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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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man sie zu lange, so wird auch das beste Talent der Gefahr ausgesetzt, seine
Kraft in kleinen Erfindungen auszugeben, die zuletzt zu unkünstlerischer Detail¬
malerei verführen. Wenn aber der Dichter sich zu einem Gemälde in größerem
Stil entschließen wollte, so würde für die Technik und Composition W. Scott
das passendste Vorbild sein. Wir können uns vorstellen, daß bei seiner eigen¬
thümlichen, feinen, etwas zarten ästhetischen Bildung, die sich in ihren letzten
Fäden noch in die romantische Schule verzweigt, dieser Dichter ihm widerstrebt.
Aber für die Technik kann man auch bei demjenigen lernen,'dem man in der
Anlage entgegengesetzt ist; ja ein solches Studium ist das fruchtbarste. Seit¬
dem das eigentliche Epos aus dem Kreise der Poesie zurückgetreten ist, hat
W. Scott ohne viel Nachdenken und Reflexion durch seinen richtigen Jnstinct
und seine gesunde Natur das Gesetz aufgefunden, welches noch in keiner Weise
überboten ist. Man hat früher seine Zigeuner, seine Bettler, seine hochländi¬
schen Räuber nachgebildet, ohne viel Erfolg; auf das innere Gesetz und die
Methode seines Schaffens hat man weniger Aufmerksamkeit verwandt. Dem
gegenwärtigen Berichterstatter wird die Bemerkung erlaubt sein, daß der un¬
gewöhnliche Erfolg, den der Roman seines Freundes, "Soll und Haben",
davongetragen hat, wenigstens zum Theil darauf beruht, daß der Dichter sich
die Gesetze seiner poetischen Gattung, wie sie W. Scott aufgestellt, durch sorg¬
fältiges und eindringendes Studium angeeignet hat. Wir Deutschen bedürfen
dieser Zucht am meisten, weil unsre besten Dichter es in der Regel vergessen
haben, daß die geistvollsten Erfindungen nicht genügen, wenn man nicht so er¬
zählt, wie erzählt werden muß, um den Zuhörer in Spannung zu erhalten.
Wenn es Hermann Grimm gelingt, die angeborene Gabe, zu schauen, die
keine Kritik ersetzen kann, mit der richtigen Kunstform zu verbinden, die durch
ernsthaftes Studium wesentlich gefördert wird, so kann er etwas Vorzügliches
leisten. --




Literatur.

Juristische Abhandlungen. Von Dr. Hermann Wasserschleben,
Professor der Rechte an der Universität Gießen. Gießen, 18S6. -- Die in dieser
Schrift enthaltenen Abhandlungen sind den "Hitscheidungsgründen entnommen, welche
der Herr Versasser als Referent in der dem gießener Spruchcollegium überwiesenen
gräflich bcntinckschcn Proceßsache zu seinem Urtheilsentwurf ausgearbeitet hatte.

Der benttncksche Proceß ist bekanntlich im Jahr nicht 5urch Vergleich
Zwischen den Parteien, sondern durch eine Uebereinkunft der oldenburgschen Re¬
gierung mit der klägerischen Partei beendigt worden, und dieser der beklagten Partei
durchaus und in jeder Hinsicht nachtheiligen Uebereinkunft hat sich die letztere unter¬
werfen müssen.

Hätte die deutsche Presse dem Verlaufe jenes Processes nur halb die Aufmerk-


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man sie zu lange, so wird auch das beste Talent der Gefahr ausgesetzt, seine
Kraft in kleinen Erfindungen auszugeben, die zuletzt zu unkünstlerischer Detail¬
malerei verführen. Wenn aber der Dichter sich zu einem Gemälde in größerem
Stil entschließen wollte, so würde für die Technik und Composition W. Scott
das passendste Vorbild sein. Wir können uns vorstellen, daß bei seiner eigen¬
thümlichen, feinen, etwas zarten ästhetischen Bildung, die sich in ihren letzten
Fäden noch in die romantische Schule verzweigt, dieser Dichter ihm widerstrebt.
Aber für die Technik kann man auch bei demjenigen lernen,'dem man in der
Anlage entgegengesetzt ist; ja ein solches Studium ist das fruchtbarste. Seit¬
dem das eigentliche Epos aus dem Kreise der Poesie zurückgetreten ist, hat
W. Scott ohne viel Nachdenken und Reflexion durch seinen richtigen Jnstinct
und seine gesunde Natur das Gesetz aufgefunden, welches noch in keiner Weise
überboten ist. Man hat früher seine Zigeuner, seine Bettler, seine hochländi¬
schen Räuber nachgebildet, ohne viel Erfolg; auf das innere Gesetz und die
Methode seines Schaffens hat man weniger Aufmerksamkeit verwandt. Dem
gegenwärtigen Berichterstatter wird die Bemerkung erlaubt sein, daß der un¬
gewöhnliche Erfolg, den der Roman seines Freundes, „Soll und Haben",
davongetragen hat, wenigstens zum Theil darauf beruht, daß der Dichter sich
die Gesetze seiner poetischen Gattung, wie sie W. Scott aufgestellt, durch sorg¬
fältiges und eindringendes Studium angeeignet hat. Wir Deutschen bedürfen
dieser Zucht am meisten, weil unsre besten Dichter es in der Regel vergessen
haben, daß die geistvollsten Erfindungen nicht genügen, wenn man nicht so er¬
zählt, wie erzählt werden muß, um den Zuhörer in Spannung zu erhalten.
Wenn es Hermann Grimm gelingt, die angeborene Gabe, zu schauen, die
keine Kritik ersetzen kann, mit der richtigen Kunstform zu verbinden, die durch
ernsthaftes Studium wesentlich gefördert wird, so kann er etwas Vorzügliches
leisten. —




Literatur.

