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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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nungen fordert. Auch ein sehr untergeordnetes Talent kann bei vernünftiger
Beschränkung auf ein kleines, ihm zusagendes Gebiet der Natur gute landschaft¬
liche Bilder hervorbringen, wenn sie auch einander sehr ähnlich sein werden;
während auch die geringste Darstellung aus dem Leben, der Geschichte, der
idealen Welt neben einem tiefern Studium auch Erfindung verlangt, wenn sie
nichr todt geboren sein soll. Es soll sogar Landschaftsmaler geben, die z. B.
römische.Campagnebilder mit Virtuosität malen, in denen Luft, Boden, Gemäuer
und Gestrüpp unübertrefflich sind und sehr schön zusammenwirken; aber einen
Baum können dieselben Maler nicht zu Stande bringen. Eine solche beschränkte
Virtuosität ist nur in einer untergeordneten Kunstgattung möglich. Dem Land-
chaftsmaler kann Beobachtungsgabe, Takt und Geschmack nicht selten die Stelle
von Geist und Erfindung vertreten; dem Historienmaler nie. Wenigstens ist
dies jetzt der Fall, wo die künstlerische Auffassung und Darstellung der Natur
nach allen Seiten hin durch musterhafte Vorbilder verbreitet ist. -- Man kann
heutzutage ebenso gute Bilder malen, wie Ruysdael und Claude Lorrain,
ohne deshalb genial zu sein, wie sie es waren.

Die Münchner Schule hat Bahnen eingeschlagen, die von denen der düsscl-
dorfer weit abliegen und diese Pflege verschiedener Richtungen ist für die Ge-
sammtentwicklung der Kunst in hohem Grade förderlich gewesen. Während die
Düsseldorfer die Landschaftsmalerei mit so viel .Vorliebe und Glück geför¬
dert haben, tritt sie in der Münchner Schule in den Hintergrund und ihr be¬
deutendster Landschafter, Nottmann, hat wenigstens einen ganz andern Weg
verfolgt, als die Schirmer und Lessing, Gude und Ueberhand; er hat dem
eigentlichen Süden seine Gegenstände entnommen und seinen Landschaften einen
historischen Charakter gegeben. Geht doch Cornelius in der Nichtachtung der
Landschaft so weit, daß er ihr kaum einen Platz unter den wahren Kunstwerken
einräumen will, wenn sie nicht einen historischen Inhalt hat!

Die Münchner Schule hat ihre Richtung durch Cornelius empfangen, den
größten Maler, den Deutschland überhaupt hervorgebracht hat und der wol
den größten Malern aller Zeiten und Länder an die Seite gestellt werden darf.
Die Tiefe seines Geistes, die Großartigkeit seiner Weltanschauung, die Fülle
seiner Erfindung, die poetische Kraft seiner Gestaltung reihen ihn der kleinen
Schar von welthistorischen Künstlern ein, die wie wie Phidias, Rafael und
Michel Angelo der Menschheit angehören und auf die Cultur aller nach¬
folgenden Zeiten ihren Einfluß üben. Zugleich aber gehört er zu denen, die
nicht blos wegen ihrer Großes sondern auch wegen mancher Härte in ihrem We¬
sen nur von der Minderzahl der Mitlebenden verstanden und gewürdigt werden.
Der Laie bedarf zum Verständniß des Kunstwerks der Totalität der Erscheinung,
und diese wird in fast allen Bildern von Cornelius, mindestens durch die Farbe
verkümmert. Am reinsten wirken seine Cartons und unter diesen gehören die


nungen fordert. Auch ein sehr untergeordnetes Talent kann bei vernünftiger
Beschränkung auf ein kleines, ihm zusagendes Gebiet der Natur gute landschaft¬
liche Bilder hervorbringen, wenn sie auch einander sehr ähnlich sein werden;
während auch die geringste Darstellung aus dem Leben, der Geschichte, der
idealen Welt neben einem tiefern Studium auch Erfindung verlangt, wenn sie
nichr todt geboren sein soll. Es soll sogar Landschaftsmaler geben, die z. B.
römische.Campagnebilder mit Virtuosität malen, in denen Luft, Boden, Gemäuer
und Gestrüpp unübertrefflich sind und sehr schön zusammenwirken; aber einen
Baum können dieselben Maler nicht zu Stande bringen. Eine solche beschränkte
Virtuosität ist nur in einer untergeordneten Kunstgattung möglich. Dem Land-
chaftsmaler kann Beobachtungsgabe, Takt und Geschmack nicht selten die Stelle
von Geist und Erfindung vertreten; dem Historienmaler nie. Wenigstens ist
dies jetzt der Fall, wo die künstlerische Auffassung und Darstellung der Natur
nach allen Seiten hin durch musterhafte Vorbilder verbreitet ist. — Man kann
heutzutage ebenso gute Bilder malen, wie Ruysdael und Claude Lorrain,
ohne deshalb genial zu sein, wie sie es waren.

