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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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werden können, und es gibt jetzt wenigstens einen, der unter allen lebenden
vielleicht das Höchste in dieser Gattung geleistet hat, Calame. Aber dergleichen
vereinzelte Erscheinungen lassen den Mangel der ganzen Gattung nur um so
greller hervortreten. Bei uns findet ein Künstler, der mit einer neuen und eigen¬
thümlichen Auffassung der Natur hervortritt, sogleich zahlreiche Nachfolger; bei
den romanischen Nationen bildet er wol Schüler, aber keine Schule. Auf
belgischen und französischen Ausstellungen (wie z. B. auf der expo8ltion Asnerale
cleg dvaux art8 183-1 zu Brüssel) ist das Verhältniß von Landschaft und Figuren¬
bildern ziemlich das umgekehrte von dem auf deutschen Ausstellungen. Ueberdies
ist ein großer Theil der französischen Landschaften für uns ziemlich ungenießbar.
Wir sehen hier nicht die liebevolle Hingebung an die Erscheinung, die der
deutschen Landschaftsmalerei eigenthümlich ist, sondern die dargestellte Natur ist
behufs der erzielten Gesammtwirkung mehr oder weniger willkürlich zurecht¬
gemacht; was oft zu einer ganz unleidlichen Manier ausartet, bei der weder
der Form noch der Farbe ihr Recht geschieht. Solche Bilder lassen daher auch
nothwendig kalt.

Ganz andre und erfreulichere Erscheinungen hat der auf die Wirklichkeit
gerichtete Sinn der Franzosen und Wallonen im Gebiet der Historienmalerei
hervorgebracht. Dieser kühne,, vor nichts zurückschreckende Realismus, der sich an
alle Höhen und Tiefen des Lebens wagt, hat etwas Gewaltiges, das man aner¬
kennen muß, man mag seine Verirrungen auch noch so streng tadeln. Diese
Schlachtenbilder von Horace Vernet z. B., sie sind doch mit einer hinreißenden,
erschütternden Wahrheit gemalt, man glaubt fast mitzuerleben, was man sieht.
Hier jagen die wilden Chasseurs zur Attaque, dort flüchten die arabischen Frauen
"Uf Kameelen, zielt der langbärtige Beduine mit seiner langen Flinte -- dies
Getümmel, das über das Blachfeld wogt, es hat etwas Berauschendes wie
Schlachtmusik. Dann wieder die Sturmcolonne, die, Gewehr beim Fuß,
auf das Signal wartet, die steilen Felsen von Konstantine zu ersteigen, während
der alte General mit der Uhr in der Hand, von seinem Stäbe umgeben, seine
Dispositionen berechnet: es ist eine Spannung in dem ganzen Bilde, die der
Betrachter unwillkürlich mitempfindet. Und endlich der> Sturm selbst, wo die
^'othhosigen Jnfanteristen mit Händen und Füßen an der schroffen Höhe herauf¬
klettern, hier ein Getroffner zurücktaumelt, dort ein junger Lieutenant mit ge¬
schwungenem Degen vorandringt, da ein kleiner Tambour unerschrocken die
Trommel schlägt -- man glaubt das Geschrei, die Schüsse, den Trommelwirbel
den ganzen Schlachtlärm zu hören. Und mit ebenso rücksichtsloser Wahrheit
hat Coutüre die Orgien der römischen Kaiserzeit, hat Paul de la Roche die
Verurtheilung Marie Antoinettes und Napoleon in Fontainebleau gemalt.
D>e deutsche Philistern hat nicht über die bespritzten Stiefeln wegkommen
können, die der große Mann auf dem letztern Bilde anhat. Wem solche


werden können, und es gibt jetzt wenigstens einen, der unter allen lebenden
vielleicht das Höchste in dieser Gattung geleistet hat, Calame. Aber dergleichen
vereinzelte Erscheinungen lassen den Mangel der ganzen Gattung nur um so
greller hervortreten. Bei uns findet ein Künstler, der mit einer neuen und eigen¬
thümlichen Auffassung der Natur hervortritt, sogleich zahlreiche Nachfolger; bei
den romanischen Nationen bildet er wol Schüler, aber keine Schule. Auf
belgischen und französischen Ausstellungen (wie z. B. auf der expo8ltion Asnerale
cleg dvaux art8 183-1 zu Brüssel) ist das Verhältniß von Landschaft und Figuren¬
bildern ziemlich das umgekehrte von dem auf deutschen Ausstellungen. Ueberdies
ist ein großer Theil der französischen Landschaften für uns ziemlich ungenießbar.
Wir sehen hier nicht die liebevolle Hingebung an die Erscheinung, die der
deutschen Landschaftsmalerei eigenthümlich ist, sondern die dargestellte Natur ist
behufs der erzielten Gesammtwirkung mehr oder weniger willkürlich zurecht¬
gemacht; was oft zu einer ganz unleidlichen Manier ausartet, bei der weder
der Form noch der Farbe ihr Recht geschieht. Solche Bilder lassen daher auch
nothwendig kalt.

Ganz andre und erfreulichere Erscheinungen hat der auf die Wirklichkeit
gerichtete Sinn der Franzosen und Wallonen im Gebiet der Historienmalerei
hervorgebracht. Dieser kühne,, vor nichts zurückschreckende Realismus, der sich an
alle Höhen und Tiefen des Lebens wagt, hat etwas Gewaltiges, das man aner¬
kennen muß, man mag seine Verirrungen auch noch so streng tadeln. Diese
Schlachtenbilder von Horace Vernet z. B., sie sind doch mit einer hinreißenden,
erschütternden Wahrheit gemalt, man glaubt fast mitzuerleben, was man sieht.
Hier jagen die wilden Chasseurs zur Attaque, dort flüchten die arabischen Frauen
«Uf Kameelen, zielt der langbärtige Beduine mit seiner langen Flinte — dies
Getümmel, das über das Blachfeld wogt, es hat etwas Berauschendes wie
Schlachtmusik. Dann wieder die Sturmcolonne, die, Gewehr beim Fuß,
auf das Signal wartet, die steilen Felsen von Konstantine zu ersteigen, während
der alte General mit der Uhr in der Hand, von seinem Stäbe umgeben, seine
Dispositionen berechnet: es ist eine Spannung in dem ganzen Bilde, die der
Betrachter unwillkürlich mitempfindet. Und endlich der> Sturm selbst, wo die
^'othhosigen Jnfanteristen mit Händen und Füßen an der schroffen Höhe herauf¬
klettern, hier ein Getroffner zurücktaumelt, dort ein junger Lieutenant mit ge¬
schwungenem Degen vorandringt, da ein kleiner Tambour unerschrocken die
Trommel schlägt — man glaubt das Geschrei, die Schüsse, den Trommelwirbel
den ganzen Schlachtlärm zu hören. Und mit ebenso rücksichtsloser Wahrheit
hat Coutüre die Orgien der römischen Kaiserzeit, hat Paul de la Roche die
Verurtheilung Marie Antoinettes und Napoleon in Fontainebleau gemalt.
D>e deutsche Philistern hat nicht über die bespritzten Stiefeln wegkommen
können, die der große Mann auf dem letztern Bilde anhat. Wem solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/343>, abgerufen am 22.06.2024.