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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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zugleich feine Gefühl für die Form und die Fähigkeit, sie mit voller Energie
nachzuschaffen. Ihre Formenbildung hat etwas Dilettantisches, der Gestalt wider¬
fährt nicht ihr volles Recht, es ist, als ob eine gewisse Aengstlichkeit in der Zeich¬
nung und Farbengebung den Künstler überall hinderte, seiner Idee ihren ganzen
und unverkümmerten Ausdruck zu geben. Ohne die uneingeschränkte Beherr¬
schung der Form kann aber ein Historienmaler nie aus vollem Holz schneiden,
es fehlt den Bildern immer etwas, das der gebildete Laie auch dann fühlt,
wenn er sich nicht davon Rechenschaft zu geben weiß. An denselben Mängeln
leidet in der Regel die Composttion. Die Bewegungen sind gewöhnlich zu
gezügelt, die Leidenschaften gemildert, kurz dem Ganzen ist die Blässe des Ge¬
dankens angekränkelt. Vor mehren Jahren machte ein früheres Bild von
H. Vernet, "die sächsische Prinzessin Editha findet die Leiche ihres Verlobten
Harald auf dem Schlachtfelde von Hastings", die Runde durch Deutschland;
die Darstellung der Leidenschaft ging hier bis an die äußerste Grenze des
Schönen. In einer sehr witzigen Beurtheilung der damaligen berliner Kunst¬
ausstellung gab E. Kossa eine Zeichnung, welche die Uebersetzung dieses Bildes
ins Düsseldorfische vorstellte, es war eine Caricatur, aber es war doch Wahr¬
heit darin. In der Wahl der Gegenstände wandte sich diese Schule mit Vor¬
liebe dem deutschen Mittelalter zu; aber man schöpfte hier meistens nicht an
den ursprünglichen Quellen, sondern empfing die Motive aus zweiter Hand
und zwar in der Auffassung, wie sie durch Uhland und seine Nachahmer vor
zwanzig und dreißig Jahren so unendlich verbreitet war. Diese bis zur Durch¬
sichtigkeit verklärten Gestalten, tugendsame Ritter und züchtige Fräulein, trau¬
ernde Königspaare und minnigliche Sänger sagten der damaligen Richtung
in hohem Grade zu. Sie waren sehr edel, gemüthvoll, manierlich und pathe¬
tisch; aber leider ganz abstract, ohne alle Individualität und folglich ohne jedes
Leben. Wir können uns Glück wünschen, daß diese todtgebornen Geschöpfe
uun hoffentlich für immer aus der Welt verschwunden sind; sie waren doch gar
zu melancholisch. Die Düsseldorfer haben vielfach so gemalt, wie Uhland und
das Heer seiner Nachtreter gedichtet hat; deshalb sind ihre Figuren so häufig
ohne wahren Charakter und ohne rechtes Leben geblieben. Und wenn sie ihre
Gegenstände noch so charakteristisch wählten, die Ausführung wurde doch immer
charakterlos. Wenn sie die gigantischen Gestalten aus der Urzeit des Men¬
schengeschlechtes, die Leidenschaften des Orients, den Flammen;om des alten
Testaments darstellen wollten, so geschah auch dies in derselben sanften elegi¬
schen Weise. Die trauernden Juden von Bendemann waren für einen jungen
Künstler allerdings ein ganz respectables Bild, aber große Hoffnungen konn¬
ten sie bei Urtheilsfähigen nie erwecken. Wer diese wilde Leidenschaft, der nnr
Michel Angelo und Händel hätten gerecht werden können, so zahm darstellen
konnte, dem stand keine große Zukunft bevor. Der Psalm, den sich der Maler


zugleich feine Gefühl für die Form und die Fähigkeit, sie mit voller Energie
nachzuschaffen. Ihre Formenbildung hat etwas Dilettantisches, der Gestalt wider¬
fährt nicht ihr volles Recht, es ist, als ob eine gewisse Aengstlichkeit in der Zeich¬
nung und Farbengebung den Künstler überall hinderte, seiner Idee ihren ganzen
und unverkümmerten Ausdruck zu geben. Ohne die uneingeschränkte Beherr¬
schung der Form kann aber ein Historienmaler nie aus vollem Holz schneiden,
es fehlt den Bildern immer etwas, das der gebildete Laie auch dann fühlt,
wenn er sich nicht davon Rechenschaft zu geben weiß. An denselben Mängeln
leidet in der Regel die Composttion. Die Bewegungen sind gewöhnlich zu
gezügelt, die Leidenschaften gemildert, kurz dem Ganzen ist die Blässe des Ge¬
dankens angekränkelt. Vor mehren Jahren machte ein früheres Bild von
H. Vernet, „die sächsische Prinzessin Editha findet die Leiche ihres Verlobten
Harald auf dem Schlachtfelde von Hastings", die Runde durch Deutschland;
die Darstellung der Leidenschaft ging hier bis an die äußerste Grenze des
Schönen. In einer sehr witzigen Beurtheilung der damaligen berliner Kunst¬
ausstellung gab E. Kossa eine Zeichnung, welche die Uebersetzung dieses Bildes
ins Düsseldorfische vorstellte, es war eine Caricatur, aber es war doch Wahr¬
heit darin. In der Wahl der Gegenstände wandte sich diese Schule mit Vor¬
liebe dem deutschen Mittelalter zu; aber man schöpfte hier meistens nicht an
den ursprünglichen Quellen, sondern empfing die Motive aus zweiter Hand
