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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Werken, die der Spekulation auf vorübergehende Richtungen der Gegenwart
ihre Entstehung verdanken, wird schon die nächste Zukunft nichts mehr wissen,
aber die wohlthätigen und fördernden Wirkungen, welche unsre Zustände auf
die Entwicklung der Kunst gehabt haben, werden nicht verloren gehn und die
Nachkommen werden das Begonnene weiter führen.

Es gibt auch jetzt, wie von jeher in Europa, nur zwei Kunstrichtungen,
eine germanische und eine romanische. Die romanischen Nationen, welche die
Kunst früher gehegt haben, die spanische und'italienische, sind für sie so gut
wie todt; sie habeivzwar hin und wieder Künstler, und vielleicht vortreffliche, aber
keine lebensfähige selbstständige Kunst. Ihren Platz nehmen die Franzosen
und Belgier ein. Die germanische Kunst vertritt Deutschland so gut wie allein.
Was in den skandinavischen Ländern und Dänemark geleistet wird, ist theils
schülerhaft, theils auf deutschem Boden groß gezogen und mit deutschem Mark
genährt. Der britischen Nation ist der Beruf zu allen Künsten, außer der einen,
in der sie das Höchste geleistet hat, versagt geblieben. England hat eigentlich
nur einen originellen Maler hervorgebracht, Hogarth; und dieser virtuose Dar¬
steller der nackten häßlichen Wirklichkeit konnte vielleicht in keinem andern Lande
sich so entwickeln, als in England.*) Die slawischen Nationen haben bis jetzt
ihre Befähigung für die bildenden Künste noch nicht gezeigt. Vielleicht gelingt
es dem Ministerium der Volksaufklärung, in Rußland die Welt auch mit einer
französisch-russischen Kunst zu beschenken.

Die deutsche Kunst wurde wiedergeboren mit der Befreiung der Nation
von der Fremdherrschaft. In den gewaltigen Anstrengungen, mit denen wir
diese Ketten sprengten, rissen wir uns auch von dem Gängelbande los, an dem
die große Nation unsern Geschmack geleitet, unsre Kunst in ihren Bahnen geführt
hatte. Der nationale Sinn war erwacht und das geistige Leben der Nation
trieb neue Sprossen. Die Blütezeit der Poesie nahte sich ihrem Ende, es
begann eine Blütezeit der bildenden Kunst, wie sie Deutschland seit mehr als
zweihundert Jahren nicht gehabt hatte.

Die beiden Hauptrichtungen der modernen deutschen Malerei sind von
den beiden Hauptstädten ausgegangen, wo sie ihre Pflege gesunden hat,
Düsseldorf und München; jene ist vorzugsweise norddeutsch und protestantisch;
sie wendet sich ganz besonders an das Gemüth; diese süddeutsch und katholisch,
sie hat vor allem.durch eine durchgebildete Gestaltung ihrer Ideen zu wirken
gestrebt. B,n dem entschieden sentimentalen Charakter der düsseldorfer Schule
konnte sie in der Historienmalerei eigentlich niemals das Höchste leisten. Auch
an den besten Vertretern dieser Richtung vermißt man den wahren Gestalten¬
sinn, die lebendige Freude an der Fülle der Erscheinungen, das strenge und



*) Talente zweiten Ranges, wie Wilkie und auf andern, Gebiet Landsecr n. a., kommen
hier nicht in Betracht.

Werken, die der Spekulation auf vorübergehende Richtungen der Gegenwart
ihre Entstehung verdanken, wird schon die nächste Zukunft nichts mehr wissen,
aber die wohlthätigen und fördernden Wirkungen, welche unsre Zustände auf
die Entwicklung der Kunst gehabt haben, werden nicht verloren gehn und die
Nachkommen werden das Begonnene weiter führen.

Es gibt auch jetzt, wie von jeher in Europa, nur zwei Kunstrichtungen,
eine germanische und eine romanische. Die romanischen Nationen, welche die
Kunst früher gehegt haben, die spanische und'italienische, sind für sie so gut
wie todt; sie habeivzwar hin und wieder Künstler, und vielleicht vortreffliche, aber
keine lebensfähige selbstständige Kunst. Ihren Platz nehmen die Franzosen
und Belgier ein. Die germanische Kunst vertritt Deutschland so gut wie allein.
Was in den skandinavischen Ländern und Dänemark geleistet wird, ist theils
schülerhaft, theils auf deutschem Boden groß gezogen und mit deutschem Mark
genährt. Der britischen Nation ist der Beruf zu allen Künsten, außer der einen,
in der sie das Höchste geleistet hat, versagt geblieben. England hat eigentlich
nur einen originellen Maler hervorgebracht, Hogarth; und dieser virtuose Dar¬
steller der nackten häßlichen Wirklichkeit konnte vielleicht in keinem andern Lande
sich so entwickeln, als in England.*) Die slawischen Nationen haben bis jetzt
ihre Befähigung für die bildenden Künste noch nicht gezeigt. Vielleicht gelingt
es dem Ministerium der Volksaufklärung, in Rußland die Welt auch mit einer
französisch-russischen Kunst zu beschenken.

