Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dagegen will es uns scheinen, nicht nur, daß die Zahl der wahrhaft bedeutenden
Schöpfungen größer ist, als damals, sondern auch, daß die jetzige Kunst bei
weitem vielseitiger ist, als die des sechzehnten Jahrhunderts. Freilich sehen
wir unsre Kuustzustände noch aus zu großer Nähe an, um darüber ein un¬
befangenes Urtheil zu haben, aber das dürfen wir behaupten, daß die Fülle
von Schöpfungen, die der Genius des Jahrhunderts auf diesem Gebiet ins
Leben gerufen hat, reichliche Entschädigung für die Oede und Dürre aus so
manchem andern zu bieten vermag.

Anmerkung der Redaction. -- Zu einzelnen Punkten dieses Artikels, dessen An¬
sichten wir im Ganzen vertreten, behalten wir uns vor, nachträglich einige Bemerkungen zu
machen.




Die deutsche Tngespresse 1856.

(Fortsetzung.)

Die modernen Lebens- und Verkehrsverhältnisse Habens gethan, daß man
jetzt kaum mehr sagen kann, hier grenzt sich das Gebiet der politischen In¬
teressen vom socialen ab, dort dieses vom religiösen, das außerpolitische vom
Politischen. Freilich hat sich dies alles von jeher praktisch ebenso untrennbar
verflochten. Aber das Bewußtsein vom organischen Ineinandergreifen aller
Gebiete des öffentlichen Lebens ist im großen Publicum doch erst ein Product
der schweren Erfahrungszeit, welche mit der Zerstörung herrlichster Illusionen
bewiesen hat, daß keine einzige Partie des Culturlebens ohne innigste Wechsel¬
wirkung mit und Mitwirkung aus allen Gebieten zu segensreicher Entfaltung
ZU gedeihen vermag. Die Stürme des JahreS 18i8 hatten fast die ganze
nichtpolitische Tagesliteratur verweht und zerstört. Nur langsam und schüch¬
tern, aber -- man darf es mit Stolz sagen -- im Allgemeinen gehaltvoller,
kräftiger, ersprießlicher als vorher sind ihre Organe wieder aufgewachsen. Und
dies eben in dem Bewußtsein, dem praktischen Leben ebenso genau anzuge¬
hören, wie diejenige periodische Presse, die man recht eigentlich als publicistische
bezeichnet. Nicht blos in der allgemeinen Zeitströmung, sondern genau in die¬
sem Bewußtsein begründete es sich auch zunächst, daß keine außerpolitische
Zeitschrift, insofern und insoweit sie eben allgemeineren Charakters, den natio¬
nalen Gedanken unberücksichtigt ließ. Der historische Geist, welcher die allge¬
meine Literatur immer mächtiger zu beherrschen begann, spiegelt sich auch
allenthalben in den außerpolitischen Zeitschriften ab. Nein "belletristische"
Journale entstanden nicht wieder, oder doch nur als sehr untergeordnete Local-
blcitter. Die ausschließlich erzählende Tagesliteratur nahm andere Forme" an;


43*

Dagegen will es uns scheinen, nicht nur, daß die Zahl der wahrhaft bedeutenden
Schöpfungen größer ist, als damals, sondern auch, daß die jetzige Kunst bei
weitem vielseitiger ist, als die des sechzehnten Jahrhunderts. Freilich sehen
wir unsre Kuustzustände noch aus zu großer Nähe an, um darüber ein un¬
befangenes Urtheil zu haben, aber das dürfen wir behaupten, daß die Fülle
von Schöpfungen, die der Genius des Jahrhunderts auf diesem Gebiet ins
Leben gerufen hat, reichliche Entschädigung für die Oede und Dürre aus so
manchem andern zu bieten vermag.

Anmerkung der Redaction. — Zu einzelnen Punkten dieses Artikels, dessen An¬
sichten wir im Ganzen vertreten, behalten wir uns vor, nachträglich einige Bemerkungen zu
machen.




Die deutsche Tngespresse 1856.

(Fortsetzung.)

