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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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den, angeoronet und beleuchtet; und namentlich mit der Beleuchtung wird ein
ganz lächerlicher Mißbrauch getrieben; in wie vielen Bildern sind nur die
Reflexe die Hauptsache! ^Auf den belgischen Akademien (wenigstens der zu Ant¬
werpen) malen die Schüler ihre Farbenstudien nach dem Modell, bei einer von
oben einfallenden Beleuchtung; und wenn sie sich durch dieses scharfe Licht
freilich gewöhnen auf möglichst körperliches Heraustreten der Formen hinzu¬
arbeiten, so verfallen sie auch durch diese Gewöhnung leicht in den Fehler,
solche Effecte da anzubringen, wo sie nicht hingehören.

Die Hauptgefahr für den Realismus aber ist, daß er sich leicht zur An¬
erkennung deö Princips verführen läßt: I<z 1iM e'sse, I"z d?.an, ein Princip, das
natürlich in der bildenden Kunst noch unendlich mehr Unheil stiftet als in der
Poesie. Wenn der Wahrheit und dem Effect Schönheit und Mäßigung ganz
und gar geopfert werden, dann hat die Verkennung des wahren Wesens der
Kunst den höchsten Grad erreicht. Es fehlt nicht an traurigen Beispielen, wo¬
hin die Wahl scheußlicher Gegenstände und der treue Anschluß an die nackte,
unschöne Wirklichkeit auch bedeutende Talente führen können. Auch ein fo
großer Künstler wie Gallait hat sich verführen lassen, das absolut Gräßliche dar¬
zustellen: ich meine die enthaupteten Leichen Egmonts und Hoornes, ein
Gegenstand, der in ein anatomisches Cavinet, aber, nicht in eine Bildergalerie
gehört. Je größer hier die Meisterschaft der Darstellung ist, um so größer ist
der ästhetische Widerwille, den sie dem wahren Freunde der Kunst einflößt. Es
braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß die Richtung der neuromantischen
französischen Literatur und Bühne auf die "Nachtseite des Lebens" hier viel¬
fach auf die bildende Kunst eingewirkt hat, oder vielmehr, daß diese wie
jene Verirrungen in derselben unnatürlichen Ueberreizung ihren Grund haben. --

Werfen wir schließlich einen Blick auf die gesammte Malerei unsrer Zeit, so
geht aus dem hier gegebenen kurzen Abriß wol hervor, daß diese Kunst sich ge¬
genwärtig nach allen Seiten hin mit einem Reichthum, einer Fülle und Pracht
entfaltet hat, wie nur in den blühendsten Perioden, welche die Kunstgeschichte
je in ihre Annalen verzeichnet. Auf der einen Seite der großartige Idealis¬
mus der Deutschen, auf der andern der in seiner Art nicht minder großartige
Realismus der Franzosen und Belgier; eine Darstellung der Natur, die aus
dem tiefsten Verständniß entsprungen, das Erschaute und Empfundene durch¬
geistigt und verklärt; endlich eine Beherrschung der technischen Mittel und eine
Vollendung des Colorits, wie sie nur von den größten Virtuosen früherer
Perioden erreicht worden ist. Eine Vergleichung unsrer Kunstperiode mit der
Blütezeit der Malerei im sechzehnten Jahrhundert dürfte immerhin gewagt er¬
scheinen. Ob die Nachwelt Cornelius neben Michel Angelo setzen wird, wissen
wir nicht; aber Rafael freilich, der einzige, den die Natur schuf und dann die
Form zerbrach, hat jetzt so wenig seines Gleichen, als in irgend einer andern Zeit.


den, angeoronet und beleuchtet; und namentlich mit der Beleuchtung wird ein
ganz lächerlicher Mißbrauch getrieben; in wie vielen Bildern sind nur die
Reflexe die Hauptsache! ^Auf den belgischen Akademien (wenigstens der zu Ant¬
werpen) malen die Schüler ihre Farbenstudien nach dem Modell, bei einer von
oben einfallenden Beleuchtung; und wenn sie sich durch dieses scharfe Licht
freilich gewöhnen auf möglichst körperliches Heraustreten der Formen hinzu¬
arbeiten, so verfallen sie auch durch diese Gewöhnung leicht in den Fehler,
solche Effecte da anzubringen, wo sie nicht hingehören.

Die Hauptgefahr für den Realismus aber ist, daß er sich leicht zur An¬
erkennung deö Princips verführen läßt: I<z 1iM e'sse, I«z d?.an, ein Princip, das
natürlich in der bildenden Kunst noch unendlich mehr Unheil stiftet als in der
Poesie. Wenn der Wahrheit und dem Effect Schönheit und Mäßigung ganz
und gar geopfert werden, dann hat die Verkennung des wahren Wesens der
Kunst den höchsten Grad erreicht. Es fehlt nicht an traurigen Beispielen, wo¬
hin die Wahl scheußlicher Gegenstände und der treue Anschluß an die nackte,
unschöne Wirklichkeit auch bedeutende Talente führen können. Auch ein fo
großer Künstler wie Gallait hat sich verführen lassen, das absolut Gräßliche dar¬
zustellen: ich meine die enthaupteten Leichen Egmonts und Hoornes, ein
Gegenstand, der in ein anatomisches Cavinet, aber, nicht in eine Bildergalerie
gehört. Je größer hier die Meisterschaft der Darstellung ist, um so größer ist
der ästhetische Widerwille, den sie dem wahren Freunde der Kunst einflößt. Es
braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß die Richtung der neuromantischen
französischen Literatur und Bühne auf die „Nachtseite des Lebens" hier viel¬
fach auf die bildende Kunst eingewirkt hat, oder vielmehr, daß diese wie
jene Verirrungen in derselben unnatürlichen Ueberreizung ihren Grund haben. —

