Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.häufigsten einer einseitigen Tüchtigkeit, die auch wol ans Handwerksmäßige Indessen die Entwicklung der Kunst kann durch ephemere Strömungen der 41 *
häufigsten einer einseitigen Tüchtigkeit, die auch wol ans Handwerksmäßige Indessen die Entwicklung der Kunst kann durch ephemere Strömungen der 41 *
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101858"/> <p xml:id="ID_851" prev="#ID_850"> häufigsten einer einseitigen Tüchtigkeit, die auch wol ans Handwerksmäßige<lb/> streift, während man heutzutage nicht selten aus eine noch weniger wohlthuende<lb/> Zerfahrenheit und Haltlosigkeit stößt. Das Publicum des neunzehnten Jahr¬<lb/> hunderts ist unendlich vielseitiger gebildet, als das aller frühern. Man darf<lb/> behaupten, daß zu den Errungenschaften unsrer Zeit grade der historische Sinn<lb/> gehört, die Fähigkeit, sich auf den Standpunkt andrer Zeiten und Nationali¬<lb/> täten zu versetzen, von ihm aus die Producte zu betrachten, die von dem<lb/> Standpunkt der gegenwärtigen Bildung aus gesehen ungenießbar oder unver¬<lb/> ständlich bleiben würden. Erst unsre Zeit kennt eine Kunstgeschichte im wahren<lb/> Sinne des Worts und in unsrer Zeit erst hat die lange begrabene Kunst des<lb/> dreizehnten bis fünfzehnten Jahrhunderts ihre Auferstehung gefeiert. Wir haben<lb/> die kindlichen Werke jener gläubigen Zeit, über die unsre Großväter sich lustig<lb/> machten, aus allen Rumpelkammern. ans Licht gezogen und mit Triumph' in<lb/> unsre Museen geführt. Es war freilich manche Scharteke unter diesen bewun¬<lb/> derten Werken und der Enthusiasmus für sie streifte oft genug ans Lächerliche,<lb/> aber sein Kern war gesund und das ganze Streben ein durchaus berechtigtes<lb/> und erfreuliches. Dank diesem Streben, können wir mit leichter Mühe jeder<lb/> Erscheinung der Vergangenheit die Stelle anweisen, die ihr gebührt; können<lb/> unterscheiden, was überall" auf Rechnung des einzelnen Künstlers zu setzen ist,<lb/> und für was seine Kunstperiode verantwortlich gemacht werden muß; wir be¬<lb/> trachten jedes einzelne Werk nicht mehr außer dem Zusammenhange, in den<lb/> es gehört, sondern als Glied einer langen Kette, durch solche Antecedentien<lb/> vorbereitet und von solchen spätern Erscheinungen gefolgt, wir betrachten es<lb/> als das Product einer gewissen Cultur, unter deren Einfluß es so und nicht<lb/> anders geschaffen werden mußte. Von dieser Betrachtungsweise ließ sich noch<lb/> das achtzehnte Jahrhundert wenig träumen. Aber wenn das jetzige Publicum<lb/> so viel gebildeter ist, als alle frühern, so ist es auch so viel blasirter. Es hat<lb/> unzählige Eindrücke aller Art empfangen, nach allen Richtungen hin das Beste<lb/> kennen gelernt, immer stärkere Reizmittel sind angewandt worden, um auf seine<lb/> erschlaffenden Nerven zu wirken; es gibt sich nicht mehr die Mühe, wie es<lb/> früher geschah, sich liebevoll in den Geist des Künstlers zu versenken, sondern<lb/> es will leicht angeregt, frappirt, gepackt und erschüttert werden. „Il kaut cers<lb/> ssisiWanl,!" das ist die Parole, die das heutige Publicum den Künstlern zu¬<lb/> ruft.</p><lb/> <p xml:id="ID_852" next="#ID_853"> Indessen die Entwicklung der Kunst kann durch ephemere Strömungen der<lb/> Zeit wol gehemmt oder verkümmert werden, aber nicht auf lange. Die nächste<lb/> Generation hat vielleicht schon wieder einen andern Geschmack, auch ihr fehlt<lb/> es nicht an Künstlern, die der Mode huldigen. Aber diese von der Mode in-<lb/> spirirter Productionen sind mit ihrem Aufhören vergessen und nur das Echte hat<lb/> Bestand. Das Leben ist kurz, aber die Kunst ewig. Von den zahllosen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 41 *</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
