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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sten Hinweis auf die erkannten Grundgesetze genügt werden. In keinem Fall
aber kann eine unklare Gefühlsanregung fördernd wirken. Denn eine solche
läßt das dilettantische Begriffsvermögen und die gemüthliche Gereiztheit nur
allzuleicht zu einer gewissen mystischen Selbstbefriedigung und zu einem theo¬
logischen Pietismus abirren, der gar nahe verwandt ist mit jener Denkfaulheit,
deren Begünstigung ein so probates Mittel der religiösen und politischen
Reactionsbestrebungen ist. Und wir dürfen ja niemals vergessen, daß ihre
Organe, indem sie sich von vornherein an die Gemüthsbequemlichkeit wenden,
grade in den dilettantischen und halbgebildeter Massen einen bedeutenden Vor¬
sprung haben.

Allerdings ist der Sinn für Geschichtswissenschaft, welcher noch um einige
Jahre älter als der für die Naturwissenschaften, gegen solche Nückwendungen
ein gutes Antidot, allein die Behandlung der Geschichte als allgemeines Sln-
regungs- und Bildungsmittel ist in der journalistischen Form weit schwieriger,
als in der Naturwissenschaft. Die Buchliteratur dieser Richtung entwickelt sich
nun allerdings staunenswerth. Ihre unmittelbare Wirkung äußert sie jedoch
mehr auf ein der Beschaulichkeit überhaupt zugänglicheres Publicum, auch mehr
auf gereifter" Lebensjahre und Lebensanschauungen, während die naturwissen-
lchafrliche Journalistik sich im Allgemeinen doch vorzugsweise an das heran¬
reifende Geschlecht und an die Vertreter praktischer Thätigkeiten zu richten hat.
In der Geschichtswissenschaft ist nun vor allem und über alles das Cultur¬
moment dasjenige, welches seine populäre Anerkennung fordern muß. Und
"ach dieser Seite gewinnt ein Unternehmen Bedeutsamkeit, , welches im
neuen Jahr zur Ausführung gedieh. Es ist dies die "Zeitschrift für deutsche
Kulturgeschichte", welche in Nürnberg erscheint. Ihre Tendenz geht dahin, den
^'l)r zerstreuten Materialien zur Kenntniß der Gesellschaftszustände früherer
Jahrhunderte zum Centralorgan zu dienen. Die Idee ist sicherlich zeitgemäß
und man darf bei weiterer Entwicklung des Unternehmens auch hoffen, daß die
Ausführung den Intentionen des Begründers vollständig entsprechen wird.
Geschieht dies, so ist die Popularität der Zeitschrift ebenso gewiß, als ihr Ein¬
fluß auf die historischen Anschauungen deö größeren Publicums.

Am Schlüsse unsrer Uebersicht müssen wir wiederholen, daß es nicht auf
e'Um Zeitungskatalog von möglichster Vollständigkeit ankam. Einziger Zweck
blieb vielmehr der Hinweis auf die verschiedenen geistigen Strömungen der
Gegenwart und deren bemerkenswertheste Vertretung in der deutschen Zeit-
schriftenliteratur. Leider haben die volkswirthschaftlichen Annäherungen zwischen
Oestreich und Deutschland sich noch nicht zur Consequenz einer innerliche"
Verflechtung der deutschen und östreichischen Tagesliieratur entwickelt. Es soll
nicht geleugnet werden, daß die außeröstreichische Presse einen Theil der
Schuld davon trägt; sie könnte wol hier und da entgegenkommender sein. Der


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sten Hinweis auf die erkannten Grundgesetze genügt werden. In keinem Fall
aber kann eine unklare Gefühlsanregung fördernd wirken. Denn eine solche
läßt das dilettantische Begriffsvermögen und die gemüthliche Gereiztheit nur
allzuleicht zu einer gewissen mystischen Selbstbefriedigung und zu einem theo¬
logischen Pietismus abirren, der gar nahe verwandt ist mit jener Denkfaulheit,
deren Begünstigung ein so probates Mittel der religiösen und politischen
Reactionsbestrebungen ist. Und wir dürfen ja niemals vergessen, daß ihre
Organe, indem sie sich von vornherein an die Gemüthsbequemlichkeit wenden,
grade in den dilettantischen und halbgebildeter Massen einen bedeutenden Vor¬
sprung haben.