Die deutsche Kunst wurde wiedergeboren mit der Befreiung der Nation
von der Fremdherrschaft. In den gewaltigen Anstrengungen, mit denen wir
diese Ketten sprengten, rissen wir uns auch von dem Gängelbande los, an dem
die große Nation unsern Geschmack geleitet, unsre Kunst in ihren Bahnen geführt
hatte. Der nationale Sinn war erwacht und das geistige Leben der Nation
trieb neue Sprossen. Die Blütezeit der Poesie nahte sich ihrem Ende, es
begann eine Blütezeit der bildenden Kunst, wie sie Deutschland seit mehr als
zweihundert Jahren nicht gehabt hatte.

Die beiden Hauptrichtungen der modernen deutschen Malerei sind von
den beiden Hauptstädten ausgegangen, wo sie ihre Pflege gesunden hat,
Düsseldorf und München; jene ist vorzugsweise norddeutsch und protestantisch;
sie wendet sich ganz besonders an das Gemüth; diese süddeutsch und katholisch,
sie hat vor allem.durch eine durchgebildete Gestaltung ihrer Ideen zu wirken
gestrebt. B,n dem entschieden sentimentalen Charakter der düsseldorfer Schule
konnte sie in der Historienmalerei eigentlich niemals das Höchste leisten. Auch
an den besten Vertretern dieser Richtung vermißt man den wahren Gestalten¬
sinn, die lebendige Freude an der Fülle der Erscheinungen, das strenge und



*) Talente zweiten Ranges, wie Wilkie und auf andern, Gebiet Landsecr n. a., kommen
hier nicht in Betracht.
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[0332] Werken, die der Spekulation auf vorübergehende Richtungen der Gegenwart ihre Entstehung verdanken, wird schon die nächste Zukunft nichts mehr wissen, aber die wohlthätigen und fördernden Wirkungen, welche unsre Zustände auf die Entwicklung der Kunst gehabt haben, werden nicht verloren gehn und die Nachkommen werden das Begonnene weiter führen. Es gibt auch jetzt, wie von jeher in Europa, nur zwei Kunstrichtungen, eine germanische und eine romanische. Die romanischen Nationen, welche die Kunst früher gehegt haben, die spanische und'italienische, sind für sie so gut wie todt; sie habeivzwar hin und wieder Künstler, und vielleicht vortreffliche, aber keine lebensfähige selbstständige Kunst. Ihren Platz nehmen die Franzosen und Belgier ein. Die germanische Kunst vertritt Deutschland so gut wie allein. Was in den skandinavischen Ländern und Dänemark geleistet wird, ist theils schülerhaft, theils auf deutschem Boden groß gezogen und mit deutschem Mark genährt. Der britischen Nation ist der Beruf zu allen Künsten, außer der einen, in der sie das Höchste geleistet hat, versagt geblieben. England hat eigentlich nur einen originellen Maler hervorgebracht, Hogarth; und dieser virtuose Dar¬ steller der nackten häßlichen Wirklichkeit konnte vielleicht in keinem andern Lande sich so entwickeln, als in England.*) Die slawischen Nationen haben bis jetzt ihre Befähigung für die bildenden Künste noch nicht gezeigt. Vielleicht gelingt es dem Ministerium der Volksaufklärung, in Rußland die Welt auch mit einer französisch-russischen Kunst zu beschenken. Die deutsche Kunst wurde wiedergeboren mit der Befreiung der Nation von der Fremdherrschaft. In den gewaltigen Anstrengungen, mit denen wir diese Ketten sprengten, rissen wir uns auch von dem Gängelbande los, an dem die große Nation unsern Geschmack geleitet, unsre Kunst in ihren Bahnen geführt hatte. Der nationale Sinn war erwacht und das geistige Leben der Nation trieb neue Sprossen. Die Blütezeit der Poesie nahte sich ihrem Ende, es begann eine Blütezeit der bildenden Kunst, wie sie Deutschland seit mehr als zweihundert Jahren nicht gehabt hatte. Die beiden Hauptrichtungen der modernen deutschen Malerei sind von den beiden Hauptstädten ausgegangen, wo sie ihre Pflege gesunden hat, Düsseldorf und München; jene ist vorzugsweise norddeutsch und protestantisch; sie wendet sich ganz besonders an das Gemüth; diese süddeutsch und katholisch, sie hat vor allem.durch eine durchgebildete Gestaltung ihrer Ideen zu wirken gestrebt. B,n dem entschieden sentimentalen Charakter der düsseldorfer Schule konnte sie in der Historienmalerei eigentlich niemals das Höchste leisten. Auch an den besten Vertretern dieser Richtung vermißt man den wahren Gestalten¬ sinn, die lebendige Freude an der Fülle der Erscheinungen, das strenge und *) Talente zweiten Ranges, wie Wilkie und auf andern, Gebiet Landsecr n. a., kommen hier nicht in Betracht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/332>, abgerufen am 22.06.2024.