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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Wenn nun hochbegabte Naturen in der realistischen Richtung ebenso be¬
deutende als erfreuliche Werke zu schaffen vermögen, so sind minder begabte
natürlich in Gefahr, sich auf den mannigfaltigen Abwegen zu verlieren, zu
denen der Realismus leicht führt, und die auch jene großen Künstler nicht
immer ganz vermieden haben. Die Gefahr liegt zunächst nahe, die äußere
Wahrheit und nicht die innere zur Hauptsache zu machen. Gar manche dieser
Bilder sind mit der scrupulösesten Genauigkeit im Costüm und andern Äußer¬
lichkeiten gemalt, so daß sie den Betrachter allerdings in die dargestellte Zeit
und an den Ort des Vorgangs versetzen, aber leider fehlt es dem Schauspiel,
das auf dieser vortrefflich arrangirten Scene sich darstellt, an Inhalt, oder dieser
ist die Nebensache. Es ist hier ganz wie in so vielen neuen Dramen und
Opern, die (und nicht blos in Paris) mit einer historischen Treue gegeben
werden, als wenn der ganze Erfolg von der richtigen Reihenfolge eines
Triumphzugs oder von der Decoration eines Festsaals abhinge; nur leider taugt
die Poesie und die Musik nicht viel. In das entgegengesetzte Extrem sind häusig
die Düsseldorfer verfallen, die durch gänzliche Vernachlässigung des Costüms und
der Scenerie den Charakter der Darstellung beeinträchtigt haben. Es ist
interessant, Behandlungen derselben Gegenstände von Franzosen und Deutschen
Zu vergleichen; in den zu erwähnenden Fällen fallen sie zufällig zum Vortheil
der erstern aus. Es gibt eine Findung Mosis von Köhler in Düsseldorf und
eine von dem zu früh gestorbenen Dominique Papsty (in der Sammlung des
verstorbenen Consul Schickler zu Leipzig). Dort sieht man einige blonde Mäd¬
chen in einem idealen Theatercostüm an einem Ufer, das mit einer Vegetation
bewachsen ist, wie sie in Deutschland an Flußufern wächst; hier eine ägyptische
Prinzessin, von Natives in orientalischem Pomp und Ceremoniell umgeben, in
einer tropischen Abendbeleuchtung. Die Söhne Eduards sind von Hildebrand
und Paul de la Noche gemalt. Hildebrand hat zwei zarte schlafende Prinzen
dargestellt, die aber ebensogut östreichische oder russische, als englische sein können.
Bei Paul de la Noche haben die beiden halbwüchsigen Knaben den angel¬
sächsischen Typus, starkes Incarnat und röthlich blonde Haare; sie sitzen in
einem hohen, gefängnißartigen Zimmer des Tower von verfallenem Aussehn, mit
verschlossenen Vorhängen, und halten einander in ängstlicher Spannung um-
f"ße; ein Lichtschein fällt durch die Thür, auf die ein kleiner Hund bellend
losgeht. Eine solche Behandlung des CostümS können nur Fanatiker des.
Idealismus verdammen. Aber wie gesagt, bei der großen Masse der Belgier
und Franzosen bleibt es nicht bei dieser billigen Berücksichtigung der Ueber-
s"che, sondern sie werden gradezu zur Hauptsache gemacht. Ebenso häufig
sendet man eine virtuose Technik an nichtssagende Gegenstände verschwendet und
^ ist bei unzähligen belgischen Bildern klar, daß sie nur gemalt sind, um die Kunst
des Malers zu zeigen. Dem malerischen Effect zu Liebe ist das Ganze erfun-


