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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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gehabt, in den letzten sich auch der protestantischen Kunst mitgetheilt. Wir halten
diese Richtung, welche die Kunst der Religion dienstbar machen will, für eine
der beklagenswerthesten Verirrungen unsrer Zeit. Es ist lächerlich, sich dabei
aus die Fiesole und Francia zu berufen, deren höchste Schöpfungen freilich aus
einer innigen christlichen Frömmigkeit entsprungen sind, und ohne sie nicht
hätten entstehen können. In jener Zeit machte aber die Religion den Haupt¬
inhalt des geistigen Lebens aus, wo nicht den ausschließlichen, darum konnte
die Kunst in ihr aufgehen; in unsrer Zeit ist es nicht mehr so, und der Künst¬
ler, der die Kunst in eine unnatürlich gewordene Sklaverei zwängt, wird mit
seinen Werken nur seine kleine stille Gemeinde 'erbauen, der ungeheuren Mehr¬
heit der Mitwelt aber fremd bleiben. Er mag sich noch so viele Mühe geben,
sich in den Glauben und die Empfindungsweise des vierzehnten Jahrhunderts
zurückzuschrauben; er hört doch nie auf ein Sohn des neunzehnten zu sein,
und die Erreichung des vorgesteckten Ziels ist eine baare Unmöglichkeit, die
Bilder von Fiesole, mit ihre" handgreiflichen Mängeln, reißen auch ein un¬
gläubiges Gemüth durch ihre unwiderstehlich überzeugende Kraft hin; die so
unendlich vollendeteren Bilder Overbecks z. B. können wol interesstren und selbst
mit Bewunderung erfüllen, aber die von dem Künstler beabsichtigte Wirkung,
eine christliche Andacht zu erwecken, thun sie nur bei denen, denen überhaupt
der heilige Gegenstand, nicht die Darstellung die Hauptsache ist. Um diese zu
erbauen, dazu bedarf es nicht der overbeckschen Silberftistzüge, dazu reicht jedes
Heiligenbild aus. Eine specifisch christliche Kunst hat ihre Berechtigung in
einem specifisch christlichen Zeitalter, die Kunst aber, die für alle Zeiten und
alle Länder bildend und fördernd sein soll, muß allgemein menschlich sein. Das
sind die besten rafaelischen Madonnen im höchsten Sinne des Worts, vor
allen die florentinische üsUa hockt-r, die nie aufhören wird empfängliche Herzen
zu erheben und zu rühren, so lange das ewig Weibliche Menschen hinanziehen
wird. Den katholischen und protestantischen Nazarenern ist dies und ähnliche
Bilder allerdings zu weltlich. Der Künstler, den sein Naturell zu einer mensch¬
lichen Behandlung heiliger Gegenstände befähigt, an dessen Bilde werden diese
Pharisäer der Kunst auch heute mit fromm verdrehten Augen Vorübergehen,
aber jeder, der ein offnes Herz für das wahrhaft Schöne hat, wird sich daran
erbauen. Solche Bilder; die im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert so
häufig gemalt wurden, sieht man jetzt freilich selten genug. Ich erinnere mich
nur einiger in diesem Sinn behandelter heiliger Scenen von Mach in Kirchen
von Gent, die durch ihre anspruchslose Einfachheit doppelt rührend und an¬
ziehend waren, besonders einer Madonna mit dem schlafenden Kinde im Schoß,
die den kleinen heiligen Johannes abwehrt, der mit einer Traube jauchzend
herbeieile; ich glaube in Se. Nikolaus. Aber was auf diesem Boden, wie in
der Kunst überhaupt, nicht von. selbst heranwächst, das wird auch nicht künstlich


gehabt, in den letzten sich auch der protestantischen Kunst mitgetheilt. Wir halten
diese Richtung, welche die Kunst der Religion dienstbar machen will, für eine
der beklagenswerthesten Verirrungen unsrer Zeit. Es ist lächerlich, sich dabei
aus die Fiesole und Francia zu berufen, deren höchste Schöpfungen freilich aus
einer innigen christlichen Frömmigkeit entsprungen sind, und ohne sie nicht
hätten entstehen können. In jener Zeit machte aber die Religion den Haupt¬
inhalt des geistigen Lebens aus, wo nicht den ausschließlichen, darum konnte
die Kunst in ihr aufgehen; in unsrer Zeit ist es nicht mehr so, und der Künst¬
ler, der die Kunst in eine unnatürlich gewordene Sklaverei zwängt, wird mit
seinen Werken nur seine kleine stille Gemeinde 'erbauen, der ungeheuren Mehr¬
heit der Mitwelt aber fremd bleiben. Er mag sich noch so viele Mühe geben,
sich in den Glauben und die Empfindungsweise des vierzehnten Jahrhunderts
zurückzuschrauben; er hört doch nie auf ein Sohn des neunzehnten zu sein,
und die Erreichung des vorgesteckten Ziels ist eine baare Unmöglichkeit, die
Bilder von Fiesole, mit ihre» handgreiflichen Mängeln, reißen auch ein un¬
gläubiges Gemüth durch ihre unwiderstehlich überzeugende Kraft hin; die so
unendlich vollendeteren Bilder Overbecks z. B. können wol interesstren und selbst
mit Bewunderung erfüllen, aber die von dem Künstler beabsichtigte Wirkung,
eine christliche Andacht zu erwecken, thun sie nur bei denen, denen überhaupt
der heilige Gegenstand, nicht die Darstellung die Hauptsache ist. Um diese zu
erbauen, dazu bedarf es nicht der overbeckschen Silberftistzüge, dazu reicht jedes
Heiligenbild aus. Eine specifisch christliche Kunst hat ihre Berechtigung in
einem specifisch christlichen Zeitalter, die Kunst aber, die für alle Zeiten und
alle Länder bildend und fördernd sein soll, muß allgemein menschlich sein. Das
sind die besten rafaelischen Madonnen im höchsten Sinne des Worts, vor
allen die florentinische üsUa hockt-r, die nie aufhören wird empfängliche Herzen
zu erheben und zu rühren, so lange das ewig Weibliche Menschen hinanziehen
wird. Den katholischen und protestantischen Nazarenern ist dies und ähnliche
Bilder allerdings zu weltlich. Der Künstler, den sein Naturell zu einer mensch¬
lichen Behandlung heiliger Gegenstände befähigt, an dessen Bilde werden diese
Pharisäer der Kunst auch heute mit fromm verdrehten Augen Vorübergehen,
aber jeder, der ein offnes Herz für das wahrhaft Schöne hat, wird sich daran
erbauen. Solche Bilder; die im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert so
häufig gemalt wurden, sieht man jetzt freilich selten genug. Ich erinnere mich
nur einiger in diesem Sinn behandelter heiliger Scenen von Mach in Kirchen
von Gent, die durch ihre anspruchslose Einfachheit doppelt rührend und an¬
ziehend waren, besonders einer Madonna mit dem schlafenden Kinde im Schoß,
die den kleinen heiligen Johannes abwehrt, der mit einer Traube jauchzend
herbeieile; ich glaube in Se. Nikolaus. Aber was auf diesem Boden, wie in
der Kunst überhaupt, nicht von. selbst heranwächst, das wird auch nicht künstlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/340>, abgerufen am 22.06.2024.