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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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durch die Schranken seiner Begabung gehindert war, das Höchste zu leisten, seine
Anfänge mit sicherer Hand der Vollendung entgegenzubringen. Ihn hatte die
Natur verschwenderisch auch mit solchen Gaben ausgestattet, die sie seinem
Lehrer versagte. Während Cornelius so schwer und langsam arbeitet wie
Beethoven, vermag Kaulbach seine Ideen mit spielender Leichtigkeit hinzuwerfen.
Die Härten der Formbildung, die Cornelius nicht los werden kann, hat er
schon früh'überwunden und eine reine edle Schönheit der. Darstellung erreicht.
Er hat eine unendlich größere Beherrschung der rechnischen Mittel, als Cor¬
nelius, und dies ist in der Kunst eine keineswegs so gering zu achtende Eigen¬
schaft, als diejenigen uns möchten glauben machen, die sie nicht besitzen. End¬
lich ist er unendlich vielseitiger, als Cornelius, der nur dem Adler gleich in
den höchsten Regionen der Cinbildungskraft heimisch ist; der nur darstellt, was
Dante, Homer, die Dichter der Nibelungen, die Propheten des alten und
neuen Testaments gesungen haben, zu den engen Dimensionen und dem Ge¬
staltengewimmel des Alltagslebens sich niemals aber herablassen kann. Kaul¬
bachs Darstellungsvermögen scheint auf allen Gebieten der Phantasie und der
Wirklichkeit gleich groß und unerschöpflich zu sein. Vor allem aber hat er einen
glänzenden, sprudelnden, überreichen Witz, wie ihn vielleicht nie ein Künstler
besessen, eine Eigenschaft, die ihm selbst seine ungerechten Beurtheiler zugestehen
müssen.

Aber trotzdem, daß Kaulbach so überschwenglich reich begabt ist, ist seine
Production im Ganzen betrachtet doch kein Fortschritt im Vergleich zu der seines
Lehrers. Es ist schmerzlich zu sehn, daß ein so seltener Geist, wie ihn nicht
jedes Jahrhundert hervorbringt, seine Kraft nicht zum Höchsten und Besten ver¬
wendet, das er allein zu vollbringen vermöchte. Die augenblicklichen Erfolge,
die er mit unerhörter Leichtigkeit erreichen konnte, scheinen für Kaulbach so ver¬
führerisch gewesen zu sein, daß er von der einzigen Norm, der die Seele eines
Künstlers treu bleiben soll, wie die Nadel dem Pol, abgewichen ist. Für den
Künstler soll eS keine Götter geben, außer der Kunst; läßt er sich verleiten,
den falschen Götzen des Effects, der Tendenz und wie sie sonst heißen mögen,
zu opfern, so ist er abtrünnig. Cornelius hat während seines langen Lebens
die Bahn, die den Künstler allein ans Ziel führt, mit unerschütterlicher Be¬
harrlichkeit verfolgt; wobei es freilich wahr ist, daß ihn die geringere Vielseitig¬
keit seiner Begabung auch nicht so sehr der Versuchung aussetzte. Kaulbachs
künstlerischer Charakter dagegen ist nicht so rein und makellos geblieben, und wenn
die Mitwelt sich auch hierüber nicht klar wird, so wird die Nachwelt, wie wir
fürchten, ein unnachsichtigeres Urtheil fällen.

Kaulbachs erstes großes Werk, die Hunnenschlacht (jetzt auch, und wie ich
höre mit vortrefflicher Wirkung, im neuen Museum zu Berlin in Farben aus¬
geführt), ließ einen Fortschritt gegen Cornelius erwarten; aber es war auch


durch die Schranken seiner Begabung gehindert war, das Höchste zu leisten, seine
Anfänge mit sicherer Hand der Vollendung entgegenzubringen. Ihn hatte die
Natur verschwenderisch auch mit solchen Gaben ausgestattet, die sie seinem
Lehrer versagte. Während Cornelius so schwer und langsam arbeitet wie
Beethoven, vermag Kaulbach seine Ideen mit spielender Leichtigkeit hinzuwerfen.
Die Härten der Formbildung, die Cornelius nicht los werden kann, hat er
schon früh'überwunden und eine reine edle Schönheit der. Darstellung erreicht.
Er hat eine unendlich größere Beherrschung der rechnischen Mittel, als Cor¬
nelius, und dies ist in der Kunst eine keineswegs so gering zu achtende Eigen¬
schaft, als diejenigen uns möchten glauben machen, die sie nicht besitzen. End¬
lich ist er unendlich vielseitiger, als Cornelius, der nur dem Adler gleich in
den höchsten Regionen der Cinbildungskraft heimisch ist; der nur darstellt, was
Dante, Homer, die Dichter der Nibelungen, die Propheten des alten und
neuen Testaments gesungen haben, zu den engen Dimensionen und dem Ge¬
staltengewimmel des Alltagslebens sich niemals aber herablassen kann. Kaul¬
bachs Darstellungsvermögen scheint auf allen Gebieten der Phantasie und der
Wirklichkeit gleich groß und unerschöpflich zu sein. Vor allem aber hat er einen
glänzenden, sprudelnden, überreichen Witz, wie ihn vielleicht nie ein Künstler
besessen, eine Eigenschaft, die ihm selbst seine ungerechten Beurtheiler zugestehen
müssen.

