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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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erzeugt werden. Der Verein für evangelische Kunst in Berlin ist ein todt-
gebornes Unternehmen, und waS für Früchte es tragen wird/ davon konnte
die vor einigen Jahren veranstaltete Ausstellung der Concurrenzbilder eine
Probe geben. Es waren, ich glaube dreißig oder vierzig Loos Komo da, aber
doch sehr wenige darunter, bei denen man hätte verweilen mögen.

Wenn die Benutzung der Kunst auch zu dem allerlöblichsten außerhalb
liegenden Zweck als ein Mißgriff betrachtet werden muß, insofern jedes Kunst¬
werk ein in sich abgeschlossenes sein soll, das sich selbst Zweck ist, und nicht ein
Vehikel zur Beförderung irgend einer von seinem Wesen, getrennten Tendenz:
so versteht es sich von selbst, daß der Künstler seinen Pinsel ebensowenig zu ge¬
malten Abhandlungen von moralischen und socialen Fragen hergeben darf.
Glücklicherweise spielt die Tendenzmalerei in der Kunst der Gegenwart auch
eine ziemlich untergeordnete Rolle, was um so erfreulicher ist, je breiter sich
die Tendenz in der Literatur' der letzten Jahre macht. Auch der düsseldorfer
Hübner, dessen Jagdrecht vielleicht durch den unglücklichen Gegenstand noch mehr
als durch die glückliche Behandlung den Beifall des großen Haufens erwarb,
scheint diese Richtung verlassen zu haben. Möchten doch die schlesischen Weber
und andre hungernde Proletarier von unsern Ausstellungen bald ganz ver¬
schwunden sein; Bildersäle sind doch am allerwenigsten zu Lösungen socialer und
andrer Principienfragen geeignet.

Wenn die religiösen Richtungen einerseits, das Interesse an den socialen
Fragen andrerseits die Historienmalerei auf Abwege geführt hat, so ist die er¬
höhte Wanderlust und Neisewuth unsrer Tage, die sich Dank der erleichterten
Communication nicht mehr mit Europa begnügt, sondern schon fast auf alle
Länder erstreckt, die in dem berühmten "Wanderlied für die deutsche Jugend"
besungen werden -- sie ist auf die Landschaftsmalerei nicht ohne Einfluß ge¬
blieben. Auch die Genremaler begnügen sich nicht mehr wie früher mit römi¬
schen Pifferari, Barbierscenen von Piazza Montanara oder neapolitanischen
Tarantellen; es erscheinen auf unsern Ausstellungen immer mehr und mehr
ägyptische Studenten, konstantinopolitanische Raucher und abyssinische Sklaven¬
händler. Indessen diese interessanten Persönlichkeiten sind, doch noch vereinzelt,
die außereuropäische Landschaft dagegen ist schon zu einer Gattung erwachsen, die
von Jahr zu Jahr zahlreicher wird. Früher war Italien das weiteste Ziel des
pilgernden Künstlers, die Verbindung Griechenlands mit Baiern machte zuerst
dies schöne Land zum Gegenstande für die deutsche Kunst, die Expedition unter
Lepsius hat das Land der Pyramiden, die Reisen der Engländer Kleinasien in
den Kreis der Länder gezogen, die von Touristen und Landschaftern abgereist
werden. Humboldts Reisen in Südamerika sind auch für die bildende Kunst
uicht ohne Folgen geblieben. Während die Maler der früheren Zeiten mit an¬
spruchslosen Darstellungen aus der nächsten heimischen Umgebung die Herzen


erzeugt werden. Der Verein für evangelische Kunst in Berlin ist ein todt-
gebornes Unternehmen, und waS für Früchte es tragen wird/ davon konnte
die vor einigen Jahren veranstaltete Ausstellung der Concurrenzbilder eine
Probe geben. Es waren, ich glaube dreißig oder vierzig Loos Komo da, aber
doch sehr wenige darunter, bei denen man hätte verweilen mögen.

Wenn die Benutzung der Kunst auch zu dem allerlöblichsten außerhalb
liegenden Zweck als ein Mißgriff betrachtet werden muß, insofern jedes Kunst¬
werk ein in sich abgeschlossenes sein soll, das sich selbst Zweck ist, und nicht ein
Vehikel zur Beförderung irgend einer von seinem Wesen, getrennten Tendenz:
so versteht es sich von selbst, daß der Künstler seinen Pinsel ebensowenig zu ge¬
malten Abhandlungen von moralischen und socialen Fragen hergeben darf.
Glücklicherweise spielt die Tendenzmalerei in der Kunst der Gegenwart auch
eine ziemlich untergeordnete Rolle, was um so erfreulicher ist, je breiter sich
die Tendenz in der Literatur' der letzten Jahre macht. Auch der düsseldorfer
Hübner, dessen Jagdrecht vielleicht durch den unglücklichen Gegenstand noch mehr
als durch die glückliche Behandlung den Beifall des großen Haufens erwarb,
scheint diese Richtung verlassen zu haben. Möchten doch die schlesischen Weber
und andre hungernde Proletarier von unsern Ausstellungen bald ganz ver¬
schwunden sein; Bildersäle sind doch am allerwenigsten zu Lösungen socialer und
andrer Principienfragen geeignet.

