Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber der Fall, so reicht die Presse auch vollkommen aus, um den Mißbrauch
der Presse zu bekämpfen. Die deutsche Journalistik hat dafür aus politischem
Gebiete bereits den Beweis geführt, als sie noch viel unreifer, viel weniger
organistrt, aber freilich vom Bewußtsein wirklicher Freiheit innerhalb des Ge¬
setzes getragen war und sich als wahrhafte Vertreterin der nationalen Inter¬
essen betrachten durfte. Sie wird den Beweis auf volkswirthschaftlichen Ge¬
biet ebensowenig schuldig bleiben, und hat ihn bereits, trotz äußerer Ungunst
der Verhältnisse, nach den verschiedensten Richtungen siegreich angetreten. --

Es kann nicht in unsrer Absicht liegen, hier auch die periodische Literatur
der Facultätsfächer zu berühren. Selbst indem wir die Zeitschriften der allgemei--
nen Wissenschaften ins Auge fassen, müssen wir uns aus wenige Bemerkungen
beschränken. So weit sich dieselben an ein größeres Publicum wenden, sehen
wir, wie auch in der Buchliteratur die lebhafteste Thätigkeit in den historischen
Disciplinen -- Naturwissenschaften und Geographie (im höhern Sinne) auf
der einen, Geschichtswissenschaft auf der andern Seite. In der Naturwissenschaft
verfolgt die Journalistik dieselben Lieblingsziele, wie in der modernen Buch-
litcratur und es drohen ihr demgemäß wol auch zum Theil dieselben Gefahren.
Indem sie vorzugsweise die kosmische und tellurische Entstehungsgeschichte im
Auge hält und die natürlichen Entwicklungsgesetze zu popularistren sucht, sührt
sie nur allzugern und allzuhäufig den Streit zwischen der materialistischen Rich¬
tung und ihren Gegnern gewissermaßen zur Entscheidung vor ein Publicum,
dem sie doch andrerseits -- und mit vollstem Rechte -- nur eine dilettantische
Stellung zu den Wissenschaftsfragen zugesteht. Dabei hält sie sich von den
religiösen und politischen Nebenfragen nicht fern. Andrerseits aber erstreben
auch manche Zeitschriften dieser Gebiete ihre Popularität in einer falschen Belle¬
tristik, in welcher das didaktische Element sich bis zur Unerkennbarkeit zersetzt.
Oder ihre Arbeiten verfallen in eine ästhetisirende Natursenlimcntalität, welche
mit dem stilistischen Apparat für allerlei Gefühlserregungen, die machtvolle Wucht
einer Eröffnung des Blickes in das Walten der Naturkräfte zu lauter kleinen
"Emotionen" zersplittert, ohne daß das positive Wissen dabei gewinnt. Diese
Mode erscheint um so bedenklicher, als sie dem praktischen wie dem ethischen
Grunde der ganzen naturwissenschaftlichen Neigung unsrer Gegenwart schnur¬
stracks zuwiderläuft. Denn diese entsprang entweder dem directen Bedürfnisse
nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen, um dieselben bei den einzelnen Ge¬
schäftsthätigkeiten verwerthen zu können, oder sie war das Ergebniß einer
Niedergedrücktheit, welche die Ueberzeugung von einer festbegründeten Gesetz¬
mäßigkeit des Weltlebens, die von den Verwirrungen des Menschen- und
Staatenlebens erschüttert worden war, im Anschauen der Natur wieder zu be¬
festigen sucht. Dem einen dieser Bedürfnisse muß also durch kia.re Darstellung
der wissenschaftlich festgestellten Thatsachen, dem andern durch den entschieden-


aber der Fall, so reicht die Presse auch vollkommen aus, um den Mißbrauch
der Presse zu bekämpfen. Die deutsche Journalistik hat dafür aus politischem
Gebiete bereits den Beweis geführt, als sie noch viel unreifer, viel weniger
organistrt, aber freilich vom Bewußtsein wirklicher Freiheit innerhalb des Ge¬
setzes getragen war und sich als wahrhafte Vertreterin der nationalen Inter¬
essen betrachten durfte. Sie wird den Beweis auf volkswirthschaftlichen Ge¬
biet ebensowenig schuldig bleiben, und hat ihn bereits, trotz äußerer Ungunst
der Verhältnisse, nach den verschiedensten Richtungen siegreich angetreten. —

Es kann nicht in unsrer Absicht liegen, hier auch die periodische Literatur
der Facultätsfächer zu berühren. Selbst indem wir die Zeitschriften der allgemei--
nen Wissenschaften ins Auge fassen, müssen wir uns aus wenige Bemerkungen
beschränken. So weit sich dieselben an ein größeres Publicum wenden, sehen
wir, wie auch in der Buchliteratur die lebhafteste Thätigkeit in den historischen
Disciplinen — Naturwissenschaften und Geographie (im höhern Sinne) auf
der einen, Geschichtswissenschaft auf der andern Seite. In der Naturwissenschaft
verfolgt die Journalistik dieselben Lieblingsziele, wie in der modernen Buch-
litcratur und es drohen ihr demgemäß wol auch zum Theil dieselben Gefahren.
