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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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rührten, streifen die unsern vom Nordpol bis zum Aequator, um noch nicht
dagewesene Effecte für den verwöhnten Gaumen des Publicums zu entdecken.
Ich sah im Museum von Lyon zwei Bilder von Biard, das Eismeer und die
afrikanische Wüste, beide höchst wirksam und frappant gemalt, nebeneinander.
An und für sich ist nun gar nichts dagegen zu sagen, daß die Kunst daS
Schöne und Eigenthümliche auch in der fremdartigen Natur der Tropen
und Polarkreise zum Gegenstande ihrer Darstellung macht; ja ich stehe nicht
an, die Farbenwirkungen, die Hildebrand auf Bildern von Madera und dem
Nil erreicht hat, als Berechnungen der Landschaftsmalerei zu betrachten. Nur
freilich liegt auch die Gefahr sehr nahe, daß grade das Fremdartige, Bizarre,
Frappante zur Hauptsache gemacht und die wahre Aufgabe der Landschafts¬
malerei darüber vergessen wird. Ist dies der Fall (wie es denn in der That
häusig genug sich zeigt), so hören solche Bilder auf ein rein künstlerisches Interesse
zu haben; sie sind dann geographische Illustrationen, aber keine gemalten Ge¬
dichte mehr. Auch ist nicht zu übersehen, daß die Richtung auf das Frappante,
den überraschenden Effect, welche im Wesen dieser Gattung begründet ist, sich
auch der übrigen Landschafsmalerei mittheilt, und nicht zu ihrem Vortheil. Doch
von solchen Ausschreitungen kehrt die Kunst spät oder früh in die richtigen
Geleise zurück, die ungesunden Richtungen sterben ab, aber die Erfindungen, zu
denen sie geführt haben, tragen zur Weiterentwicklung bei.

Nach dieser Uebersicht der gegenwärtigen deutschen Malerei, die aus der
gedrängten Fülle der Erscheinungen nur die hervorragendsten und am meisten
ins Auge fallenden berühren konnte, wende ich mich zu einer kurzen Betrach¬
tung der französisch-belgischen Kunst. Auf den ersten Blick ist ihr von der
deutschen verschiedenes/ja entgegengesetztes Wesen unverkennbar. Während bei
uns die Landschaft einen so breiten Raum einnimmt, tritt sie dort ganz in den
Hintergrund. Während bei uns die Historienmalerei ihre Stoffe mit Vorliebe
aus der Welt der Ideen entnimmt, greift sie hier ins volle "bunte Leben", und
reproducirt dies mis allen seinen Zufälligkeiten zur vollsten Anschaulichkeit.
Endlich steht dieser Kunst eine Virtuosität im Gebrauch der technischen Mittel
zu Gebot, zu der die spröde, theils freiwillige, theils nothgedrungene Einfach¬
heit' der Darstellung auf deutschen Bildern einen eigenthümlichen Contrast
bildet.

Die Thatsache, daß daS Naturgefühl der romanischen Nationen von dem
der germanischen verschieden ist, wird niemand bestreiten, wie verschieden man
diese Erscheinung auch auffassen mag. Ebenso unbestritten ist es, daß die ger¬
manische Naturauffassung für daS Entstehen der Landschaftsmalerei einen
günstigern Boden bietet als die romanische. Die Kunstgeschichte bestätigt dies
in auffallender Weise. Es hat allerdings zu allen Zeiten einzelne romanische
Landschaftsmaler gegeben, die den besten germanischen an die Seite gesetzt


rührten, streifen die unsern vom Nordpol bis zum Aequator, um noch nicht
dagewesene Effecte für den verwöhnten Gaumen des Publicums zu entdecken.
Ich sah im Museum von Lyon zwei Bilder von Biard, das Eismeer und die
afrikanische Wüste, beide höchst wirksam und frappant gemalt, nebeneinander.
An und für sich ist nun gar nichts dagegen zu sagen, daß die Kunst daS
Schöne und Eigenthümliche auch in der fremdartigen Natur der Tropen
und Polarkreise zum Gegenstande ihrer Darstellung macht; ja ich stehe nicht
an, die Farbenwirkungen, die Hildebrand auf Bildern von Madera und dem
Nil erreicht hat, als Berechnungen der Landschaftsmalerei zu betrachten. Nur
freilich liegt auch die Gefahr sehr nahe, daß grade das Fremdartige, Bizarre,
Frappante zur Hauptsache gemacht und die wahre Aufgabe der Landschafts¬
malerei darüber vergessen wird. Ist dies der Fall (wie es denn in der That
häusig genug sich zeigt), so hören solche Bilder auf ein rein künstlerisches Interesse
zu haben; sie sind dann geographische Illustrationen, aber keine gemalten Ge¬
dichte mehr. Auch ist nicht zu übersehen, daß die Richtung auf das Frappante,
den überraschenden Effect, welche im Wesen dieser Gattung begründet ist, sich
auch der übrigen Landschafsmalerei mittheilt, und nicht zu ihrem Vortheil. Doch
von solchen Ausschreitungen kehrt die Kunst spät oder früh in die richtigen
Geleise zurück, die ungesunden Richtungen sterben ab, aber die Erfindungen, zu
denen sie geführt haben, tragen zur Weiterentwicklung bei.