Wenn die religiösen Richtungen einerseits, das Interesse an den socialen
Fragen andrerseits die Historienmalerei auf Abwege geführt hat, so ist die er¬
höhte Wanderlust und Neisewuth unsrer Tage, die sich Dank der erleichterten
Communication nicht mehr mit Europa begnügt, sondern schon fast auf alle
Länder erstreckt, die in dem berühmten „Wanderlied für die deutsche Jugend"
besungen werden — sie ist auf die Landschaftsmalerei nicht ohne Einfluß ge¬
blieben. Auch die Genremaler begnügen sich nicht mehr wie früher mit römi¬
schen Pifferari, Barbierscenen von Piazza Montanara oder neapolitanischen
Tarantellen; es erscheinen auf unsern Ausstellungen immer mehr und mehr
ägyptische Studenten, konstantinopolitanische Raucher und abyssinische Sklaven¬
händler. Indessen diese interessanten Persönlichkeiten sind, doch noch vereinzelt,
die außereuropäische Landschaft dagegen ist schon zu einer Gattung erwachsen, die
von Jahr zu Jahr zahlreicher wird. Früher war Italien das weiteste Ziel des
pilgernden Künstlers, die Verbindung Griechenlands mit Baiern machte zuerst
dies schöne Land zum Gegenstande für die deutsche Kunst, die Expedition unter
Lepsius hat das Land der Pyramiden, die Reisen der Engländer Kleinasien in
den Kreis der Länder gezogen, die von Touristen und Landschaftern abgereist
werden. Humboldts Reisen in Südamerika sind auch für die bildende Kunst
uicht ohne Folgen geblieben. Während die Maler der früheren Zeiten mit an¬
spruchslosen Darstellungen aus der nächsten heimischen Umgebung die Herzen


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[0341] erzeugt werden. Der Verein für evangelische Kunst in Berlin ist ein todt- gebornes Unternehmen, und waS für Früchte es tragen wird/ davon konnte die vor einigen Jahren veranstaltete Ausstellung der Concurrenzbilder eine Probe geben. Es waren, ich glaube dreißig oder vierzig Loos Komo da, aber doch sehr wenige darunter, bei denen man hätte verweilen mögen. Wenn die Benutzung der Kunst auch zu dem allerlöblichsten außerhalb liegenden Zweck als ein Mißgriff betrachtet werden muß, insofern jedes Kunst¬ werk ein in sich abgeschlossenes sein soll, das sich selbst Zweck ist, und nicht ein Vehikel zur Beförderung irgend einer von seinem Wesen, getrennten Tendenz: so versteht es sich von selbst, daß der Künstler seinen Pinsel ebensowenig zu ge¬ malten Abhandlungen von moralischen und socialen Fragen hergeben darf. Glücklicherweise spielt die Tendenzmalerei in der Kunst der Gegenwart auch eine ziemlich untergeordnete Rolle, was um so erfreulicher ist, je breiter sich die Tendenz in der Literatur' der letzten Jahre macht. Auch der düsseldorfer Hübner, dessen Jagdrecht vielleicht durch den unglücklichen Gegenstand noch mehr als durch die glückliche Behandlung den Beifall des großen Haufens erwarb, scheint diese Richtung verlassen zu haben. Möchten doch die schlesischen Weber und andre hungernde Proletarier von unsern Ausstellungen bald ganz ver¬ schwunden sein; Bildersäle sind doch am allerwenigsten zu Lösungen socialer und andrer Principienfragen geeignet. Wenn die religiösen Richtungen einerseits, das Interesse an den socialen Fragen andrerseits die Historienmalerei auf Abwege geführt hat, so ist die er¬ höhte Wanderlust und Neisewuth unsrer Tage, die sich Dank der erleichterten Communication nicht mehr mit Europa begnügt, sondern schon fast auf alle Länder erstreckt, die in dem berühmten „Wanderlied für die deutsche Jugend" besungen werden — sie ist auf die Landschaftsmalerei nicht ohne Einfluß ge¬ blieben. Auch die Genremaler begnügen sich nicht mehr wie früher mit römi¬ schen Pifferari, Barbierscenen von Piazza Montanara oder neapolitanischen Tarantellen; es erscheinen auf unsern Ausstellungen immer mehr und mehr ägyptische Studenten, konstantinopolitanische Raucher und abyssinische Sklaven¬ händler. Indessen diese interessanten Persönlichkeiten sind, doch noch vereinzelt, die außereuropäische Landschaft dagegen ist schon zu einer Gattung erwachsen, die von Jahr zu Jahr zahlreicher wird. Früher war Italien das weiteste Ziel des pilgernden Künstlers, die Verbindung Griechenlands mit Baiern machte zuerst dies schöne Land zum Gegenstande für die deutsche Kunst, die Expedition unter Lepsius hat das Land der Pyramiden, die Reisen der Engländer Kleinasien in den Kreis der Länder gezogen, die von Touristen und Landschaftern abgereist werden. Humboldts Reisen in Südamerika sind auch für die bildende Kunst uicht ohne Folgen geblieben. Während die Maler der früheren Zeiten mit an¬ spruchslosen Darstellungen aus der nächsten heimischen Umgebung die Herzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/341>, abgerufen am 22.06.2024.