Indem sie vorzugsweise die kosmische und tellurische Entstehungsgeschichte im
Auge hält und die natürlichen Entwicklungsgesetze zu popularistren sucht, sührt
sie nur allzugern und allzuhäufig den Streit zwischen der materialistischen Rich¬
tung und ihren Gegnern gewissermaßen zur Entscheidung vor ein Publicum,
dem sie doch andrerseits — und mit vollstem Rechte — nur eine dilettantische
Stellung zu den Wissenschaftsfragen zugesteht. Dabei hält sie sich von den
religiösen und politischen Nebenfragen nicht fern. Andrerseits aber erstreben
auch manche Zeitschriften dieser Gebiete ihre Popularität in einer falschen Belle¬
tristik, in welcher das didaktische Element sich bis zur Unerkennbarkeit zersetzt.
Oder ihre Arbeiten verfallen in eine ästhetisirende Natursenlimcntalität, welche
mit dem stilistischen Apparat für allerlei Gefühlserregungen, die machtvolle Wucht
einer Eröffnung des Blickes in das Walten der Naturkräfte zu lauter kleinen
„Emotionen" zersplittert, ohne daß das positive Wissen dabei gewinnt. Diese
Mode erscheint um so bedenklicher, als sie dem praktischen wie dem ethischen
Grunde der ganzen naturwissenschaftlichen Neigung unsrer Gegenwart schnur¬
stracks zuwiderläuft. Denn diese entsprang entweder dem directen Bedürfnisse
nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen, um dieselben bei den einzelnen Ge¬
schäftsthätigkeiten verwerthen zu können, oder sie war das Ergebniß einer
Niedergedrücktheit, welche die Ueberzeugung von einer festbegründeten Gesetz¬
mäßigkeit des Weltlebens, die von den Verwirrungen des Menschen- und
Staatenlebens erschüttert worden war, im Anschauen der Natur wieder zu be¬
festigen sucht. Dem einen dieser Bedürfnisse muß also durch kia.re Darstellung
der wissenschaftlich festgestellten Thatsachen, dem andern durch den entschieden-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101879"/>
          <p xml:id="ID_902" prev="#ID_901"> aber der Fall, so reicht die Presse auch vollkommen aus, um den Mißbrauch<lb/>
der Presse zu bekämpfen. Die deutsche Journalistik hat dafür aus politischem<lb/>
Gebiete bereits den Beweis geführt, als sie noch viel unreifer, viel weniger<lb/>
organistrt, aber freilich vom Bewußtsein wirklicher Freiheit innerhalb des Ge¬<lb/>
setzes getragen war und sich als wahrhafte Vertreterin der nationalen Inter¬<lb/>
essen betrachten durfte. Sie wird den Beweis auf volkswirthschaftlichen Ge¬<lb/>
biet ebensowenig schuldig bleiben, und hat ihn bereits, trotz äußerer Ungunst<lb/>
der Verhältnisse, nach den verschiedensten Richtungen siegreich angetreten. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_903" next="#ID_904"> Es kann nicht in unsrer Absicht liegen, hier auch die periodische Literatur<lb/>
der Facultätsfächer zu berühren. Selbst indem wir die Zeitschriften der allgemei--<lb/>
nen Wissenschaften ins Auge fassen, müssen wir uns aus wenige Bemerkungen<lb/>
beschränken. So weit sich dieselben an ein größeres Publicum wenden, sehen<lb/>
wir, wie auch in der Buchliteratur die lebhafteste Thätigkeit in den historischen<lb/>
Disciplinen &#x2014; Naturwissenschaften und Geographie (im höhern Sinne) auf<lb/>
der einen, Geschichtswissenschaft auf der andern Seite. In der Naturwissenschaft<lb/>
verfolgt die Journalistik dieselben Lieblingsziele, wie in der modernen Buch-<lb/>
litcratur und es drohen ihr demgemäß wol auch zum Theil dieselben Gefahren.<lb/>
Indem sie vorzugsweise die kosmische und tellurische Entstehungsgeschichte im<lb/>
Auge hält und die natürlichen Entwicklungsgesetze zu popularistren sucht, sührt<lb/>
sie nur allzugern und allzuhäufig den Streit zwischen der materialistischen Rich¬<lb/>
tung und ihren Gegnern gewissermaßen zur Entscheidung vor ein Publicum,<lb/>
dem sie doch andrerseits &#x2014; und mit vollstem Rechte &#x2014; nur eine dilettantische<lb/>
Stellung zu den Wissenschaftsfragen zugesteht. Dabei hält sie sich von den<lb/>
religiösen und politischen Nebenfragen nicht fern. Andrerseits aber erstreben<lb/>
auch manche Zeitschriften dieser Gebiete ihre Popularität in einer falschen Belle¬<lb/>
tristik, in welcher das didaktische Element sich bis zur Unerkennbarkeit zersetzt.<lb/>
Oder ihre Arbeiten verfallen in eine ästhetisirende Natursenlimcntalität, welche<lb/>
mit dem stilistischen Apparat für allerlei Gefühlserregungen, die machtvolle Wucht<lb/>
