoch nicht
in Form deS Duells. Das heutige Duell ist erst aus der Ansage der Fehde
im Mittelalter in derselben Weise nach und nach entstanden, als es in der
Form als Gottesurtheil nach und nach gleichzeitig verschwand. Erst im 16.
Jahrhundert entwickelte sich der heutige Begriff des Duells vollständig und da¬
mit entstanden auch Gesetze über dasselbe. Die Reichsgesetze bestraften Selbst¬
hilfe und Zweikampf wegen des Vermögens; aber weder die peinliche Hals¬
gerichtsordnung von 1331, noch die Reichspolizeiordnung von 1577, noch ein
Landesgesetz-enthält Bestimmungen über den Ehrenzweikampf, und das Reichs¬
kammergericht hielt im 16. Jahrhundert dies Duell für ebenso erlaubt, als die
Vertheidigung deS Lebens. , '

Zu Ende des 16., besonders im 17. Jahrhundert war das Duelliren in
Frankreich zu einem solchen Unfug und Greuel entartet, daß z. B. in den
ersten acht Regierungsjahren Heinrichs IV. i>000 Edelleute im Zweikampfe ge¬
blieben waren. Die vielfachen damaligen Beziehungen und der Verkehr mit
Frankreich, namentlich der dreißigjährige Krieg, verbreiteten diese Entartung
auch nach Deutschland. Damals erstanden Duellgesetze in fast allen Ländern
Europas, unter denen sich besonders die von Frankreich auszeichnen. Hein¬
rich IV. erließ zuerst 1602 im April ein Edict, welches die Grundlage der
spätern französischen Gesetzgebung wurde. Es gründet sich aus das System
des Ehrengerichts, in welchem Genugthuung für erhaltene Ehrenbeleidigungen
nach dem Gewissen von Standesgenossen gewährt wurde und die strenge Be¬
strafung der dennoch stattfindenden Duelle. Wichtiger noch als das Edict von.
1602 ist das von Sully abgefaßte vom Juni 1609, welches zwar im Wesent¬
lichen das frühere erneute, jedoch mehr Ehrenstrafen als Todesstrafen anwen¬
det. Wer jemand an seiner Ehre beleidigt, verliert auf sechs Jahre sein Amt,
seine Ehren, Würden und Pensionen, muß während dieser Zeit vom Hofe
entfernt bleiben, kann innerhalb dieser Zeit auch nur durch die Begnadigung
des Königs von dieser Strafe befreit werden, sofern er gleichzeitig dem Belei¬
digten die vorgeschriebene Genugthuung gewährt. Wer aber dergleichen Wirr-
den, Pensionen :c. nicht hat, verliert ebensolange ein Drittel seiner Einkünfte,
und wenn er auch diese nicht, oder weniger als 200 Livres hat, erhält er
Zweijährige Gefängnißstrafe. Das Duell wurde gleichzeitig für infam und als
gegen die wahre Ehre laufend bezeichnet. Unter den spätern Edicten ist
besonders noch daS vom Juli 1643, vom August 1679 und 28. October 1711
Zu erwähnen, welche jedoch im Wesentlichen die frühern Bestimmungen nur
mit mehr Eingehen in das Detail wiederholten. Diese Gesetzgebung ist bis
letzt die einzige, welche das Wesen des Duells wahrhaft erkannt, und gegen
dasselbe geeignete Mittel angewendet hat. Sie lehnt sich an die öffentliche
Meinung, läßt nur Standesgenossen über Ehrensachen competent urtheilen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/381>, abgerufen am 21.06.2024.