häufigsten einer einseitigen Tüchtigkeit, die auch wol ans Handwerksmäßige
streift, während man heutzutage nicht selten aus eine noch weniger wohlthuende
Zerfahrenheit und Haltlosigkeit stößt. Das Publicum des neunzehnten Jahr¬
hunderts ist unendlich vielseitiger gebildet, als das aller frühern. Man darf
behaupten, daß zu den Errungenschaften unsrer Zeit grade der historische Sinn
gehört, die Fähigkeit, sich auf den Standpunkt andrer Zeiten und Nationali¬
täten zu versetzen, von ihm aus die Producte zu betrachten, die von dem
Standpunkt der gegenwärtigen Bildung aus gesehen ungenießbar oder unver¬
ständlich bleiben würden. Erst unsre Zeit kennt eine Kunstgeschichte im wahren
Sinne des Worts und in unsrer Zeit erst hat die lange begrabene Kunst des
dreizehnten bis fünfzehnten Jahrhunderts ihre Auferstehung gefeiert. Wir haben
die kindlichen Werke jener gläubigen Zeit, über die unsre Großväter sich lustig
machten, aus allen Rumpelkammern. ans Licht gezogen und mit Triumph' in
unsre Museen geführt. Es war freilich manche Scharteke unter diesen bewun¬
derten Werken und der Enthusiasmus für sie streifte oft genug ans Lächerliche,
aber sein Kern war gesund und das ganze Streben ein durchaus berechtigtes
und erfreuliches. Dank diesem Streben, können wir mit leichter Mühe jeder
Erscheinung der Vergangenheit die Stelle anweisen, die ihr gebührt; können
unterscheiden, was überall" auf Rechnung des einzelnen Künstlers zu setzen ist,
und für was seine Kunstperiode verantwortlich gemacht werden muß; wir be¬
trachten jedes einzelne Werk nicht mehr außer dem Zusammenhange, in den
es gehört, sondern als Glied einer langen Kette, durch solche Antecedentien
vorbereitet und von solchen spätern Erscheinungen gefolgt, wir betrachten es
als das Product einer gewissen Cultur, unter deren Einfluß es so und nicht
anders geschaffen werden mußte. Von dieser Betrachtungsweise ließ sich noch
das achtzehnte Jahrhundert wenig träumen. Aber wenn das jetzige Publicum
so viel gebildeter ist, als alle frühern, so ist es auch so viel blasirter. Es hat
unzählige Eindrücke aller Art empfangen, nach allen Richtungen hin das Beste
kennen gelernt, immer stärkere Reizmittel sind angewandt worden, um auf seine
erschlaffenden Nerven zu wirken; es gibt sich nicht mehr die Mühe, wie es
früher geschah, sich liebevoll in den Geist des Künstlers zu versenken, sondern
es will leicht angeregt, frappirt, gepackt und erschüttert werden. „Il kaut cers
ssisiWanl,!" das ist die Parole, die das heutige Publicum den Künstlern zu¬
ruft.
Indessen die Entwicklung der Kunst kann durch ephemere Strömungen der
Zeit wol gehemmt oder verkümmert werden, aber nicht auf lange. Die nächste
Generation hat vielleicht schon wieder einen andern Geschmack, auch ihr fehlt
es nicht an Künstlern, die der Mode huldigen. Aber diese von der Mode in-
spirirter Productionen sind mit ihrem Aufhören vergessen und nur das Echte hat
Bestand. Das Leben ist kurz, aber die Kunst ewig. Von den zahllosen
41 *
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