Juristische Abhandlungen. Von Dr. Hermann Wasserschleben,
Professor der Rechte an der Universität Gießen. Gießen, 18S6. — Die in dieser
Schrift enthaltenen Abhandlungen sind den «Hitscheidungsgründen entnommen, welche
der Herr Versasser als Referent in der dem gießener Spruchcollegium überwiesenen
gräflich bcntinckschcn Proceßsache zu seinem Urtheilsentwurf ausgearbeitet hatte.

Der benttncksche Proceß ist bekanntlich im Jahr nicht 5urch Vergleich
Zwischen den Parteien, sondern durch eine Uebereinkunft der oldenburgschen Re¬
gierung mit der klägerischen Partei beendigt worden, und dieser der beklagten Partei
durchaus und in jeder Hinsicht nachtheiligen Uebereinkunft hat sich die letztere unter¬
werfen müssen.

Hätte die deutsche Presse dem Verlaufe jenes Processes nur halb die Aufmerk-


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[0363] man sie zu lange, so wird auch das beste Talent der Gefahr ausgesetzt, seine Kraft in kleinen Erfindungen auszugeben, die zuletzt zu unkünstlerischer Detail¬ malerei verführen. Wenn aber der Dichter sich zu einem Gemälde in größerem Stil entschließen wollte, so würde für die Technik und Composition W. Scott das passendste Vorbild sein. Wir können uns vorstellen, daß bei seiner eigen¬ thümlichen, feinen, etwas zarten ästhetischen Bildung, die sich in ihren letzten Fäden noch in die romantische Schule verzweigt, dieser Dichter ihm widerstrebt. Aber für die Technik kann man auch bei demjenigen lernen,'dem man in der Anlage entgegengesetzt ist; ja ein solches Studium ist das fruchtbarste. Seit¬ dem das eigentliche Epos aus dem Kreise der Poesie zurückgetreten ist, hat W. Scott ohne viel Nachdenken und Reflexion durch seinen richtigen Jnstinct und seine gesunde Natur das Gesetz aufgefunden, welches noch in keiner Weise überboten ist. Man hat früher seine Zigeuner, seine Bettler, seine hochländi¬ schen Räuber nachgebildet, ohne viel Erfolg; auf das innere Gesetz und die Methode seines Schaffens hat man weniger Aufmerksamkeit verwandt. Dem gegenwärtigen Berichterstatter wird die Bemerkung erlaubt sein, daß der un¬ gewöhnliche Erfolg, den der Roman seines Freundes, „Soll und Haben", davongetragen hat, wenigstens zum Theil darauf beruht, daß der Dichter sich die Gesetze seiner poetischen Gattung, wie sie W. Scott aufgestellt, durch sorg¬ fältiges und eindringendes Studium angeeignet hat. Wir Deutschen bedürfen dieser Zucht am meisten, weil unsre besten Dichter es in der Regel vergessen haben, daß die geistvollsten Erfindungen nicht genügen, wenn man nicht so er¬ zählt, wie erzählt werden muß, um den Zuhörer in Spannung zu erhalten. Wenn es Hermann Grimm gelingt, die angeborene Gabe, zu schauen, die keine Kritik ersetzen kann, mit der richtigen Kunstform zu verbinden, die durch ernsthaftes Studium wesentlich gefördert wird, so kann er etwas Vorzügliches leisten. — Literatur. Juristische Abhandlungen. Von Dr. Hermann Wasserschleben, Professor der Rechte an der Universität Gießen. Gießen, 18S6. — Die in dieser Schrift enthaltenen Abhandlungen sind den «Hitscheidungsgründen entnommen, welche der Herr Versasser als Referent in der dem gießener Spruchcollegium überwiesenen gräflich bcntinckschcn Proceßsache zu seinem Urtheilsentwurf ausgearbeitet hatte. Der benttncksche Proceß ist bekanntlich im Jahr nicht 5urch Vergleich Zwischen den Parteien, sondern durch eine Uebereinkunft der oldenburgschen Re¬ gierung mit der klägerischen Partei beendigt worden, und dieser der beklagten Partei durchaus und in jeder Hinsicht nachtheiligen Uebereinkunft hat sich die letztere unter¬ werfen müssen. Hätte die deutsche Presse dem Verlaufe jenes Processes nur halb die Aufmerk- 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/363>, abgerufen am 21.06.2024.