Die modernen Lebens- und Verkehrsverhältnisse Habens gethan, daß man
jetzt kaum mehr sagen kann, hier grenzt sich das Gebiet der politischen In¬
teressen vom socialen ab, dort dieses vom religiösen, das außerpolitische vom
Politischen. Freilich hat sich dies alles von jeher praktisch ebenso untrennbar
verflochten. Aber das Bewußtsein vom organischen Ineinandergreifen aller
Gebiete des öffentlichen Lebens ist im großen Publicum doch erst ein Product
der schweren Erfahrungszeit, welche mit der Zerstörung herrlichster Illusionen
bewiesen hat, daß keine einzige Partie des Culturlebens ohne innigste Wechsel¬
wirkung mit und Mitwirkung aus allen Gebieten zu segensreicher Entfaltung
ZU gedeihen vermag. Die Stürme des JahreS 18i8 hatten fast die ganze
nichtpolitische Tagesliteratur verweht und zerstört. Nur langsam und schüch¬
tern, aber — man darf es mit Stolz sagen — im Allgemeinen gehaltvoller,
kräftiger, ersprießlicher als vorher sind ihre Organe wieder aufgewachsen. Und
dies eben in dem Bewußtsein, dem praktischen Leben ebenso genau anzuge¬
hören, wie diejenige periodische Presse, die man recht eigentlich als publicistische
bezeichnet. Nicht blos in der allgemeinen Zeitströmung, sondern genau in die¬
sem Bewußtsein begründete es sich auch zunächst, daß keine außerpolitische
Zeitschrift, insofern und insoweit sie eben allgemeineren Charakters, den natio¬
nalen Gedanken unberücksichtigt ließ. Der historische Geist, welcher die allge¬
meine Literatur immer mächtiger zu beherrschen begann, spiegelt sich auch
allenthalben in den außerpolitischen Zeitschriften ab. Nein „belletristische"
Journale entstanden nicht wieder, oder doch nur als sehr untergeordnete Local-
blcitter. Die ausschließlich erzählende Tagesliteratur nahm andere Forme» an;


