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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Leistungen, wie die genannten, nicht von der Berechtigung des Realismus in
der bildenden Kunst überzeugen, den kann man nicht anders als bornirt
nennen.

Diese realistische Auffassung verdankt einen guten Theil ihrer Wirkung
einer unbedingten Herrschaft über die technischen Mittel. In diesen Bildern
wird die Illusion bis zu einem Grade gesteigert, der nie bisher erreicht worden
ist, und die Belgier namentlich haben mitunter eine Poesie des Colorits, die
ihre Leistungen den besten der alten Venetianer ebenbürtig macht. Die Ver¬
ächter der Technik und der Farbe unter den deutschen Idealisten, könnten aus
solchen Bildern, namentlich denen von Gallait, viel lernen. Die Wirkung
des großartigen gallaitschen Bildes im Justizpalast zu Brüssel: die Abdankung
Karls V. ist nicht am wenigsten der meisterhaften Benutzung der Farbe zu¬
zuschreiben. Durch das ganze sehr große Gemälde herrscht ein warmer röth-
licher Ton; nur die einzige Figur Philipps II., der recht in der Mitte des
Vordergrundes vor dem greisen Kaiser mit gefalteten Händen kniet, ist vom
Kopf bis zu den Füßen in schwarzblauen Sammt gekleidet. Diese stark con-
trastirende kalte Farbe hebt diese einzige Figur auf eine merkwürdige Weise
von der übrigen Versammlung ab, und gibt ihr etwas unheimlich Düsteres;
und so wird der Eindruck der Schwermut!), der bangen Ahnung, die über dem
ganzen glänzenden Kreise schwebt, durch die eigenthümliche Auszeichnung des
künftigen Regenten erhöht.

Ueberall, wo ein bedeutender Geist mit solchen Mitteln einen großen In¬
halt zur Darstellung gebracht hat, wie Gallait in diesem Bilde, da erscheint
der Realismus in seiner vollen Berechtigung. Eine große, mit Begeisterung
aufgefaßte Wirklichkeit, die in der ganzen Pracht der Erscheinung sich darstellt,
reißt dann den Betrachter unwiderstehlich hin. So ist es in den großen ruben¬
schen Bildern in der Galerie zu Wien, so in den besten von Vernet, Gallait und
Coutüre. Die geläutertsten Werke der realistischen Richtung hat Paul de la
Noche geschaffen. Er hat am meisten gestrebt, die oft entgegengesetzten For--
derungen der Wahrheit und Schönheit zu vereinigen, und es am meisten ver¬
standen, beiden zugleich gerecht zu werden. Der Untergang seines großen Wand¬
bildes in dem zur Preisvertheilung bestimmten Saale der veoliz 6hö beaux Arts
zu Paris, ist einer der beklagenswerthesten Verluste, welche die Kunst erlitten
hat; doch dürfen wir uns noch der Hoffnung hingeben, daß der Künstler ihn
ersetzen werde. Es war die Versammlung der großen Künstler vergangener
Jahrhunderte, deren hohe Gestalten hier von den Wänden auf die Belohnung
der Schüler herabblickten, einzeln und in Gruppen, in tiefem Sinnen oder in
traulichem Gespräch. Es war eine Versammlung von Helden und Königen
aus dem Reiche des Geistes, und sie erschien in wahrhaft königlicher Pracht
und Würde.


Leistungen, wie die genannten, nicht von der Berechtigung des Realismus in
der bildenden Kunst überzeugen, den kann man nicht anders als bornirt
nennen.

Diese realistische Auffassung verdankt einen guten Theil ihrer Wirkung
einer unbedingten Herrschaft über die technischen Mittel. In diesen Bildern
wird die Illusion bis zu einem Grade gesteigert, der nie bisher erreicht worden
ist, und die Belgier namentlich haben mitunter eine Poesie des Colorits, die
ihre Leistungen den besten der alten Venetianer ebenbürtig macht. Die Ver¬
ächter der Technik und der Farbe unter den deutschen Idealisten, könnten aus
solchen Bildern, namentlich denen von Gallait, viel lernen. Die Wirkung
des großartigen gallaitschen Bildes im Justizpalast zu Brüssel: die Abdankung
Karls V. ist nicht am wenigsten der meisterhaften Benutzung der Farbe zu¬
zuschreiben. Durch das ganze sehr große Gemälde herrscht ein warmer röth-
licher Ton; nur die einzige Figur Philipps II., der recht in der Mitte des
Vordergrundes vor dem greisen Kaiser mit gefalteten Händen kniet, ist vom
Kopf bis zu den Füßen in schwarzblauen Sammt gekleidet. Diese stark con-
trastirende kalte Farbe hebt diese einzige Figur auf eine merkwürdige Weise
von der übrigen Versammlung ab, und gibt ihr etwas unheimlich Düsteres;
und so wird der Eindruck der Schwermut!), der bangen Ahnung, die über dem
ganzen glänzenden Kreise schwebt, durch die eigenthümliche Auszeichnung des
künftigen Regenten erhöht.

Ueberall, wo ein bedeutender Geist mit solchen Mitteln einen großen In¬
halt zur Darstellung gebracht hat, wie Gallait in diesem Bilde, da erscheint
der Realismus in seiner vollen Berechtigung. Eine große, mit Begeisterung
aufgefaßte Wirklichkeit, die in der ganzen Pracht der Erscheinung sich darstellt,
reißt dann den Betrachter unwiderstehlich hin. So ist es in den großen ruben¬
schen Bildern in der Galerie zu Wien, so in den besten von Vernet, Gallait und
Coutüre. Die geläutertsten Werke der realistischen Richtung hat Paul de la
Noche geschaffen. Er hat am meisten gestrebt, die oft entgegengesetzten For--
derungen der Wahrheit und Schönheit zu vereinigen, und es am meisten ver¬
standen, beiden zugleich gerecht zu werden. Der Untergang seines großen Wand¬
bildes in dem zur Preisvertheilung bestimmten Saale der veoliz 6hö beaux Arts
zu Paris, ist einer der beklagenswerthesten Verluste, welche die Kunst erlitten
hat; doch dürfen wir uns noch der Hoffnung hingeben, daß der Künstler ihn
ersetzen werde. Es war die Versammlung der großen Künstler vergangener
Jahrhunderte, deren hohe Gestalten hier von den Wänden auf die Belohnung
der Schüler herabblickten, einzeln und in Gruppen, in tiefem Sinnen oder in
traulichem Gespräch. Es war eine Versammlung von Helden und Königen
aus dem Reiche des Geistes, und sie erschien in wahrhaft königlicher Pracht
und Würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/344>, abgerufen am 22.06.2024.