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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sie gestaltete sich mehr und mehr zu novellistischen Sammelwerken, deren Pe-
riodicität eben blos eine formelle Eigenschaft blieb. Selbst die Feuilletons
der politischen Zeitungen, welche in der ersten Epoche ihrer allgemeineren An¬
wendung (bis zum Schlüsse der vierziger Jahre) dem belletristischen Bedürfniß
meistens die oberflächlichste Nahrung darboten, haben sich im Verlauf der
Zeit bedeutend ernster und gehaltvoller gestaltet, der Novellistik und namentlich
den Uebersetzungen großentheils Valet gesagt,'um historische, ethnographische,
allgemein wissenschaftliche Arbeiten an deren Stelle zu setzen. Ihre ver¬
mischten und literarischen Nachrichten geben sich heute meistens blos als ganz
beiläufige Notizen, gleichsam als leichte Erholung^ nach der politischen Lectüre,
keineswegs mehr mit dem Anspruch auf eine genügende Vertretung des nicht¬
politischen Culturlebens.

Hierbei ist übrigens ein formeller Unterschied zwischen der politischen
Zeitungsliteratur Nord- und Süddeutschlands keineswegs zu übersehen. Erstere
behandelt ihren seuilletonistischen Theil meistens nur nebensächlich, unterdrückt
ihn in politisch wichtigen Momenten wol ganz oder beschränkt ihn doch auf das
allerbescheidenste Maß. Jedenfalls gibt er sich nicht als nothwendiges Glied
ihres Organismus, und es eristiren sehr große Zeitungen, welche das Feuille¬
ton nie besessen oder allmälig wieder ganz abgeschafft haben. Diese Unter¬
ordnung des unpolitischen Theiles der politischen Zeitungen ist dagegen in
Süddeutschland nicht in gleichem Maße gewöhnlich. Wahrend selbst die
kleinsten Zeitungen, sogar reine Localblätter in den'Rheinstaaten, Baiern in.
kaum wagen, ohne eine regelmäßige belletristische Beilage, selbst meistens mit
einem besonderen Titel, zu erscheinen, ist in ändern die Druckeinrichtung von
vornherein darauf berechnet, daß das Feuilleton (der belletristische Theil) von
der Zeitung abgeschnitten und als besonderes Buch gesammelt werden kann.
Bekanntlich hat sogar der jetzt in München versammelte Poetenkreis eine der¬
artige Beilage zur officiellen neuen Münchener Zeitung begründet. Aber dabei be¬
steht doch auch wieder gar kein innerer und intellektueller Zusammenhang zwischen
der politischen Haltung der Zeitungen und dem eigentlichen Feuilleton oder
der belletristischen Beilage. Um so auffallender muß es erscheinen, daß doch
zugleich im deutschen Südwesten und Süden auch jene Zeitschriften sehr selten
sind, welchen der ästhetische und belletristische, literarhistorische und kritische
Inhalt des öffentlichen Lebens zwar die Hauptsache, doch die principielle Ver¬
mittlung dieser Interessen mit dem praktischen Leben intellektuelle Aufgabe ist.
Es gibt fast kein Blatt im ganzen deutschen Südwesten, welches das öffent-
liche Leben in der Weise behandelte, wie die Grenzboten, das deutsche
Museum u. f. w. Das "frankfurter Museum" ist sogar seit einer Reihe von
Jahren wieder der erste Versuch -- und ein gelungener -- diesen Zweig der
periodischen Presse sclvstständig zu vertreten; wenngleich auch hierin die Novellistik


sie gestaltete sich mehr und mehr zu novellistischen Sammelwerken, deren Pe-
riodicität eben blos eine formelle Eigenschaft blieb. Selbst die Feuilletons
der politischen Zeitungen, welche in der ersten Epoche ihrer allgemeineren An¬
wendung (bis zum Schlüsse der vierziger Jahre) dem belletristischen Bedürfniß
meistens die oberflächlichste Nahrung darboten, haben sich im Verlauf der
Zeit bedeutend ernster und gehaltvoller gestaltet, der Novellistik und namentlich
den Uebersetzungen großentheils Valet gesagt,'um historische, ethnographische,
allgemein wissenschaftliche Arbeiten an deren Stelle zu setzen. Ihre ver¬
mischten und literarischen Nachrichten geben sich heute meistens blos als ganz
beiläufige Notizen, gleichsam als leichte Erholung^ nach der politischen Lectüre,
keineswegs mehr mit dem Anspruch auf eine genügende Vertretung des nicht¬
politischen Culturlebens.

Hierbei ist übrigens ein formeller Unterschied zwischen der politischen
Zeitungsliteratur Nord- und Süddeutschlands keineswegs zu übersehen. Erstere
behandelt ihren seuilletonistischen Theil meistens nur nebensächlich, unterdrückt
ihn in politisch wichtigen Momenten wol ganz oder beschränkt ihn doch auf das
allerbescheidenste Maß. Jedenfalls gibt er sich nicht als nothwendiges Glied
ihres Organismus, und es eristiren sehr große Zeitungen, welche das Feuille¬
ton nie besessen oder allmälig wieder ganz abgeschafft haben. Diese Unter¬
ordnung des unpolitischen Theiles der politischen Zeitungen ist dagegen in
Süddeutschland nicht in gleichem Maße gewöhnlich. Wahrend selbst die
kleinsten Zeitungen, sogar reine Localblätter in den'Rheinstaaten, Baiern in.
kaum wagen, ohne eine regelmäßige belletristische Beilage, selbst meistens mit
einem besonderen Titel, zu erscheinen, ist in ändern die Druckeinrichtung von
vornherein darauf berechnet, daß das Feuilleton (der belletristische Theil) von
der Zeitung abgeschnitten und als besonderes Buch gesammelt werden kann.
Bekanntlich hat sogar der jetzt in München versammelte Poetenkreis eine der¬
artige Beilage zur officiellen neuen Münchener Zeitung begründet. Aber dabei be¬
steht doch auch wieder gar kein innerer und intellektueller Zusammenhang zwischen
der politischen Haltung der Zeitungen und dem eigentlichen Feuilleton oder
der belletristischen Beilage. Um so auffallender muß es erscheinen, daß doch
zugleich im deutschen Südwesten und Süden auch jene Zeitschriften sehr selten
sind, welchen der ästhetische und belletristische, literarhistorische und kritische
Inhalt des öffentlichen Lebens zwar die Hauptsache, doch die principielle Ver¬
mittlung dieser Interessen mit dem praktischen Leben intellektuelle Aufgabe ist.
Es gibt fast kein Blatt im ganzen deutschen Südwesten, welches das öffent-
liche Leben in der Weise behandelte, wie die Grenzboten, das deutsche
Museum u. f. w. Das „frankfurter Museum" ist sogar seit einer Reihe von
Jahren wieder der erste Versuch — und ein gelungener — diesen Zweig der
periodischen Presse sclvstständig zu vertreten; wenngleich auch hierin die Novellistik


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/348>, abgerufen am 22.06.2024.