Grenzbvten. II. 43

Wenn nun hochbegabte Naturen in der realistischen Richtung ebenso be¬
deutende als erfreuliche Werke zu schaffen vermögen, so sind minder begabte
natürlich in Gefahr, sich auf den mannigfaltigen Abwegen zu verlieren, zu
denen der Realismus leicht führt, und die auch jene großen Künstler nicht
immer ganz vermieden haben. Die Gefahr liegt zunächst nahe, die äußere
Wahrheit und nicht die innere zur Hauptsache zu machen. Gar manche dieser
Bilder sind mit der scrupulösesten Genauigkeit im Costüm und andern Äußer¬
lichkeiten gemalt, so daß sie den Betrachter allerdings in die dargestellte Zeit
und an den Ort des Vorgangs versetzen, aber leider fehlt es dem Schauspiel,
das auf dieser vortrefflich arrangirten Scene sich darstellt, an Inhalt, oder dieser
ist die Nebensache. Es ist hier ganz wie in so vielen neuen Dramen und
Opern, die (und nicht blos in Paris) mit einer historischen Treue gegeben
werden, als wenn der ganze Erfolg von der richtigen Reihenfolge eines
Triumphzugs oder von der Decoration eines Festsaals abhinge; nur leider taugt
die Poesie und die Musik nicht viel. In das entgegengesetzte Extrem sind häusig
die Düsseldorfer verfallen, die durch gänzliche Vernachlässigung des Costüms und
der Scenerie den Charakter der Darstellung beeinträchtigt haben. Es ist
interessant, Behandlungen derselben Gegenstände von Franzosen und Deutschen
Zu vergleichen; in den zu erwähnenden Fällen fallen sie zufällig zum Vortheil
der erstern aus. Es gibt eine Findung Mosis von Köhler in Düsseldorf und
eine von dem zu früh gestorbenen Dominique Papsty (in der Sammlung des
verstorbenen Consul Schickler zu Leipzig). Dort sieht man einige blonde Mäd¬
chen in einem idealen Theatercostüm an einem Ufer, das mit einer Vegetation
bewachsen ist, wie sie in Deutschland an Flußufern wächst; hier eine ägyptische
Prinzessin, von Natives in orientalischem Pomp und Ceremoniell umgeben, in
einer tropischen Abendbeleuchtung. Die Söhne Eduards sind von Hildebrand
und Paul de la Noche gemalt. Hildebrand hat zwei zarte schlafende Prinzen
dargestellt, die aber ebensogut östreichische oder russische, als englische sein können.
Bei Paul de la Noche haben die beiden halbwüchsigen Knaben den angel¬
sächsischen Typus, starkes Incarnat und röthlich blonde Haare; sie sitzen in
einem hohen, gefängnißartigen Zimmer des Tower von verfallenem Aussehn, mit
verschlossenen Vorhängen, und halten einander in ängstlicher Spannung um-
f"ße; ein Lichtschein fällt durch die Thür, auf die ein kleiner Hund bellend
losgeht. Eine solche Behandlung des CostümS können nur Fanatiker des.
Idealismus verdammen. Aber wie gesagt, bei der großen Masse der Belgier
und Franzosen bleibt es nicht bei dieser billigen Berücksichtigung der Ueber-
s"che, sondern sie werden gradezu zur Hauptsache gemacht. Ebenso häufig
sendet man eine virtuose Technik an nichtssagende Gegenstände verschwendet und
^ ist bei unzähligen belgischen Bildern klar, daß sie nur gemalt sind, um die Kunst
des Malers zu zeigen. Dem malerischen Effect zu Liebe ist das Ganze erfun-


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[0345] Wenn nun hochbegabte Naturen in der realistischen Richtung ebenso be¬ deutende als erfreuliche Werke zu schaffen vermögen, so sind minder begabte natürlich in Gefahr, sich auf den mannigfaltigen Abwegen zu verlieren, zu denen der Realismus leicht führt, und die auch jene großen Künstler nicht immer ganz vermieden haben. Die Gefahr liegt zunächst nahe, die äußere Wahrheit und nicht die innere zur Hauptsache zu machen. Gar manche dieser Bilder sind mit der scrupulösesten Genauigkeit im Costüm und andern Äußer¬ lichkeiten gemalt, so daß sie den Betrachter allerdings in die dargestellte Zeit und an den Ort des Vorgangs versetzen, aber leider fehlt es dem Schauspiel, das auf dieser vortrefflich arrangirten Scene sich darstellt, an Inhalt, oder dieser ist die Nebensache. Es ist hier ganz wie in so vielen neuen Dramen und Opern, die (und nicht blos in Paris) mit einer historischen Treue gegeben werden, als wenn der ganze Erfolg von der richtigen Reihenfolge eines Triumphzugs oder von der Decoration eines Festsaals abhinge; nur leider taugt die Poesie und die Musik nicht viel. In das entgegengesetzte Extrem sind häusig die Düsseldorfer verfallen, die durch gänzliche Vernachlässigung des Costüms und der Scenerie den Charakter der Darstellung beeinträchtigt haben. Es ist interessant, Behandlungen derselben Gegenstände von Franzosen und Deutschen Zu vergleichen; in den zu erwähnenden Fällen fallen sie zufällig zum Vortheil der erstern aus. Es gibt eine Findung Mosis von Köhler in Düsseldorf und eine von dem zu früh gestorbenen Dominique Papsty (in der Sammlung des verstorbenen Consul Schickler zu Leipzig). Dort sieht man einige blonde Mäd¬ chen in einem idealen Theatercostüm an einem Ufer, das mit einer Vegetation bewachsen ist, wie sie in Deutschland an Flußufern wächst; hier eine ägyptische Prinzessin, von Natives in orientalischem Pomp und Ceremoniell umgeben, in einer tropischen Abendbeleuchtung. Die Söhne Eduards sind von Hildebrand und Paul de la Noche gemalt. Hildebrand hat zwei zarte schlafende Prinzen dargestellt, die aber ebensogut östreichische oder russische, als englische sein können. Bei Paul de la Noche haben die beiden halbwüchsigen Knaben den angel¬ sächsischen Typus, starkes Incarnat und röthlich blonde Haare; sie sitzen in einem hohen, gefängnißartigen Zimmer des Tower von verfallenem Aussehn, mit verschlossenen Vorhängen, und halten einander in ängstlicher Spannung um- f"ße; ein Lichtschein fällt durch die Thür, auf die ein kleiner Hund bellend losgeht. Eine solche Behandlung des CostümS können nur Fanatiker des. Idealismus verdammen. Aber wie gesagt, bei der großen Masse der Belgier und Franzosen bleibt es nicht bei dieser billigen Berücksichtigung der Ueber- s"che, sondern sie werden gradezu zur Hauptsache gemacht. Ebenso häufig sendet man eine virtuose Technik an nichtssagende Gegenstände verschwendet und ^ ist bei unzähligen belgischen Bildern klar, daß sie nur gemalt sind, um die Kunst des Malers zu zeigen. Dem malerischen Effect zu Liebe ist das Ganze erfun- Grenzbvten. II. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/345>, abgerufen am 22.06.2024.