Nach dieser Uebersicht der gegenwärtigen deutschen Malerei, die aus der
gedrängten Fülle der Erscheinungen nur die hervorragendsten und am meisten
ins Auge fallenden berühren konnte, wende ich mich zu einer kurzen Betrach¬
tung der französisch-belgischen Kunst. Auf den ersten Blick ist ihr von der
deutschen verschiedenes/ja entgegengesetztes Wesen unverkennbar. Während bei
uns die Landschaft einen so breiten Raum einnimmt, tritt sie dort ganz in den
Hintergrund. Während bei uns die Historienmalerei ihre Stoffe mit Vorliebe
aus der Welt der Ideen entnimmt, greift sie hier ins volle „bunte Leben", und
reproducirt dies mis allen seinen Zufälligkeiten zur vollsten Anschaulichkeit.
Endlich steht dieser Kunst eine Virtuosität im Gebrauch der technischen Mittel
zu Gebot, zu der die spröde, theils freiwillige, theils nothgedrungene Einfach¬
heit' der Darstellung auf deutschen Bildern einen eigenthümlichen Contrast
bildet.

Die Thatsache, daß daS Naturgefühl der romanischen Nationen von dem
der germanischen verschieden ist, wird niemand bestreiten, wie verschieden man
diese Erscheinung auch auffassen mag. Ebenso unbestritten ist es, daß die ger¬
manische Naturauffassung für daS Entstehen der Landschaftsmalerei einen
günstigern Boden bietet als die romanische. Die Kunstgeschichte bestätigt dies
in auffallender Weise. Es hat allerdings zu allen Zeiten einzelne romanische
Landschaftsmaler gegeben, die den besten germanischen an die Seite gesetzt


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[0342] rührten, streifen die unsern vom Nordpol bis zum Aequator, um noch nicht dagewesene Effecte für den verwöhnten Gaumen des Publicums zu entdecken. Ich sah im Museum von Lyon zwei Bilder von Biard, das Eismeer und die afrikanische Wüste, beide höchst wirksam und frappant gemalt, nebeneinander. An und für sich ist nun gar nichts dagegen zu sagen, daß die Kunst daS Schöne und Eigenthümliche auch in der fremdartigen Natur der Tropen und Polarkreise zum Gegenstande ihrer Darstellung macht; ja ich stehe nicht an, die Farbenwirkungen, die Hildebrand auf Bildern von Madera und dem Nil erreicht hat, als Berechnungen der Landschaftsmalerei zu betrachten. Nur freilich liegt auch die Gefahr sehr nahe, daß grade das Fremdartige, Bizarre, Frappante zur Hauptsache gemacht und die wahre Aufgabe der Landschafts¬ malerei darüber vergessen wird. Ist dies der Fall (wie es denn in der That häusig genug sich zeigt), so hören solche Bilder auf ein rein künstlerisches Interesse zu haben; sie sind dann geographische Illustrationen, aber keine gemalten Ge¬ dichte mehr. Auch ist nicht zu übersehen, daß die Richtung auf das Frappante, den überraschenden Effect, welche im Wesen dieser Gattung begründet ist, sich auch der übrigen Landschafsmalerei mittheilt, und nicht zu ihrem Vortheil. Doch von solchen Ausschreitungen kehrt die Kunst spät oder früh in die richtigen Geleise zurück, die ungesunden Richtungen sterben ab, aber die Erfindungen, zu denen sie geführt haben, tragen zur Weiterentwicklung bei. Nach dieser Uebersicht der gegenwärtigen deutschen Malerei, die aus der gedrängten Fülle der Erscheinungen nur die hervorragendsten und am meisten ins Auge fallenden berühren konnte, wende ich mich zu einer kurzen Betrach¬ tung der französisch-belgischen Kunst. Auf den ersten Blick ist ihr von der deutschen verschiedenes/ja entgegengesetztes Wesen unverkennbar. Während bei uns die Landschaft einen so breiten Raum einnimmt, tritt sie dort ganz in den Hintergrund. Während bei uns die Historienmalerei ihre Stoffe mit Vorliebe aus der Welt der Ideen entnimmt, greift sie hier ins volle „bunte Leben", und reproducirt dies mis allen seinen Zufälligkeiten zur vollsten Anschaulichkeit. Endlich steht dieser Kunst eine Virtuosität im Gebrauch der technischen Mittel zu Gebot, zu der die spröde, theils freiwillige, theils nothgedrungene Einfach¬ heit' der Darstellung auf deutschen Bildern einen eigenthümlichen Contrast bildet. Die Thatsache, daß daS Naturgefühl der romanischen Nationen von dem der germanischen verschieden ist, wird niemand bestreiten, wie verschieden man diese Erscheinung auch auffassen mag. Ebenso unbestritten ist es, daß die ger¬ manische Naturauffassung für daS Entstehen der Landschaftsmalerei einen günstigern Boden bietet als die romanische. Die Kunstgeschichte bestätigt dies in auffallender Weise. Es hat allerdings zu allen Zeiten einzelne romanische Landschaftsmaler gegeben, die den besten germanischen an die Seite gesetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/342>, abgerufen am 22.06.2024.