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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Schöpfungen seines höchsten Alters, die Entwürfe für das Campo Santo zu
dem Größten, was er überhaupt gemacht hat. Man weiß nicht, ob man es
beklagen oder preisen soll, daß sie vom Schicksal bestimmt scheinen, unaus¬
geführt zu bleiben. Ich sah in Rom seinen Entwurf zu dem Nischenbilde des
Pröjectirten berliner Doms: oben die himmlischen Heerscharen in'Erwartung
des jüngsten Gerichts, während der untere Raum von den betenden königlichen
Familien ausgefüllt werden sollte. Noch keine Spur von Altersschwäche zeigt
sich in dieser herrlichen Conception und vor allem ist die Gruppe der Engel,
die den Befehl erwarten, in die Posaunen zu stoßen, von einer überwältigen¬
den Schönheit.

Bei Cornelius' Schülern und Nachfolgern hat der Anschluß an die von
ihm geschaffenen Vorbilder nicht immer zu erfreulichen Resultaten geführt. Seine
Formen waren leichter nachzuahmen, als sein Geist, und leider sind auch seine
Fehler mit größrer Vorliebe beibehalten worden, als zu wünschen wäre. Seine
Formbildung ist in den Händen seiner Schüler vielfach zum Schematismus
ausgeartet, seine Ideale sind oft zu wesenlosen Schattengestalten, seine Charak¬
teristik zur Manier, seine Strenge zur Eckigkeit und Unbeholfenheit geworden.
Viel Unheil hat auch seine Neigung zur Allegorie gestiftet, die in der bildenden
Kunst allerhöchstens geduldet werden, aber nie einen breiten Raum in Anspruch
nehmen darf. Glücklicherweise sind die allegorischen Beziehungen, welche die
Cornelianer mitunter in ihre Bilder legen, oft so fein und versteckt, daß man
sie gar nicht ahnt und folglich in Unwissenheit darüber bleibt, welche Absurdi¬
tät der Maler eigentlich beabsichtigt hat. Wenn nun diese Mängel die schwä-
chern Leistungen der Münchner ungenießbar machen (namentlich dem großen
Publicum, für dessen Geschmack sie gar nichts biete"), so werden sie natürlich
er den bedeutender!! Werken von dem innern Gehalt überwogen oder doch com-
Pensirt. Ein ganz selbstständiger Geist ist Bonaventura Genelli. Man kann
seine seltene Begabung nicht verkennen, und doch ist es nicht blos, wie seine
Verehrer behaupten, die Ungunst der Verhältnisse und seine Unfähigkeit zu
malen, die ihn der großen" Majorität der kunstliebenden Mitwelt hat fremd
bleiben lassen, es ist vielmehr der Mangel an ästhetischer Durchbildung, der
sich in allen seinen Productionen fühlbar macht. Es ist ein Ringen von ent¬
gegengesetzten Principien darin, das er nicht zum Abschluß zu bringen vermocht
hat; denn auf der einen Seite neigt er sich der Antike, auf der andern der
Richtung Michel Angelos zu. Außerdem sind seine Gegenstände mitunter
gradezu absurd, z. B. einiges in dem Leben der Here.

Cornelius größter Schüler ist Kaulbach. Während die andern sich in den
von dem Meister vorgezeichneten Bahnen bewegen, ist er allein darüber hinaus¬
gegangen und wandelt seine eignen Wege. Er war wie keiner unter den Lebenden
berufen, das von Cornelius Begonnene weiter zu führen, und wo Cornelius


Grenzboten. II. 1866. i2

Schöpfungen seines höchsten Alters, die Entwürfe für das Campo Santo zu
dem Größten, was er überhaupt gemacht hat. Man weiß nicht, ob man es
beklagen oder preisen soll, daß sie vom Schicksal bestimmt scheinen, unaus¬
geführt zu bleiben. Ich sah in Rom seinen Entwurf zu dem Nischenbilde des
Pröjectirten berliner Doms: oben die himmlischen Heerscharen in'Erwartung
des jüngsten Gerichts, während der untere Raum von den betenden königlichen
Familien ausgefüllt werden sollte. Noch keine Spur von Altersschwäche zeigt
sich in dieser herrlichen Conception und vor allem ist die Gruppe der Engel,
die den Befehl erwarten, in die Posaunen zu stoßen, von einer überwältigen¬
den Schönheit.