Aber trotzdem, daß Kaulbach so überschwenglich reich begabt ist, ist seine
Production im Ganzen betrachtet doch kein Fortschritt im Vergleich zu der seines
Lehrers. Es ist schmerzlich zu sehn, daß ein so seltener Geist, wie ihn nicht
jedes Jahrhundert hervorbringt, seine Kraft nicht zum Höchsten und Besten ver¬
wendet, das er allein zu vollbringen vermöchte. Die augenblicklichen Erfolge,
die er mit unerhörter Leichtigkeit erreichen konnte, scheinen für Kaulbach so ver¬
führerisch gewesen zu sein, daß er von der einzigen Norm, der die Seele eines
Künstlers treu bleiben soll, wie die Nadel dem Pol, abgewichen ist. Für den
Künstler soll eS keine Götter geben, außer der Kunst; läßt er sich verleiten,
den falschen Götzen des Effects, der Tendenz und wie sie sonst heißen mögen,
zu opfern, so ist er abtrünnig. Cornelius hat während seines langen Lebens
die Bahn, die den Künstler allein ans Ziel führt, mit unerschütterlicher Be¬
harrlichkeit verfolgt; wobei es freilich wahr ist, daß ihn die geringere Vielseitig¬
keit seiner Begabung auch nicht so sehr der Versuchung aussetzte. Kaulbachs
künstlerischer Charakter dagegen ist nicht so rein und makellos geblieben, und wenn
die Mitwelt sich auch hierüber nicht klar wird, so wird die Nachwelt, wie wir
fürchten, ein unnachsichtigeres Urtheil fällen.

Kaulbachs erstes großes Werk, die Hunnenschlacht (jetzt auch, und wie ich
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geführt), ließ einen Fortschritt gegen Cornelius erwarten; aber es war auch


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[0338] durch die Schranken seiner Begabung gehindert war, das Höchste zu leisten, seine Anfänge mit sicherer Hand der Vollendung entgegenzubringen. Ihn hatte die Natur verschwenderisch auch mit solchen Gaben ausgestattet, die sie seinem Lehrer versagte. Während Cornelius so schwer und langsam arbeitet wie Beethoven, vermag Kaulbach seine Ideen mit spielender Leichtigkeit hinzuwerfen. Die Härten der Formbildung, die Cornelius nicht los werden kann, hat er schon früh'überwunden und eine reine edle Schönheit der. Darstellung erreicht. Er hat eine unendlich größere Beherrschung der rechnischen Mittel, als Cor¬ nelius, und dies ist in der Kunst eine keineswegs so gering zu achtende Eigen¬ schaft, als diejenigen uns möchten glauben machen, die sie nicht besitzen. End¬ lich ist er unendlich vielseitiger, als Cornelius, der nur dem Adler gleich in den höchsten Regionen der Cinbildungskraft heimisch ist; der nur darstellt, was Dante, Homer, die Dichter der Nibelungen, die Propheten des alten und neuen Testaments gesungen haben, zu den engen Dimensionen und dem Ge¬ staltengewimmel des Alltagslebens sich niemals aber herablassen kann. Kaul¬ bachs Darstellungsvermögen scheint auf allen Gebieten der Phantasie und der Wirklichkeit gleich groß und unerschöpflich zu sein. Vor allem aber hat er einen glänzenden, sprudelnden, überreichen Witz, wie ihn vielleicht nie ein Künstler besessen, eine Eigenschaft, die ihm selbst seine ungerechten Beurtheiler zugestehen müssen. Aber trotzdem, daß Kaulbach so überschwenglich reich begabt ist, ist seine Production im Ganzen betrachtet doch kein Fortschritt im Vergleich zu der seines Lehrers. Es ist schmerzlich zu sehn, daß ein so seltener Geist, wie ihn nicht jedes Jahrhundert hervorbringt, seine Kraft nicht zum Höchsten und Besten ver¬ wendet, das er allein zu vollbringen vermöchte. Die augenblicklichen Erfolge, die er mit unerhörter Leichtigkeit erreichen konnte, scheinen für Kaulbach so ver¬ führerisch gewesen zu sein, daß er von der einzigen Norm, der die Seele eines Künstlers treu bleiben soll, wie die Nadel dem Pol, abgewichen ist. Für den Künstler soll eS keine Götter geben, außer der Kunst; läßt er sich verleiten, den falschen Götzen des Effects, der Tendenz und wie sie sonst heißen mögen, zu opfern, so ist er abtrünnig. Cornelius hat während seines langen Lebens die Bahn, die den Künstler allein ans Ziel führt, mit unerschütterlicher Be¬ harrlichkeit verfolgt; wobei es freilich wahr ist, daß ihn die geringere Vielseitig¬ keit seiner Begabung auch nicht so sehr der Versuchung aussetzte. Kaulbachs künstlerischer Charakter dagegen ist nicht so rein und makellos geblieben, und wenn die Mitwelt sich auch hierüber nicht klar wird, so wird die Nachwelt, wie wir fürchten, ein unnachsichtigeres Urtheil fällen. Kaulbachs erstes großes Werk, die Hunnenschlacht (jetzt auch, und wie ich höre mit vortrefflicher Wirkung, im neuen Museum zu Berlin in Farben aus¬ geführt), ließ einen Fortschritt gegen Cornelius erwarten; aber es war auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/338>, abgerufen am 22.06.2024.