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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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das letzte, das einen ganz reinen Eindruck machte. Es hob den bis dahin mit
der Ungunst der Verhältnisse ringenden Künstler mit einem Male auf die Stelle,
die ihm gebührte; und Graf Raczynski, der es bestellte, hat sich dadurch ein Ver¬
dienst erworben, das vieles, was er in seinen drei Quartanten über die neuere
Malerei gegen die Vernunft, den Geschmack und die deutsche Sprache verbrochen
hat, gut macht. Aber in den zahlreichen großen Compositionen, die. der
Hunnenschlacht gefolgt sind, hat der Künstler, wie es scheint in dem Bewußtsein
des für immer gesicherten Ruhms und wohl wissend, wie man der Menge im-
Ponirt, nicht mehr die reine Schönheit, sondern vielfach den Effect erstrebt.
Mit einer gewissen Frivolität hat er sich seinem mächtigen Schöpfungsdrange
überlassen, hat aus der Fülle der ihm zuströmenden Ideen ohne viel Sichtung und
Prüfung gegriffen, und sich nicht die Zeit genommen, sie so durchzubilden, wie
er es vermocht haben würde. Daher eine Ueberfülle von Motiven statt Reich¬
thums, ein Mangel an individuellem Leben in einzelnen Figuren, und theatra¬
lisches Pathos statt wahrer innerer Empfindung. Dabei ist keines von diesen
Bildern ohne Schönheiten ersten Ranges, und um so schmerzlicher empfindet
der Betrachter, daß Kaulbach das zu erreichen verschmäht, was er erreichen
könnte. Am reinsten wirken die einzelnen Figuren, wie hie Sage, die Wissen¬
schaft, die Kirche: höhere Wesen, aus einer andern Welt herabgezaubert, und
doch uns so verwandt und verständlich. Auch seine satirischen Compositionen
gewähren einen ganz reinen Genuß; weil sie ebensosehr im höchsten Sinne
komisch als künstlerisch vollendet sind. Die Vielseitigkeit eines Geistes, aus
dem sowol die Hunnenschlacht und so viele andere Compositionen im größten
Stil, als auch der Reinecke Fuchs und die arabeskenhafte Darstellung der Welt¬
geschichte in Kinderfiguren hervorgegangen sind, ist wol in der Geschichte der
Kunst ohne Beispiel. Die neuesten Compositionen zum Shakespeare bestätigen
leider auch, daß der- Künstler von seiner Leichtigkeit im Produciren einen Ge¬
brauch macht, den niemand gutheißen kann, der an jedes Kunstwerk die höchsten
und unveränderlichen Forderungen stellt.

Die sehr zahlreichen, zum Theil vortrefflichen Künstler, die in ganz Deutsch¬
land theils den geschilderten Richtungen sich anschließen, zum Theil ihrer eignen
Individualität folgen, zum Theil die Vorzüge der französisch-belgischen Kunst
Mit denen der vaterländischen zu vereinigen streben, sie können in diesen flüch¬
tigen Betrachtungen, die nur die Spitzen unsrer Kunstzustände streifen sollen,
keine Erwähnung finden. Dagegen müssen einige Erscheinungen berücksichtigt
werden, die zum Theil unerfreulicher Natur sind, aber integrirende und charak¬
teristische Elemente der Gesammtproduction unsrer Periode bilden.

Zunächst der NazarenismuS. Er ist hervorgegangen aus der Reaction der
christlichen Konfessionen gegen den Deismus des vorigen Jahrhunderts, er hat in
den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine wesentliche katholische Färbung


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das letzte, das einen ganz reinen Eindruck machte. Es hob den bis dahin mit
der Ungunst der Verhältnisse ringenden Künstler mit einem Male auf die Stelle,
die ihm gebührte; und Graf Raczynski, der es bestellte, hat sich dadurch ein Ver¬
dienst erworben, das vieles, was er in seinen drei Quartanten über die neuere
Malerei gegen die Vernunft, den Geschmack und die deutsche Sprache verbrochen
hat, gut macht. Aber in den zahlreichen großen Compositionen, die. der
Hunnenschlacht gefolgt sind, hat der Künstler, wie es scheint in dem Bewußtsein
des für immer gesicherten Ruhms und wohl wissend, wie man der Menge im-
Ponirt, nicht mehr die reine Schönheit, sondern vielfach den Effect erstrebt.
Mit einer gewissen Frivolität hat er sich seinem mächtigen Schöpfungsdrange
überlassen, hat aus der Fülle der ihm zuströmenden Ideen ohne viel Sichtung und
Prüfung gegriffen, und sich nicht die Zeit genommen, sie so durchzubilden, wie
er es vermocht haben würde. Daher eine Ueberfülle von Motiven statt Reich¬
thums, ein Mangel an individuellem Leben in einzelnen Figuren, und theatra¬
lisches Pathos statt wahrer innerer Empfindung. Dabei ist keines von diesen
Bildern ohne Schönheiten ersten Ranges, und um so schmerzlicher empfindet
der Betrachter, daß Kaulbach das zu erreichen verschmäht, was er erreichen
könnte. Am reinsten wirken die einzelnen Figuren, wie hie Sage, die Wissen¬
schaft, die Kirche: höhere Wesen, aus einer andern Welt herabgezaubert, und
doch uns so verwandt und verständlich. Auch seine satirischen Compositionen
gewähren einen ganz reinen Genuß; weil sie ebensosehr im höchsten Sinne
komisch als künstlerisch vollendet sind. Die Vielseitigkeit eines Geistes, aus
dem sowol die Hunnenschlacht und so viele andere Compositionen im größten
Stil, als auch der Reinecke Fuchs und die arabeskenhafte Darstellung der Welt¬
geschichte in Kinderfiguren hervorgegangen sind, ist wol in der Geschichte der
Kunst ohne Beispiel. Die neuesten Compositionen zum Shakespeare bestätigen
leider auch, daß der- Künstler von seiner Leichtigkeit im Produciren einen Ge¬
brauch macht, den niemand gutheißen kann, der an jedes Kunstwerk die höchsten
und unveränderlichen Forderungen stellt.

