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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Werken von Cornelius und den gleichstrebenden deutschen Künstlern heranzu¬
bilden suchten.

Ich mußte unwillkürlich an den gewaltigen Umschwung denken, den auch
die Verhältnisse der Kunst in unserem Jahrhundert gewonnen haben. Nicht
mehr wie sonst bleibt ein bedeutendes Werk in den engen Raum gebannt, in
dem der Künstler sein Leben zubrachte oder in den ihn der Auftrag eines Be¬
stellers rief, wo verhältnißmäßig wenige sich daran erfreuen konnten; nicht
blos ein immer wachsender Strom von Reisenden flutet jährlich durch alle
Länder, und mit jedem Jahr wächst die Zahl derer, welche das Schönste, was
der menschliche Geist unter den verschiedensten Himmelsstrichen geschaffen, von
Angesicht zu Angesicht sehen: auch die Werke der Kunst fangen an ihre Rund¬
reisen durch Europa zu machen, wenn nicht im Original, so doch in zahllosen
Nachahmungen und Vervielfältigungen. Die pariser Weltausstellung ist auch
in dieser Beziehung ein epochemachendes Ereigniß gewesen, und sicherlich wird
sie nicht vereinzelt bleiben.

Diese Europäisirung der Kunst kann natürlich nicht ohne Folgen bleiben
und sie sind schon jetzt bei den Künstlern sowol und der Kunst selbst, als beim
Publicum merkbar genug, Sie sind theils' segensreicher, theils nachtheiliger Natur.
Während der Maler in frühern Jahrhunderten gewöhnlich in der stillen Werk¬
statt im engern Anschluß an seinen Lehrer herangebildet, unbeirrt durch ab¬
weichende Auffassungöweisen die überkommene Richtung festhielt oder weiter ent¬
wickelte; während er sein Werk für ein Kloster, einen Palast, eine Kirche seiner
Vaterstadt ausführte, lernt der Künstler in unsern Tagen schnell und'leicht
alle Stile und Manieren kennen, die irgendwo-oder irgendeinmal im Schwunge
gewesen sind und darf sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß seine Composi-
tion wo nicht an der Seine, so doch an der Themse, in Petersburg oder in
Rom Freunde finden werde. Und wie lange wird es noch dauern, bis auch
Amerika einen Theil des Forums ausmachen wird, das über Kunstwerke richtet!
Der Künstler hat nun nicht mehr zu befürchten, daß der Unverstand eines klein¬
städtischen Publicums, die Bornirtheit eines vornehmen Bestellers, der Brotneid
künstlerischer Rivalen sich mit bleierner Schwere an sein Streben hängen werde.
Das Bewußtsein, für die ganze gebildete Mitwelt zu malen, verleiht seiner
Schöpfungskraft einen mächtigen Schwung, und sür den mangelnden Beifall in
seiner nächsten Umgebung kann ihn der Erfolg seines Werks in einem andern
Lande entschädigen. Andrerseits aber führt auch das Bestreben, sich die Vor¬
züge widersprechender Richtungen anzueignen, der Wunsch nach möglichst vielen
Seiten hin zu gefallen, auf Abwege, die nur für einen festen Charakter zu
vermeiden sind; denn es gibt eine künstlerische Charakterfestigkeit und Moral
ebensowol, wie eine wissenschaftliche und literarische. Im sechzehnten Jahr¬
hundert begegnet man bei der großen Müsse der Talente zweiten Ranges am


Werken von Cornelius und den gleichstrebenden deutschen Künstlern heranzu¬
bilden suchten.

Ich mußte unwillkürlich an den gewaltigen Umschwung denken, den auch
die Verhältnisse der Kunst in unserem Jahrhundert gewonnen haben. Nicht
mehr wie sonst bleibt ein bedeutendes Werk in den engen Raum gebannt, in
dem der Künstler sein Leben zubrachte oder in den ihn der Auftrag eines Be¬
stellers rief, wo verhältnißmäßig wenige sich daran erfreuen konnten; nicht
blos ein immer wachsender Strom von Reisenden flutet jährlich durch alle
Länder, und mit jedem Jahr wächst die Zahl derer, welche das Schönste, was
der menschliche Geist unter den verschiedensten Himmelsstrichen geschaffen, von
Angesicht zu Angesicht sehen: auch die Werke der Kunst fangen an ihre Rund¬
reisen durch Europa zu machen, wenn nicht im Original, so doch in zahllosen
Nachahmungen und Vervielfältigungen. Die pariser Weltausstellung ist auch
in dieser Beziehung ein epochemachendes Ereigniß gewesen, und sicherlich wird
sie nicht vereinzelt bleiben.