Bei Cornelius' Schülern und Nachfolgern hat der Anschluß an die von
ihm geschaffenen Vorbilder nicht immer zu erfreulichen Resultaten geführt. Seine
Formen waren leichter nachzuahmen, als sein Geist, und leider sind auch seine
Fehler mit größrer Vorliebe beibehalten worden, als zu wünschen wäre. Seine
Formbildung ist in den Händen seiner Schüler vielfach zum Schematismus
ausgeartet, seine Ideale sind oft zu wesenlosen Schattengestalten, seine Charak¬
teristik zur Manier, seine Strenge zur Eckigkeit und Unbeholfenheit geworden.
Viel Unheil hat auch seine Neigung zur Allegorie gestiftet, die in der bildenden
Kunst allerhöchstens geduldet werden, aber nie einen breiten Raum in Anspruch
nehmen darf. Glücklicherweise sind die allegorischen Beziehungen, welche die
Cornelianer mitunter in ihre Bilder legen, oft so fein und versteckt, daß man
sie gar nicht ahnt und folglich in Unwissenheit darüber bleibt, welche Absurdi¬
tät der Maler eigentlich beabsichtigt hat. Wenn nun diese Mängel die schwä-
chern Leistungen der Münchner ungenießbar machen (namentlich dem großen
Publicum, für dessen Geschmack sie gar nichts biete»), so werden sie natürlich
er den bedeutender!! Werken von dem innern Gehalt überwogen oder doch com-
Pensirt. Ein ganz selbstständiger Geist ist Bonaventura Genelli. Man kann
seine seltene Begabung nicht verkennen, und doch ist es nicht blos, wie seine
Verehrer behaupten, die Ungunst der Verhältnisse und seine Unfähigkeit zu
malen, die ihn der großen" Majorität der kunstliebenden Mitwelt hat fremd
bleiben lassen, es ist vielmehr der Mangel an ästhetischer Durchbildung, der
sich in allen seinen Productionen fühlbar macht. Es ist ein Ringen von ent¬
gegengesetzten Principien darin, das er nicht zum Abschluß zu bringen vermocht
hat; denn auf der einen Seite neigt er sich der Antike, auf der andern der
Richtung Michel Angelos zu. Außerdem sind seine Gegenstände mitunter
gradezu absurd, z. B. einiges in dem Leben der Here.

Cornelius größter Schüler ist Kaulbach. Während die andern sich in den
von dem Meister vorgezeichneten Bahnen bewegen, ist er allein darüber hinaus¬
gegangen und wandelt seine eignen Wege. Er war wie keiner unter den Lebenden
berufen, das von Cornelius Begonnene weiter zu führen, und wo Cornelius


Grenzboten. II. 1866. i2
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[0337] Schöpfungen seines höchsten Alters, die Entwürfe für das Campo Santo zu dem Größten, was er überhaupt gemacht hat. Man weiß nicht, ob man es beklagen oder preisen soll, daß sie vom Schicksal bestimmt scheinen, unaus¬ geführt zu bleiben. Ich sah in Rom seinen Entwurf zu dem Nischenbilde des Pröjectirten berliner Doms: oben die himmlischen Heerscharen in'Erwartung des jüngsten Gerichts, während der untere Raum von den betenden königlichen Familien ausgefüllt werden sollte. Noch keine Spur von Altersschwäche zeigt sich in dieser herrlichen Conception und vor allem ist die Gruppe der Engel, die den Befehl erwarten, in die Posaunen zu stoßen, von einer überwältigen¬ den Schönheit. Bei Cornelius' Schülern und Nachfolgern hat der Anschluß an die von ihm geschaffenen Vorbilder nicht immer zu erfreulichen Resultaten geführt. Seine Formen waren leichter nachzuahmen, als sein Geist, und leider sind auch seine Fehler mit größrer Vorliebe beibehalten worden, als zu wünschen wäre. Seine Formbildung ist in den Händen seiner Schüler vielfach zum Schematismus ausgeartet, seine Ideale sind oft zu wesenlosen Schattengestalten, seine Charak¬ teristik zur Manier, seine Strenge zur Eckigkeit und Unbeholfenheit geworden. Viel Unheil hat auch seine Neigung zur Allegorie gestiftet, die in der bildenden Kunst allerhöchstens geduldet werden, aber nie einen breiten Raum in Anspruch nehmen darf. Glücklicherweise sind die allegorischen Beziehungen, welche die Cornelianer mitunter in ihre Bilder legen, oft so fein und versteckt, daß man sie gar nicht ahnt und folglich in Unwissenheit darüber bleibt, welche Absurdi¬ tät der Maler eigentlich beabsichtigt hat. Wenn nun diese Mängel die schwä- chern Leistungen der Münchner ungenießbar machen (namentlich dem großen Publicum, für dessen Geschmack sie gar nichts biete»), so werden sie natürlich er den bedeutender!! Werken von dem innern Gehalt überwogen oder doch com- Pensirt. Ein ganz selbstständiger Geist ist Bonaventura Genelli. Man kann seine seltene Begabung nicht verkennen, und doch ist es nicht blos, wie seine Verehrer behaupten, die Ungunst der Verhältnisse und seine Unfähigkeit zu malen, die ihn der großen" Majorität der kunstliebenden Mitwelt hat fremd bleiben lassen, es ist vielmehr der Mangel an ästhetischer Durchbildung, der sich in allen seinen Productionen fühlbar macht. Es ist ein Ringen von ent¬ gegengesetzten Principien darin, das er nicht zum Abschluß zu bringen vermocht hat; denn auf der einen Seite neigt er sich der Antike, auf der andern der Richtung Michel Angelos zu. Außerdem sind seine Gegenstände mitunter gradezu absurd, z. B. einiges in dem Leben der Here. Cornelius größter Schüler ist Kaulbach. Während die andern sich in den von dem Meister vorgezeichneten Bahnen bewegen, ist er allein darüber hinaus¬ gegangen und wandelt seine eignen Wege. Er war wie keiner unter den Lebenden berufen, das von Cornelius Begonnene weiter zu führen, und wo Cornelius Grenzboten. II. 1866. i2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/337>, abgerufen am 22.06.2024.