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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Hauptgrund fortdauernder Scheidung beider Zeitungsgruppen liegt aber in den
so grundverschiedenen Voraussetzungen, aus welchen und auf welche hin sich
beide an ihr Publicum wenden. Der große Aufschwung der östreichischen
Tagespresse ist eine so anerkannte Thatsache, daß ihre nähere Berührung voll¬
kommen überflüssig. Allein ebensowenig läßt es sich ableugnen, daß das
specifisch-östreichische Bewußtsein, von welchem ihre gesammte Haltung auch bei
nationalen Fragen bedingt wird, deren Wechselwirkung mit der außeröstreichi-
schen Zeitungswelt ebenso hemmend entgegensteht, als die particularistische
Tendenz mancher gouvernementalen Organe Deutschlands deren allgemeinerer
Verbreitung und Wirksamkeit. Dies würde sich unabsehb.ar vermehren und die
nichtöstreichischen Zeitschriften würden bis aus ganz indifferente Ausnahmen
auch wieder aus Oestreich gänzlich ausgeschlossen werden, wenn die Hierarchie
jene Machtvollkommenheit in Bezug auf die Presse gewönne, die sie ans den
Satzungen des Concordatö vom 18. August 1856, ableitet. Ihre zufahrende
Hast, womit sie sich derselben noch vor Regelung der Grenzen zwischen Staats¬
und Bischofsbefugniß zu bemächtigen suchte, läßt die Hoffnung offen, daß die
geistliche Censur nicht alleinherrschend werde. Grade weil dies noch zweifelhaft,
weil die Hierarchie noch lange und hartnäckige Kämpfe voraussieht, ist sie
natürlich um so eifriger bemüht, Organe ihrer Tendenz allerwärts zu schaffen,
andere unter ihre Botmäßigkeit zu bringen. Bei der Centralisation, welche
gegenwärtig fast nur in Wien die wirklich bedeutsameren Organe der Monarchie
versammelt, hat dieses Streben in den Provinzen eine bedeutende und gefähr¬
liche Zukunft. Ob der Gesammtwirkung solcher localen Blätter, welche doch
sämmtlich durch einen gemeinsamen Geist geleitet und commandirt sind--man
vergleiche die vortreffliche Organisation und Disciplin der ultramontanen Presse,
die sich über die Einzelstaaten Deutschlands ausbreitet--ein mit der officiellen
wiener Zeitung zusammenhängendes gouvernementales Organ, ein "katholisches
Archiv", dessen Herstellung beabsichtigt ist, das Gegengewicht zu halten vermag,
bleibt mindestens äußerst fraglich.

Dies Thema ist indessen hier nicht weiter zu erörtern. Dagegen geben
manche Zahlen und Verhältnisse einer statistischen Uebersicht der periodische"
Presse des Kaiserstaates, welche jüngsthin in officieller Weise veröffentlicht
ward, den Denkenden reichsten Stoff zu mannigfaltigen Betrachtungen. -- I"
runder Summe erscheinen in Deutschland mit Oestreich etwa 6000 Zeitungen
und Zeitschriften. Davon kommen 375 aus 36 Millionen Oestreicher, während
die nach Abzug der östreichischen Bundestheile ungefähr 28- Millionen be¬
tragende Bevölkerung Dentschlands 5600 verbraucht. Von jenen 375 östrei¬
chischen Zeitschriften sind nur 206 in deutscher Sprache geschrieben, also 469
nichtdeutsch. Unter letzteren sind dagegen 50 politischer Natur, während unter
den deutschen blos i0. Unter den übrigbleibenden 166 nichtpolitischen deutsche"


Hauptgrund fortdauernder Scheidung beider Zeitungsgruppen liegt aber in den
so grundverschiedenen Voraussetzungen, aus welchen und auf welche hin sich
beide an ihr Publicum wenden. Der große Aufschwung der östreichischen
Tagespresse ist eine so anerkannte Thatsache, daß ihre nähere Berührung voll¬
kommen überflüssig. Allein ebensowenig läßt es sich ableugnen, daß das
specifisch-östreichische Bewußtsein, von welchem ihre gesammte Haltung auch bei
nationalen Fragen bedingt wird, deren Wechselwirkung mit der außeröstreichi-
schen Zeitungswelt ebenso hemmend entgegensteht, als die particularistische
Tendenz mancher gouvernementalen Organe Deutschlands deren allgemeinerer
Verbreitung und Wirksamkeit. Dies würde sich unabsehb.ar vermehren und die
nichtöstreichischen Zeitschriften würden bis aus ganz indifferente Ausnahmen
auch wieder aus Oestreich gänzlich ausgeschlossen werden, wenn die Hierarchie
jene Machtvollkommenheit in Bezug auf die Presse gewönne, die sie ans den
Satzungen des Concordatö vom 18. August 1856, ableitet. Ihre zufahrende
Hast, womit sie sich derselben noch vor Regelung der Grenzen zwischen Staats¬
und Bischofsbefugniß zu bemächtigen suchte, läßt die Hoffnung offen, daß die
geistliche Censur nicht alleinherrschend werde. Grade weil dies noch zweifelhaft,
weil die Hierarchie noch lange und hartnäckige Kämpfe voraussieht, ist sie
natürlich um so eifriger bemüht, Organe ihrer Tendenz allerwärts zu schaffen,
andere unter ihre Botmäßigkeit zu bringen. Bei der Centralisation, welche
gegenwärtig fast nur in Wien die wirklich bedeutsameren Organe der Monarchie
versammelt, hat dieses Streben in den Provinzen eine bedeutende und gefähr¬
liche Zukunft. Ob der Gesammtwirkung solcher localen Blätter, welche doch
sämmtlich durch einen gemeinsamen Geist geleitet und commandirt sind—man
vergleiche die vortreffliche Organisation und Disciplin der ultramontanen Presse,
die sich über die Einzelstaaten Deutschlands ausbreitet—ein mit der officiellen
wiener Zeitung zusammenhängendes gouvernementales Organ, ein „katholisches
Archiv", dessen Herstellung beabsichtigt ist, das Gegengewicht zu halten vermag,
bleibt mindestens äußerst fraglich.

Dies Thema ist indessen hier nicht weiter zu erörtern. Dagegen geben
manche Zahlen und Verhältnisse einer statistischen Uebersicht der periodische»
Presse des Kaiserstaates, welche jüngsthin in officieller Weise veröffentlicht
ward, den Denkenden reichsten Stoff zu mannigfaltigen Betrachtungen. — I"
runder Summe erscheinen in Deutschland mit Oestreich etwa 6000 Zeitungen
und Zeitschriften. Davon kommen 375 aus 36 Millionen Oestreicher, während
die nach Abzug der östreichischen Bundestheile ungefähr 28- Millionen be¬
tragende Bevölkerung Dentschlands 5600 verbraucht. Von jenen 375 östrei¬
chischen Zeitschriften sind nur 206 in deutscher Sprache geschrieben, also 469
nichtdeutsch. Unter letzteren sind dagegen 50 politischer Natur, während unter
den deutschen blos i0. Unter den übrigbleibenden 166 nichtpolitischen deutsche»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/354>, abgerufen am 21.06.2024.