Diese Europäisirung der Kunst kann natürlich nicht ohne Folgen bleiben
und sie sind schon jetzt bei den Künstlern sowol und der Kunst selbst, als beim
Publicum merkbar genug, Sie sind theils' segensreicher, theils nachtheiliger Natur.
Während der Maler in frühern Jahrhunderten gewöhnlich in der stillen Werk¬
statt im engern Anschluß an seinen Lehrer herangebildet, unbeirrt durch ab¬
weichende Auffassungöweisen die überkommene Richtung festhielt oder weiter ent¬
wickelte; während er sein Werk für ein Kloster, einen Palast, eine Kirche seiner
Vaterstadt ausführte, lernt der Künstler in unsern Tagen schnell und'leicht
alle Stile und Manieren kennen, die irgendwo-oder irgendeinmal im Schwunge
gewesen sind und darf sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß seine Composi-
tion wo nicht an der Seine, so doch an der Themse, in Petersburg oder in
Rom Freunde finden werde. Und wie lange wird es noch dauern, bis auch
Amerika einen Theil des Forums ausmachen wird, das über Kunstwerke richtet!
Der Künstler hat nun nicht mehr zu befürchten, daß der Unverstand eines klein¬
städtischen Publicums, die Bornirtheit eines vornehmen Bestellers, der Brotneid
künstlerischer Rivalen sich mit bleierner Schwere an sein Streben hängen werde.
Das Bewußtsein, für die ganze gebildete Mitwelt zu malen, verleiht seiner
Schöpfungskraft einen mächtigen Schwung, und sür den mangelnden Beifall in
seiner nächsten Umgebung kann ihn der Erfolg seines Werks in einem andern
Lande entschädigen. Andrerseits aber führt auch das Bestreben, sich die Vor¬
züge widersprechender Richtungen anzueignen, der Wunsch nach möglichst vielen
Seiten hin zu gefallen, auf Abwege, die nur für einen festen Charakter zu
vermeiden sind; denn es gibt eine künstlerische Charakterfestigkeit und Moral
ebensowol, wie eine wissenschaftliche und literarische. Im sechzehnten Jahr¬
hundert begegnet man bei der großen Müsse der Talente zweiten Ranges am


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[0330] Werken von Cornelius und den gleichstrebenden deutschen Künstlern heranzu¬ bilden suchten. Ich mußte unwillkürlich an den gewaltigen Umschwung denken, den auch die Verhältnisse der Kunst in unserem Jahrhundert gewonnen haben. Nicht mehr wie sonst bleibt ein bedeutendes Werk in den engen Raum gebannt, in dem der Künstler sein Leben zubrachte oder in den ihn der Auftrag eines Be¬ stellers rief, wo verhältnißmäßig wenige sich daran erfreuen konnten; nicht blos ein immer wachsender Strom von Reisenden flutet jährlich durch alle Länder, und mit jedem Jahr wächst die Zahl derer, welche das Schönste, was der menschliche Geist unter den verschiedensten Himmelsstrichen geschaffen, von Angesicht zu Angesicht sehen: auch die Werke der Kunst fangen an ihre Rund¬ reisen durch Europa zu machen, wenn nicht im Original, so doch in zahllosen Nachahmungen und Vervielfältigungen. Die pariser Weltausstellung ist auch in dieser Beziehung ein epochemachendes Ereigniß gewesen, und sicherlich wird sie nicht vereinzelt bleiben. Diese Europäisirung der Kunst kann natürlich nicht ohne Folgen bleiben und sie sind schon jetzt bei den Künstlern sowol und der Kunst selbst, als beim Publicum merkbar genug, Sie sind theils' segensreicher, theils nachtheiliger Natur. Während der Maler in frühern Jahrhunderten gewöhnlich in der stillen Werk¬ statt im engern Anschluß an seinen Lehrer herangebildet, unbeirrt durch ab¬ weichende Auffassungöweisen die überkommene Richtung festhielt oder weiter ent¬ wickelte; während er sein Werk für ein Kloster, einen Palast, eine Kirche seiner Vaterstadt ausführte, lernt der Künstler in unsern Tagen schnell und'leicht alle Stile und Manieren kennen, die irgendwo-oder irgendeinmal im Schwunge gewesen sind und darf sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß seine Composi- tion wo nicht an der Seine, so doch an der Themse, in Petersburg oder in Rom Freunde finden werde. Und wie lange wird es noch dauern, bis auch Amerika einen Theil des Forums ausmachen wird, das über Kunstwerke richtet! Der Künstler hat nun nicht mehr zu befürchten, daß der Unverstand eines klein¬ städtischen Publicums, die Bornirtheit eines vornehmen Bestellers, der Brotneid künstlerischer Rivalen sich mit bleierner Schwere an sein Streben hängen werde. Das Bewußtsein, für die ganze gebildete Mitwelt zu malen, verleiht seiner Schöpfungskraft einen mächtigen Schwung, und sür den mangelnden Beifall in seiner nächsten Umgebung kann ihn der Erfolg seines Werks in einem andern Lande entschädigen. Andrerseits aber führt auch das Bestreben, sich die Vor¬ züge widersprechender Richtungen anzueignen, der Wunsch nach möglichst vielen Seiten hin zu gefallen, auf Abwege, die nur für einen festen Charakter zu vermeiden sind; denn es gibt eine künstlerische Charakterfestigkeit und Moral ebensowol, wie eine wissenschaftliche und literarische. Im sechzehnten Jahr¬ hundert begegnet man bei der großen Müsse der Talente zweiten Ranges am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/330>, abgerufen am 22.06.2024.