Allerdings ist der Sinn für Geschichtswissenschaft, welcher noch um einige
Jahre älter als der für die Naturwissenschaften, gegen solche Nückwendungen
ein gutes Antidot, allein die Behandlung der Geschichte als allgemeines Sln-
regungs- und Bildungsmittel ist in der journalistischen Form weit schwieriger,
als in der Naturwissenschaft. Die Buchliteratur dieser Richtung entwickelt sich
nun allerdings staunenswerth. Ihre unmittelbare Wirkung äußert sie jedoch
mehr auf ein der Beschaulichkeit überhaupt zugänglicheres Publicum, auch mehr
auf gereifter« Lebensjahre und Lebensanschauungen, während die naturwissen-
lchafrliche Journalistik sich im Allgemeinen doch vorzugsweise an das heran¬
reifende Geschlecht und an die Vertreter praktischer Thätigkeiten zu richten hat.
In der Geschichtswissenschaft ist nun vor allem und über alles das Cultur¬
moment dasjenige, welches seine populäre Anerkennung fordern muß. Und
»ach dieser Seite gewinnt ein Unternehmen Bedeutsamkeit, , welches im
neuen Jahr zur Ausführung gedieh. Es ist dies die „Zeitschrift für deutsche
Kulturgeschichte", welche in Nürnberg erscheint. Ihre Tendenz geht dahin, den
^'l)r zerstreuten Materialien zur Kenntniß der Gesellschaftszustände früherer
Jahrhunderte zum Centralorgan zu dienen. Die Idee ist sicherlich zeitgemäß
und man darf bei weiterer Entwicklung des Unternehmens auch hoffen, daß die
Ausführung den Intentionen des Begründers vollständig entsprechen wird.
Geschieht dies, so ist die Popularität der Zeitschrift ebenso gewiß, als ihr Ein¬
fluß auf die historischen Anschauungen deö größeren Publicums.

Am Schlüsse unsrer Uebersicht müssen wir wiederholen, daß es nicht auf
e'Um Zeitungskatalog von möglichster Vollständigkeit ankam. Einziger Zweck
blieb vielmehr der Hinweis auf die verschiedenen geistigen Strömungen der
Gegenwart und deren bemerkenswertheste Vertretung in der deutschen Zeit-
schriftenliteratur. Leider haben die volkswirthschaftlichen Annäherungen zwischen
Oestreich und Deutschland sich noch nicht zur Consequenz einer innerliche«
Verflechtung der deutschen und östreichischen Tagesliieratur entwickelt. Es soll
nicht geleugnet werden, daß die außeröstreichische Presse einen Theil der
Schuld davon trägt; sie könnte wol hier und da entgegenkommender sein. Der


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[0353] sten Hinweis auf die erkannten Grundgesetze genügt werden. In keinem Fall aber kann eine unklare Gefühlsanregung fördernd wirken. Denn eine solche läßt das dilettantische Begriffsvermögen und die gemüthliche Gereiztheit nur allzuleicht zu einer gewissen mystischen Selbstbefriedigung und zu einem theo¬ logischen Pietismus abirren, der gar nahe verwandt ist mit jener Denkfaulheit, deren Begünstigung ein so probates Mittel der religiösen und politischen Reactionsbestrebungen ist. Und wir dürfen ja niemals vergessen, daß ihre Organe, indem sie sich von vornherein an die Gemüthsbequemlichkeit wenden, grade in den dilettantischen und halbgebildeter Massen einen bedeutenden Vor¬ sprung haben. Allerdings ist der Sinn für Geschichtswissenschaft, welcher noch um einige Jahre älter als der für die Naturwissenschaften, gegen solche Nückwendungen ein gutes Antidot, allein die Behandlung der Geschichte als allgemeines Sln- regungs- und Bildungsmittel ist in der journalistischen Form weit schwieriger, als in der Naturwissenschaft. Die Buchliteratur dieser Richtung entwickelt sich nun allerdings staunenswerth. Ihre unmittelbare Wirkung äußert sie jedoch mehr auf ein der Beschaulichkeit überhaupt zugänglicheres Publicum, auch mehr auf gereifter« Lebensjahre und Lebensanschauungen, während die naturwissen- lchafrliche Journalistik sich im Allgemeinen doch vorzugsweise an das heran¬ reifende Geschlecht und an die Vertreter praktischer Thätigkeiten zu richten hat. In der Geschichtswissenschaft ist nun vor allem und über alles das Cultur¬ moment dasjenige, welches seine populäre Anerkennung fordern muß. Und »ach dieser Seite gewinnt ein Unternehmen Bedeutsamkeit, , welches im neuen Jahr zur Ausführung gedieh. Es ist dies die „Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte", welche in Nürnberg erscheint. Ihre Tendenz geht dahin, den ^'l)r zerstreuten Materialien zur Kenntniß der Gesellschaftszustände früherer Jahrhunderte zum Centralorgan zu dienen. Die Idee ist sicherlich zeitgemäß und man darf bei weiterer Entwicklung des Unternehmens auch hoffen, daß die Ausführung den Intentionen des Begründers vollständig entsprechen wird. Geschieht dies, so ist die Popularität der Zeitschrift ebenso gewiß, als ihr Ein¬ fluß auf die historischen Anschauungen deö größeren Publicums. Am Schlüsse unsrer Uebersicht müssen wir wiederholen, daß es nicht auf e'Um Zeitungskatalog von möglichster Vollständigkeit ankam. Einziger Zweck blieb vielmehr der Hinweis auf die verschiedenen geistigen Strömungen der Gegenwart und deren bemerkenswertheste Vertretung in der deutschen Zeit- schriftenliteratur. Leider haben die volkswirthschaftlichen Annäherungen zwischen Oestreich und Deutschland sich noch nicht zur Consequenz einer innerliche« Verflechtung der deutschen und östreichischen Tagesliieratur entwickelt. Es soll nicht geleugnet werden, daß die außeröstreichische Presse einen Theil der Schuld davon trägt; sie könnte wol hier und da entgegenkommender sein. Der Grenzboten. II. 18os. ° 4»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/353>, abgerufen am 21.06.2024.