und zwar in der Auffassung, wie sie durch Uhland und seine Nachahmer vor
zwanzig und dreißig Jahren so unendlich verbreitet war. Diese bis zur Durch¬
sichtigkeit verklärten Gestalten, tugendsame Ritter und züchtige Fräulein, trau¬
ernde Königspaare und minnigliche Sänger sagten der damaligen Richtung
in hohem Grade zu. Sie waren sehr edel, gemüthvoll, manierlich und pathe¬
tisch; aber leider ganz abstract, ohne alle Individualität und folglich ohne jedes
Leben. Wir können uns Glück wünschen, daß diese todtgebornen Geschöpfe
uun hoffentlich für immer aus der Welt verschwunden sind; sie waren doch gar
zu melancholisch. Die Düsseldorfer haben vielfach so gemalt, wie Uhland und
das Heer seiner Nachtreter gedichtet hat; deshalb sind ihre Figuren so häufig
ohne wahren Charakter und ohne rechtes Leben geblieben. Und wenn sie ihre
Gegenstände noch so charakteristisch wählten, die Ausführung wurde doch immer
charakterlos. Wenn sie die gigantischen Gestalten aus der Urzeit des Men¬
schengeschlechtes, die Leidenschaften des Orients, den Flammen;om des alten
Testaments darstellen wollten, so geschah auch dies in derselben sanften elegi¬
schen Weise. Die trauernden Juden von Bendemann waren für einen jungen
Künstler allerdings ein ganz respectables Bild, aber große Hoffnungen konn¬
ten sie bei Urtheilsfähigen nie erwecken. Wer diese wilde Leidenschaft, der nnr
Michel Angelo und Händel hätten gerecht werden können, so zahm darstellen
konnte, dem stand keine große Zukunft bevor. Der Psalm, den sich der Maler


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[0333] zugleich feine Gefühl für die Form und die Fähigkeit, sie mit voller Energie nachzuschaffen. Ihre Formenbildung hat etwas Dilettantisches, der Gestalt wider¬ fährt nicht ihr volles Recht, es ist, als ob eine gewisse Aengstlichkeit in der Zeich¬ nung und Farbengebung den Künstler überall hinderte, seiner Idee ihren ganzen und unverkümmerten Ausdruck zu geben. Ohne die uneingeschränkte Beherr¬ schung der Form kann aber ein Historienmaler nie aus vollem Holz schneiden, es fehlt den Bildern immer etwas, das der gebildete Laie auch dann fühlt, wenn er sich nicht davon Rechenschaft zu geben weiß. An denselben Mängeln leidet in der Regel die Composttion. Die Bewegungen sind gewöhnlich zu gezügelt, die Leidenschaften gemildert, kurz dem Ganzen ist die Blässe des Ge¬ dankens angekränkelt. Vor mehren Jahren machte ein früheres Bild von H. Vernet, „die sächsische Prinzessin Editha findet die Leiche ihres Verlobten Harald auf dem Schlachtfelde von Hastings", die Runde durch Deutschland; die Darstellung der Leidenschaft ging hier bis an die äußerste Grenze des Schönen. In einer sehr witzigen Beurtheilung der damaligen berliner Kunst¬ ausstellung gab E. Kossa eine Zeichnung, welche die Uebersetzung dieses Bildes ins Düsseldorfische vorstellte, es war eine Caricatur, aber es war doch Wahr¬ heit darin. In der Wahl der Gegenstände wandte sich diese Schule mit Vor¬ liebe dem deutschen Mittelalter zu; aber man schöpfte hier meistens nicht an den ursprünglichen Quellen, sondern empfing die Motive aus zweiter Hand und zwar in der Auffassung, wie sie durch Uhland und seine Nachahmer vor zwanzig und dreißig Jahren so unendlich verbreitet war. Diese bis zur Durch¬ sichtigkeit verklärten Gestalten, tugendsame Ritter und züchtige Fräulein, trau¬ ernde Königspaare und minnigliche Sänger sagten der damaligen Richtung in hohem Grade zu. Sie waren sehr edel, gemüthvoll, manierlich und pathe¬ tisch; aber leider ganz abstract, ohne alle Individualität und folglich ohne jedes Leben. Wir können uns Glück wünschen, daß diese todtgebornen Geschöpfe uun hoffentlich für immer aus der Welt verschwunden sind; sie waren doch gar zu melancholisch. Die Düsseldorfer haben vielfach so gemalt, wie Uhland und das Heer seiner Nachtreter gedichtet hat; deshalb sind ihre Figuren so häufig ohne wahren Charakter und ohne rechtes Leben geblieben. Und wenn sie ihre Gegenstände noch so charakteristisch wählten, die Ausführung wurde doch immer charakterlos. Wenn sie die gigantischen Gestalten aus der Urzeit des Men¬ schengeschlechtes, die Leidenschaften des Orients, den Flammen;om des alten Testaments darstellen wollten, so geschah auch dies in derselben sanften elegi¬ schen Weise. Die trauernden Juden von Bendemann waren für einen jungen Künstler allerdings ein ganz respectables Bild, aber große Hoffnungen konn¬ ten sie bei Urtheilsfähigen nie erwecken. Wer diese wilde Leidenschaft, der nnr Michel Angelo und Händel hätten gerecht werden können, so zahm darstellen konnte, dem stand keine große Zukunft bevor. Der Psalm, den sich der Maler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/333>, abgerufen am 22.06.2024.