einer Eröffnung des Blickes in das Walten der Naturkräfte zu lauter kleinen<lb/>
&#x201E;Emotionen" zersplittert, ohne daß das positive Wissen dabei gewinnt. Diese<lb/>
Mode erscheint um so bedenklicher, als sie dem praktischen wie dem ethischen<lb/>
Grunde der ganzen naturwissenschaftlichen Neigung unsrer Gegenwart schnur¬<lb/>
stracks zuwiderläuft. Denn diese entsprang entweder dem directen Bedürfnisse<lb/>
nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen, um dieselben bei den einzelnen Ge¬<lb/>
schäftsthätigkeiten verwerthen zu können, oder sie war das Ergebniß einer<lb/>
Niedergedrücktheit, welche die Ueberzeugung von einer festbegründeten Gesetz¬<lb/>
mäßigkeit des Weltlebens, die von den Verwirrungen des Menschen- und<lb/>
Staatenlebens erschüttert worden war, im Anschauen der Natur wieder zu be¬<lb/>
festigen sucht. Dem einen dieser Bedürfnisse muß also durch kia.re Darstellung<lb/>
der wissenschaftlich festgestellten Thatsachen, dem andern durch den entschieden-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] aber der Fall, so reicht die Presse auch vollkommen aus, um den Mißbrauch der Presse zu bekämpfen. Die deutsche Journalistik hat dafür aus politischem Gebiete bereits den Beweis geführt, als sie noch viel unreifer, viel weniger organistrt, aber freilich vom Bewußtsein wirklicher Freiheit innerhalb des Ge¬ setzes getragen war und sich als wahrhafte Vertreterin der nationalen Inter¬ essen betrachten durfte. Sie wird den Beweis auf volkswirthschaftlichen Ge¬ biet ebensowenig schuldig bleiben, und hat ihn bereits, trotz äußerer Ungunst der Verhältnisse, nach den verschiedensten Richtungen siegreich angetreten. — Es kann nicht in unsrer Absicht liegen, hier auch die periodische Literatur der Facultätsfächer zu berühren. Selbst indem wir die Zeitschriften der allgemei-- nen Wissenschaften ins Auge fassen, müssen wir uns aus wenige Bemerkungen beschränken. So weit sich dieselben an ein größeres Publicum wenden, sehen wir, wie auch in der Buchliteratur die lebhafteste Thätigkeit in den historischen Disciplinen — Naturwissenschaften und Geographie (im höhern Sinne) auf der einen, Geschichtswissenschaft auf der andern Seite. In der Naturwissenschaft verfolgt die Journalistik dieselben Lieblingsziele, wie in der modernen Buch- litcratur und es drohen ihr demgemäß wol auch zum Theil dieselben Gefahren. Indem sie vorzugsweise die kosmische und tellurische Entstehungsgeschichte im Auge hält und die natürlichen Entwicklungsgesetze zu popularistren sucht, sührt sie nur allzugern und allzuhäufig den Streit zwischen der materialistischen Rich¬ tung und ihren Gegnern gewissermaßen zur Entscheidung vor ein Publicum, dem sie doch andrerseits — und mit vollstem Rechte — nur eine dilettantische Stellung zu den Wissenschaftsfragen zugesteht. Dabei hält sie sich von den religiösen und politischen Nebenfragen nicht fern. Andrerseits aber erstreben auch manche Zeitschriften dieser Gebiete ihre Popularität in einer falschen Belle¬ tristik, in welcher das didaktische Element sich bis zur Unerkennbarkeit zersetzt. Oder ihre Arbeiten verfallen in eine ästhetisirende Natursenlimcntalität, welche mit dem stilistischen Apparat für allerlei Gefühlserregungen, die machtvolle Wucht einer Eröffnung des Blickes in das Walten der Naturkräfte zu lauter kleinen „Emotionen" zersplittert, ohne daß das positive Wissen dabei gewinnt. Diese Mode erscheint um so bedenklicher, als sie dem praktischen wie dem ethischen Grunde der ganzen naturwissenschaftlichen Neigung unsrer Gegenwart schnur¬ stracks zuwiderläuft. Denn diese entsprang entweder dem directen Bedürfnisse nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen, um dieselben bei den einzelnen Ge¬ schäftsthätigkeiten verwerthen zu können, oder sie war das Ergebniß einer Niedergedrücktheit, welche die Ueberzeugung von einer festbegründeten Gesetz¬ mäßigkeit des Weltlebens, die von den Verwirrungen des Menschen- und Staatenlebens erschüttert worden war, im Anschauen der Natur wieder zu be¬ festigen sucht. Dem einen dieser Bedürfnisse muß also durch kia.re Darstellung der wissenschaftlich festgestellten Thatsachen, dem andern durch den entschieden-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/352>, abgerufen am 21.06.2024.