Die Münchner Schule hat Bahnen eingeschlagen, die von denen der düsscl-
dorfer weit abliegen und diese Pflege verschiedener Richtungen ist für die Ge-
sammtentwicklung der Kunst in hohem Grade förderlich gewesen. Während die
Düsseldorfer die Landschaftsmalerei mit so viel .Vorliebe und Glück geför¬
dert haben, tritt sie in der Münchner Schule in den Hintergrund und ihr be¬
deutendster Landschafter, Nottmann, hat wenigstens einen ganz andern Weg
verfolgt, als die Schirmer und Lessing, Gude und Ueberhand; er hat dem
eigentlichen Süden seine Gegenstände entnommen und seinen Landschaften einen
historischen Charakter gegeben. Geht doch Cornelius in der Nichtachtung der
Landschaft so weit, daß er ihr kaum einen Platz unter den wahren Kunstwerken
einräumen will, wenn sie nicht einen historischen Inhalt hat!

Die Münchner Schule hat ihre Richtung durch Cornelius empfangen, den
größten Maler, den Deutschland überhaupt hervorgebracht hat und der wol
den größten Malern aller Zeiten und Länder an die Seite gestellt werden darf.
Die Tiefe seines Geistes, die Großartigkeit seiner Weltanschauung, die Fülle
seiner Erfindung, die poetische Kraft seiner Gestaltung reihen ihn der kleinen
Schar von welthistorischen Künstlern ein, die wie wie Phidias, Rafael und
Michel Angelo der Menschheit angehören und auf die Cultur aller nach¬
folgenden Zeiten ihren Einfluß üben. Zugleich aber gehört er zu denen, die
nicht blos wegen ihrer Großes sondern auch wegen mancher Härte in ihrem We¬
sen nur von der Minderzahl der Mitlebenden verstanden und gewürdigt werden.
Der Laie bedarf zum Verständniß des Kunstwerks der Totalität der Erscheinung,
und diese wird in fast allen Bildern von Cornelius, mindestens durch die Farbe
verkümmert. Am reinsten wirken seine Cartons und unter diesen gehören die


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[0336] nungen fordert. Auch ein sehr untergeordnetes Talent kann bei vernünftiger Beschränkung auf ein kleines, ihm zusagendes Gebiet der Natur gute landschaft¬ liche Bilder hervorbringen, wenn sie auch einander sehr ähnlich sein werden; während auch die geringste Darstellung aus dem Leben, der Geschichte, der idealen Welt neben einem tiefern Studium auch Erfindung verlangt, wenn sie nichr todt geboren sein soll. Es soll sogar Landschaftsmaler geben, die z. B. römische.Campagnebilder mit Virtuosität malen, in denen Luft, Boden, Gemäuer und Gestrüpp unübertrefflich sind und sehr schön zusammenwirken; aber einen Baum können dieselben Maler nicht zu Stande bringen. Eine solche beschränkte Virtuosität ist nur in einer untergeordneten Kunstgattung möglich. Dem Land- chaftsmaler kann Beobachtungsgabe, Takt und Geschmack nicht selten die Stelle von Geist und Erfindung vertreten; dem Historienmaler nie. Wenigstens ist dies jetzt der Fall, wo die künstlerische Auffassung und Darstellung der Natur nach allen Seiten hin durch musterhafte Vorbilder verbreitet ist. — Man kann heutzutage ebenso gute Bilder malen, wie Ruysdael und Claude Lorrain, ohne deshalb genial zu sein, wie sie es waren. Die Münchner Schule hat Bahnen eingeschlagen, die von denen der düsscl- dorfer weit abliegen und diese Pflege verschiedener Richtungen ist für die Ge- sammtentwicklung der Kunst in hohem Grade förderlich gewesen. Während die Düsseldorfer die Landschaftsmalerei mit so viel .Vorliebe und Glück geför¬ dert haben, tritt sie in der Münchner Schule in den Hintergrund und ihr be¬ deutendster Landschafter, Nottmann, hat wenigstens einen ganz andern Weg verfolgt, als die Schirmer und Lessing, Gude und Ueberhand; er hat dem eigentlichen Süden seine Gegenstände entnommen und seinen Landschaften einen historischen Charakter gegeben. Geht doch Cornelius in der Nichtachtung der Landschaft so weit, daß er ihr kaum einen Platz unter den wahren Kunstwerken einräumen will, wenn sie nicht einen historischen Inhalt hat! Die Münchner Schule hat ihre Richtung durch Cornelius empfangen, den größten Maler, den Deutschland überhaupt hervorgebracht hat und der wol den größten Malern aller Zeiten und Länder an die Seite gestellt werden darf. Die Tiefe seines Geistes, die Großartigkeit seiner Weltanschauung, die Fülle seiner Erfindung, die poetische Kraft seiner Gestaltung reihen ihn der kleinen Schar von welthistorischen Künstlern ein, die wie wie Phidias, Rafael und Michel Angelo der Menschheit angehören und auf die Cultur aller nach¬ folgenden Zeiten ihren Einfluß üben. Zugleich aber gehört er zu denen, die nicht blos wegen ihrer Großes sondern auch wegen mancher Härte in ihrem We¬ sen nur von der Minderzahl der Mitlebenden verstanden und gewürdigt werden. Der Laie bedarf zum Verständniß des Kunstwerks der Totalität der Erscheinung, und diese wird in fast allen Bildern von Cornelius, mindestens durch die Farbe verkümmert. Am reinsten wirken seine Cartons und unter diesen gehören die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/336>, abgerufen am 22.06.2024.