Werfen wir schließlich einen Blick auf die gesammte Malerei unsrer Zeit, so
geht aus dem hier gegebenen kurzen Abriß wol hervor, daß diese Kunst sich ge¬
genwärtig nach allen Seiten hin mit einem Reichthum, einer Fülle und Pracht
entfaltet hat, wie nur in den blühendsten Perioden, welche die Kunstgeschichte
je in ihre Annalen verzeichnet. Auf der einen Seite der großartige Idealis¬
mus der Deutschen, auf der andern der in seiner Art nicht minder großartige
Realismus der Franzosen und Belgier; eine Darstellung der Natur, die aus
dem tiefsten Verständniß entsprungen, das Erschaute und Empfundene durch¬
geistigt und verklärt; endlich eine Beherrschung der technischen Mittel und eine
Vollendung des Colorits, wie sie nur von den größten Virtuosen früherer
Perioden erreicht worden ist. Eine Vergleichung unsrer Kunstperiode mit der
Blütezeit der Malerei im sechzehnten Jahrhundert dürfte immerhin gewagt er¬
scheinen. Ob die Nachwelt Cornelius neben Michel Angelo setzen wird, wissen
wir nicht; aber Rafael freilich, der einzige, den die Natur schuf und dann die
Form zerbrach, hat jetzt so wenig seines Gleichen, als in irgend einer andern Zeit.


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[0346] den, angeoronet und beleuchtet; und namentlich mit der Beleuchtung wird ein ganz lächerlicher Mißbrauch getrieben; in wie vielen Bildern sind nur die Reflexe die Hauptsache! ^Auf den belgischen Akademien (wenigstens der zu Ant¬ werpen) malen die Schüler ihre Farbenstudien nach dem Modell, bei einer von oben einfallenden Beleuchtung; und wenn sie sich durch dieses scharfe Licht freilich gewöhnen auf möglichst körperliches Heraustreten der Formen hinzu¬ arbeiten, so verfallen sie auch durch diese Gewöhnung leicht in den Fehler, solche Effecte da anzubringen, wo sie nicht hingehören. Die Hauptgefahr für den Realismus aber ist, daß er sich leicht zur An¬ erkennung deö Princips verführen läßt: I<z 1iM e'sse, I«z d?.an, ein Princip, das natürlich in der bildenden Kunst noch unendlich mehr Unheil stiftet als in der Poesie. Wenn der Wahrheit und dem Effect Schönheit und Mäßigung ganz und gar geopfert werden, dann hat die Verkennung des wahren Wesens der Kunst den höchsten Grad erreicht. Es fehlt nicht an traurigen Beispielen, wo¬ hin die Wahl scheußlicher Gegenstände und der treue Anschluß an die nackte, unschöne Wirklichkeit auch bedeutende Talente führen können. Auch ein fo großer Künstler wie Gallait hat sich verführen lassen, das absolut Gräßliche dar¬ zustellen: ich meine die enthaupteten Leichen Egmonts und Hoornes, ein Gegenstand, der in ein anatomisches Cavinet, aber, nicht in eine Bildergalerie gehört. Je größer hier die Meisterschaft der Darstellung ist, um so größer ist der ästhetische Widerwille, den sie dem wahren Freunde der Kunst einflößt. Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß die Richtung der neuromantischen französischen Literatur und Bühne auf die „Nachtseite des Lebens" hier viel¬ fach auf die bildende Kunst eingewirkt hat, oder vielmehr, daß diese wie jene Verirrungen in derselben unnatürlichen Ueberreizung ihren Grund haben. — Werfen wir schließlich einen Blick auf die gesammte Malerei unsrer Zeit, so geht aus dem hier gegebenen kurzen Abriß wol hervor, daß diese Kunst sich ge¬ genwärtig nach allen Seiten hin mit einem Reichthum, einer Fülle und Pracht entfaltet hat, wie nur in den blühendsten Perioden, welche die Kunstgeschichte je in ihre Annalen verzeichnet. Auf der einen Seite der großartige Idealis¬ mus der Deutschen, auf der andern der in seiner Art nicht minder großartige Realismus der Franzosen und Belgier; eine Darstellung der Natur, die aus dem tiefsten Verständniß entsprungen, das Erschaute und Empfundene durch¬ geistigt und verklärt; endlich eine Beherrschung der technischen Mittel und eine Vollendung des Colorits, wie sie nur von den größten Virtuosen früherer Perioden erreicht worden ist. Eine Vergleichung unsrer Kunstperiode mit der Blütezeit der Malerei im sechzehnten Jahrhundert dürfte immerhin gewagt er¬ scheinen. Ob die Nachwelt Cornelius neben Michel Angelo setzen wird, wissen wir nicht; aber Rafael freilich, der einzige, den die Natur schuf und dann die Form zerbrach, hat jetzt so wenig seines Gleichen, als in irgend einer andern Zeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/346>, abgerufen am 22.06.2024.