43*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101874"/>
          <p xml:id="ID_890" prev="#ID_889"> Dagegen will es uns scheinen, nicht nur, daß die Zahl der wahrhaft bedeutenden<lb/>
Schöpfungen größer ist, als damals, sondern auch, daß die jetzige Kunst bei<lb/>
weitem vielseitiger ist, als die des sechzehnten Jahrhunderts. Freilich sehen<lb/>
wir unsre Kuustzustände noch aus zu großer Nähe an, um darüber ein un¬<lb/>
befangenes Urtheil zu haben, aber das dürfen wir behaupten, daß die Fülle<lb/>
von Schöpfungen, die der Genius des Jahrhunderts auf diesem Gebiet ins<lb/>
Leben gerufen hat, reichliche Entschädigung für die Oede und Dürre aus so<lb/>
manchem andern zu bieten vermag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_891"><note type="byline"> Anmerkung der Redaction. </note> &#x2014; Zu einzelnen Punkten dieses Artikels, dessen An¬<lb/>
sichten wir im Ganzen vertreten, behalten wir uns vor, nachträglich einige Bemerkungen zu<lb/>
machen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die deutsche Tngespresse 1856.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_892"> (Fortsetzung.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_893" next="#ID_894"> Die modernen Lebens- und Verkehrsverhältnisse Habens gethan, daß man<lb/>
jetzt kaum mehr sagen kann, hier grenzt sich das Gebiet der politischen In¬<lb/>
teressen vom socialen ab, dort dieses vom religiösen, das außerpolitische vom<lb/>
Politischen. Freilich hat sich dies alles von jeher praktisch ebenso untrennbar<lb/>
verflochten. Aber das Bewußtsein vom organischen Ineinandergreifen aller<lb/>
Gebiete des öffentlichen Lebens ist im großen Publicum doch erst ein Product<lb/>
der schweren Erfahrungszeit, welche mit der Zerstörung herrlichster Illusionen<lb/>
bewiesen hat, daß keine einzige Partie des Culturlebens ohne innigste Wechsel¬<lb/>
wirkung mit und Mitwirkung aus allen Gebieten zu segensreicher Entfaltung<lb/>
ZU gedeihen vermag. Die Stürme des JahreS 18i8 hatten fast die ganze<lb/>
nichtpolitische Tagesliteratur verweht und zerstört. Nur langsam und schüch¬<lb/>
tern, aber &#x2014; man darf es mit Stolz sagen &#x2014; im Allgemeinen gehaltvoller,<lb/>
kräftiger, ersprießlicher als vorher sind ihre Organe wieder aufgewachsen. Und<lb/>
dies eben in dem Bewußtsein, dem praktischen Leben ebenso genau anzuge¬<lb/>
hören, wie diejenige periodische Presse, die man recht eigentlich als publicistische<lb/>
bezeichnet. Nicht blos in der allgemeinen Zeitströmung, sondern genau in die¬<lb/>
sem Bewußtsein begründete es sich auch zunächst, daß keine außerpolitische<lb/>
Zeitschrift, insofern und insoweit sie eben allgemeineren Charakters, den natio¬<lb/>
nalen Gedanken unberücksichtigt ließ. Der historische Geist, welcher die allge¬<lb/>
meine Literatur immer mächtiger zu beherrschen begann, spiegelt sich auch<lb/>
allenthalben in den außerpolitischen Zeitschriften ab. Nein &#x201E;belletristische"<lb/>
Journale entstanden nicht wieder, oder doch nur als sehr untergeordnete Local-<lb/>
blcitter.  Die ausschließlich erzählende Tagesliteratur nahm andere Forme» an;</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 43*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0347] Dagegen will es uns scheinen, nicht nur, daß die Zahl der wahrhaft bedeutenden Schöpfungen größer ist, als damals, sondern auch, daß die jetzige Kunst bei weitem vielseitiger ist, als die des sechzehnten Jahrhunderts. Freilich sehen wir unsre Kuustzustände noch aus zu großer Nähe an, um darüber ein un¬ befangenes Urtheil zu haben, aber das dürfen wir behaupten, daß die Fülle von Schöpfungen, die der Genius des Jahrhunderts auf diesem Gebiet ins Leben gerufen hat, reichliche Entschädigung für die Oede und Dürre aus so manchem andern zu bieten vermag. Anmerkung der Redaction. — Zu einzelnen Punkten dieses Artikels, dessen An¬ sichten wir im Ganzen vertreten, behalten wir uns vor, nachträglich einige Bemerkungen zu machen. Die deutsche Tngespresse 1856. (Fortsetzung.) Die modernen Lebens- und Verkehrsverhältnisse Habens gethan, daß man jetzt kaum mehr sagen kann, hier grenzt sich das Gebiet der politischen In¬ teressen vom socialen ab, dort dieses vom religiösen, das außerpolitische vom Politischen. Freilich hat sich dies alles von jeher praktisch ebenso untrennbar verflochten. Aber das Bewußtsein vom organischen Ineinandergreifen aller Gebiete des öffentlichen Lebens ist im großen Publicum doch erst ein Product der schweren Erfahrungszeit, welche mit der Zerstörung herrlichster Illusionen bewiesen hat, daß keine einzige Partie des Culturlebens ohne innigste Wechsel¬ wirkung mit und Mitwirkung aus allen Gebieten zu segensreicher Entfaltung ZU gedeihen vermag. Die Stürme des JahreS 18i8 hatten fast die ganze nichtpolitische Tagesliteratur verweht und zerstört. Nur langsam und schüch¬ tern, aber — man darf es mit Stolz sagen — im Allgemeinen gehaltvoller, kräftiger, ersprießlicher als vorher sind ihre Organe wieder aufgewachsen. Und dies eben in dem Bewußtsein, dem praktischen Leben ebenso genau anzuge¬ hören, wie diejenige periodische Presse, die man recht eigentlich als publicistische bezeichnet. Nicht blos in der allgemeinen Zeitströmung, sondern genau in die¬ sem Bewußtsein begründete es sich auch zunächst, daß keine außerpolitische Zeitschrift, insofern und insoweit sie eben allgemeineren Charakters, den natio¬ nalen Gedanken unberücksichtigt ließ. Der historische Geist, welcher die allge¬ meine Literatur immer mächtiger zu beherrschen begann, spiegelt sich auch allenthalben in den außerpolitischen Zeitschriften ab. Nein „belletristische" Journale entstanden nicht wieder, oder doch nur als sehr untergeordnete Local- blcitter. Die ausschließlich erzählende Tagesliteratur nahm andere Forme» an; 43*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/347
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/347>, abgerufen am 22.06.2024.