Die sehr zahlreichen, zum Theil vortrefflichen Künstler, die in ganz Deutsch¬
land theils den geschilderten Richtungen sich anschließen, zum Theil ihrer eignen
Individualität folgen, zum Theil die Vorzüge der französisch-belgischen Kunst
Mit denen der vaterländischen zu vereinigen streben, sie können in diesen flüch¬
tigen Betrachtungen, die nur die Spitzen unsrer Kunstzustände streifen sollen,
keine Erwähnung finden. Dagegen müssen einige Erscheinungen berücksichtigt
werden, die zum Theil unerfreulicher Natur sind, aber integrirende und charak¬
teristische Elemente der Gesammtproduction unsrer Periode bilden.

Zunächst der NazarenismuS. Er ist hervorgegangen aus der Reaction der
christlichen Konfessionen gegen den Deismus des vorigen Jahrhunderts, er hat in
den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine wesentliche katholische Färbung


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[0339] das letzte, das einen ganz reinen Eindruck machte. Es hob den bis dahin mit der Ungunst der Verhältnisse ringenden Künstler mit einem Male auf die Stelle, die ihm gebührte; und Graf Raczynski, der es bestellte, hat sich dadurch ein Ver¬ dienst erworben, das vieles, was er in seinen drei Quartanten über die neuere Malerei gegen die Vernunft, den Geschmack und die deutsche Sprache verbrochen hat, gut macht. Aber in den zahlreichen großen Compositionen, die. der Hunnenschlacht gefolgt sind, hat der Künstler, wie es scheint in dem Bewußtsein des für immer gesicherten Ruhms und wohl wissend, wie man der Menge im- Ponirt, nicht mehr die reine Schönheit, sondern vielfach den Effect erstrebt. Mit einer gewissen Frivolität hat er sich seinem mächtigen Schöpfungsdrange überlassen, hat aus der Fülle der ihm zuströmenden Ideen ohne viel Sichtung und Prüfung gegriffen, und sich nicht die Zeit genommen, sie so durchzubilden, wie er es vermocht haben würde. Daher eine Ueberfülle von Motiven statt Reich¬ thums, ein Mangel an individuellem Leben in einzelnen Figuren, und theatra¬ lisches Pathos statt wahrer innerer Empfindung. Dabei ist keines von diesen Bildern ohne Schönheiten ersten Ranges, und um so schmerzlicher empfindet der Betrachter, daß Kaulbach das zu erreichen verschmäht, was er erreichen könnte. Am reinsten wirken die einzelnen Figuren, wie hie Sage, die Wissen¬ schaft, die Kirche: höhere Wesen, aus einer andern Welt herabgezaubert, und doch uns so verwandt und verständlich. Auch seine satirischen Compositionen gewähren einen ganz reinen Genuß; weil sie ebensosehr im höchsten Sinne komisch als künstlerisch vollendet sind. Die Vielseitigkeit eines Geistes, aus dem sowol die Hunnenschlacht und so viele andere Compositionen im größten Stil, als auch der Reinecke Fuchs und die arabeskenhafte Darstellung der Welt¬ geschichte in Kinderfiguren hervorgegangen sind, ist wol in der Geschichte der Kunst ohne Beispiel. Die neuesten Compositionen zum Shakespeare bestätigen leider auch, daß der- Künstler von seiner Leichtigkeit im Produciren einen Ge¬ brauch macht, den niemand gutheißen kann, der an jedes Kunstwerk die höchsten und unveränderlichen Forderungen stellt. Die sehr zahlreichen, zum Theil vortrefflichen Künstler, die in ganz Deutsch¬ land theils den geschilderten Richtungen sich anschließen, zum Theil ihrer eignen Individualität folgen, zum Theil die Vorzüge der französisch-belgischen Kunst Mit denen der vaterländischen zu vereinigen streben, sie können in diesen flüch¬ tigen Betrachtungen, die nur die Spitzen unsrer Kunstzustände streifen sollen, keine Erwähnung finden. Dagegen müssen einige Erscheinungen berücksichtigt werden, die zum Theil unerfreulicher Natur sind, aber integrirende und charak¬ teristische Elemente der Gesammtproduction unsrer Periode bilden. Zunächst der NazarenismuS. Er ist hervorgegangen aus der Reaction der christlichen Konfessionen gegen den Deismus des vorigen Jahrhunderts, er hat in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine wesentliche katholische Färbung 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/339>, abgerufen am 22.06.2024.