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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Das Duell.
Von einem preußischen Juristen.

Alle Welt stimmt darin überein, daß das Duell nicht unbestraft bleiben
könne, nur sind über die Art und Weise, wie sich die Gesetzgebung dieses Gegen¬
standes anzunehmen habe, die Meinungen sehr verschieden. Die Gesetzgebungen
verschiedner Länder über das Duell stehen sich in ihren Principien oft diame¬
tral gegenüber. Ebenso ist die Gesetzgebung eines einzelnen Landes mit der
öffentlichen Meinung oft im vollsten Widerspruch. Es ist aber höchst mißlich,
wenn die Gesetzgebung die öffentliche Meinung, die Sitte, Lebensart und den
Charakter einer Nation erst bilden soll, wie dies unter andern so schlagend die
Geschichte der lex ?apia ?oppasa beweist.

Man darf Sitten und Lebensart nicht vermittelst der Gesetze verändern.
Will man Veränderungen vornehmen, so muß man durch Gesetze reformiren,
was durch Gesetze besteht, und durch die Lebensart ändern, was durch diese
eingeführt ist. Die gemeinsame Ueberzeugung, das Bewußtsein, welches die
Glieder eines Volkes gemeinsam durchdringt, der Volksgeist, ist die Quelle der
Gesetzgebung; und wenn das Gesetz über die Ungleichheit der Individuen zur
Herrschaft gelangen muß., so wird eben durch den Stoff, um so zu sagen,
welcher der Volksgeist, die Sitte, sür die Gesetzgebung ist, das Individuelle
einer Nation in der Gesetzgebung wiederum zu seiner Geltung gelangen und
gelangen müssen. Wie aber der individuelle Geist einer Nation sich nach und
nach verändert, und die eckig auftretenden Besonderheiten sich im Verkehr mit
andern Nationen ebenso wie bei einem einzelnen Menschen im Verkehr mit
andern allmälig abschleifen; wie er sich allmälig dem Einfluß allgemeinerer,
über den abgeschlossenen Charakter des Volkes.hinausgehender Gedanken öffnet
und seine anfängliche Schroffheit und Jsolirung verliert, so verschwindet mit
der fortschreitenden Civilisation oft was früher eine Eigenthümlichkeit, eine
Sitte einer Nation war, so wird die Sitte oft zur Unsitte, und auch die
Gesetzgebung, das treue Abbild von der verschiedenen Bildungsstufe eines
Volks wird diesen verschiedenen Entwicklungsstufen nachfolgen müssen. Wir
werden zeigen, daß zwar in der Vorzeit das Duelliren eine Sitte war, daß es
jedoch in der Gegenwart bei uns zur Unsitte geworden ist, so wie, daß der bis¬
herige Widerspruch zwischen Gesetzgebung und Volkssitte nur dadurch gelöst
werden kann, daß sich die öffentliche Meinung gegen das Duell allgemein
ausspricht. Bisher hat man überall anerkannt, paß dieser Gegenstand unlös¬
bare Schwierigkeiten sür den Gesetzgeber biete. So erklärte Friedrich der
Einzige in seinen Me-noires :c. Band "b, daß die Gewalt der größten Könige
nichts vermocht habe gegen diese barbarische Sitte des Zweikampfes; der Kar¬
dinal Richelieu lest. >Me. Oap. III. see. 2., daß man bis jetzt vergebens auf


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Das Duell.
Von einem preußischen Juristen.

Alle Welt stimmt darin überein, daß das Duell nicht unbestraft bleiben
könne, nur sind über die Art und Weise, wie sich die Gesetzgebung dieses Gegen¬
standes anzunehmen habe, die Meinungen sehr verschieden. Die Gesetzgebungen
verschiedner Länder über das Duell stehen sich in ihren Principien oft diame¬
tral gegenüber. Ebenso ist die Gesetzgebung eines einzelnen Landes mit der
öffentlichen Meinung oft im vollsten Widerspruch. Es ist aber höchst mißlich,
wenn die Gesetzgebung die öffentliche Meinung, die Sitte, Lebensart und den
Charakter einer Nation erst bilden soll, wie dies unter andern so schlagend die
Geschichte der lex ?apia ?oppasa beweist.

Man darf Sitten und Lebensart nicht vermittelst der Gesetze verändern.
Will man Veränderungen vornehmen, so muß man durch Gesetze reformiren,
was durch Gesetze besteht, und durch die Lebensart ändern, was durch diese
eingeführt ist. Die gemeinsame Ueberzeugung, das Bewußtsein, welches die
Glieder eines Volkes gemeinsam durchdringt, der Volksgeist, ist die Quelle der
Gesetzgebung; und wenn das Gesetz über die Ungleichheit der Individuen zur
Herrschaft gelangen muß., so wird eben durch den Stoff, um so zu sagen,
welcher der Volksgeist, die Sitte, sür die Gesetzgebung ist, das Individuelle
einer Nation in der Gesetzgebung wiederum zu seiner Geltung gelangen und
gelangen müssen. Wie aber der individuelle Geist einer Nation sich nach und
nach verändert, und die eckig auftretenden Besonderheiten sich im Verkehr mit
andern Nationen ebenso wie bei einem einzelnen Menschen im Verkehr mit
andern allmälig abschleifen; wie er sich allmälig dem Einfluß allgemeinerer,
über den abgeschlossenen Charakter des Volkes.hinausgehender Gedanken öffnet
und seine anfängliche Schroffheit und Jsolirung verliert, so verschwindet mit
der fortschreitenden Civilisation oft was früher eine Eigenthümlichkeit, eine
Sitte einer Nation war, so wird die Sitte oft zur Unsitte, und auch die
Gesetzgebung, das treue Abbild von der verschiedenen Bildungsstufe eines
Volks wird diesen verschiedenen Entwicklungsstufen nachfolgen müssen. Wir
werden zeigen, daß zwar in der Vorzeit das Duelliren eine Sitte war, daß es
jedoch in der Gegenwart bei uns zur Unsitte geworden ist, so wie, daß der bis¬
herige Widerspruch zwischen Gesetzgebung und Volkssitte nur dadurch gelöst
werden kann, daß sich die öffentliche Meinung gegen das Duell allgemein
ausspricht. Bisher hat man überall anerkannt, paß dieser Gegenstand unlös¬
bare Schwierigkeiten sür den Gesetzgeber biete. So erklärte Friedrich der
Einzige in seinen Me-noires :c. Band "b, daß die Gewalt der größten Könige
nichts vermocht habe gegen diese barbarische Sitte des Zweikampfes; der Kar¬
dinal Richelieu lest. >Me. Oap. III. see. 2., daß man bis jetzt vergebens auf


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[0379] Das Duell. Von einem preußischen Juristen. Alle Welt stimmt darin überein, daß das Duell nicht unbestraft bleiben könne, nur sind über die Art und Weise, wie sich die Gesetzgebung dieses Gegen¬ standes anzunehmen habe, die Meinungen sehr verschieden. Die Gesetzgebungen verschiedner Länder über das Duell stehen sich in ihren Principien oft diame¬ tral gegenüber. Ebenso ist die Gesetzgebung eines einzelnen Landes mit der öffentlichen Meinung oft im vollsten Widerspruch. Es ist aber höchst mißlich, wenn die Gesetzgebung die öffentliche Meinung, die Sitte, Lebensart und den Charakter einer Nation erst bilden soll, wie dies unter andern so schlagend die Geschichte der lex ?apia ?oppasa beweist. Man darf Sitten und Lebensart nicht vermittelst der Gesetze verändern. Will man Veränderungen vornehmen, so muß man durch Gesetze reformiren, was durch Gesetze besteht, und durch die Lebensart ändern, was durch diese eingeführt ist. Die gemeinsame Ueberzeugung, das Bewußtsein, welches die Glieder eines Volkes gemeinsam durchdringt, der Volksgeist, ist die Quelle der Gesetzgebung; und wenn das Gesetz über die Ungleichheit der Individuen zur Herrschaft gelangen muß., so wird eben durch den Stoff, um so zu sagen, welcher der Volksgeist, die Sitte, sür die Gesetzgebung ist, das Individuelle einer Nation in der Gesetzgebung wiederum zu seiner Geltung gelangen und gelangen müssen. Wie aber der individuelle Geist einer Nation sich nach und nach verändert, und die eckig auftretenden Besonderheiten sich im Verkehr mit andern Nationen ebenso wie bei einem einzelnen Menschen im Verkehr mit andern allmälig abschleifen; wie er sich allmälig dem Einfluß allgemeinerer, über den abgeschlossenen Charakter des Volkes.hinausgehender Gedanken öffnet und seine anfängliche Schroffheit und Jsolirung verliert, so verschwindet mit der fortschreitenden Civilisation oft was früher eine Eigenthümlichkeit, eine Sitte einer Nation war, so wird die Sitte oft zur Unsitte, und auch die Gesetzgebung, das treue Abbild von der verschiedenen Bildungsstufe eines Volks wird diesen verschiedenen Entwicklungsstufen nachfolgen müssen. Wir werden zeigen, daß zwar in der Vorzeit das Duelliren eine Sitte war, daß es jedoch in der Gegenwart bei uns zur Unsitte geworden ist, so wie, daß der bis¬ herige Widerspruch zwischen Gesetzgebung und Volkssitte nur dadurch gelöst werden kann, daß sich die öffentliche Meinung gegen das Duell allgemein ausspricht. Bisher hat man überall anerkannt, paß dieser Gegenstand unlös¬ bare Schwierigkeiten sür den Gesetzgeber biete. So erklärte Friedrich der Einzige in seinen Me-noires :c. Band "b, daß die Gewalt der größten Könige nichts vermocht habe gegen diese barbarische Sitte des Zweikampfes; der Kar¬ dinal Richelieu lest. >Me. Oap. III. see. 2., daß man bis jetzt vergebens auf 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/379>, abgerufen am 21.06.2024.