Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sind nun aber die pompejanischen Zimmer klein, und konnten sie auch
nicht besonders hell sein, da sie ihr Licht nur durch die offne Thür empfingen,
so sind sie doch nichts weniger als vernachlässigt: wie reich sie durch Architektur,
Sculptur, Malerei und Mosaik geschmückt waren, ist bekannt. Ueber den
Charakter der pompejanischen Kunst wird unten gesprochen werden; hier wollen
wir nur an die Bemerkung Goethes erinnern, wie nach so vielen Jahrhunder¬
ten, nach unzähligen Veränderungen diese Gegend ihren Bewohnern Ähnliche
Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt. Er sah in der
Nähe von Neapel kleine Häuserchen, mit nur einem Hauptgemach, ohne
Fenster, durch die offne Thür erhellt. Er erbat sich die Erlaubniß, in eines
derselben einzutreten, und fand es reinlich eingerichtet, nett geflochtene Rohr-
stühle und eine Kommode, ganz vergoldet, mit bunten Blumen stafftrt und
lackirt.

Schließlich sei hier noch bemerkt, daß die früher allgemein verbreitete Vor¬
stellung, die Häuser in Pompeji wären in der Regel einstöckig gewesen, längst
als irrthümlich erkannt ist. Nur so viel ist richtig, daß das untere Geschoß me
Hauptwohnung war.

Wir kommen nun zur Charakteristik der pompejanischen Kunst. Es braucht
kaum gesagt zu werden, daß die Entdeckung von Pompeji und Herculanum
auf weite Strecken der alten Kunstgeschichte ein neues, ganz unerwartetes Licht
geworfen hat; nur hat man mitunter aus der dortigen KunstthÄtigkeit Schlüsse
auf die Kunst der Alten überhaupt gezogen, die sich nicht rechtfertigen lassen.
Wir haben den Vortheil, die Entstehungszeit der pompejanischen und hercu-
lanischen Kunstwerke großentheils ziemlich genau zu kennen. Nichts kann
später als das Jahr 79 sein, an dessen 25. August beide Städte verschüttet
wurden, und ein sehr großer Theil muß später sein, als das Jahr 63, in
welchem beide durch ein Erdbeben gründlich verwüstet worden sind. So ge¬
währen uns diese Entdeckungen ein reiches Material zur Beurtheilung der
Kunstthätigkeit in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, die sich in Mittel¬
städten entfaltete. .

Den Charakter der pompejanischen Architektur hat Overbeck sehr wohl ent¬
wickelt: die dortigen Bauten sind in der Regel nicht Material- sondern Tünche¬
bauten. "Das wahrhaft künstlerische Zeitalter schafft Materialbauten d. h. es
bildet seine Bauformen seinem Material gemäß, gründet die Formgebung seiner
Monumente auf das Wesen seiner Materialien, welche es nie verhüllt und
den Blicken zu entziehen trachtet, sondern als das sein Werk bedingende frei
vor unsre Augen hinstellt. Das'gilt in gleicher Weise von den Kalktuff- und
Marmvrbauten des alten Hellas wie von den verschiedenen Bruchstein- und
Ziegelbauten unsres Mittelalters.' Ein unkünstlerisches Zeitalter dagegen baut
schematistisch, ohne Rücksicht auf das Material, und da das Material ein für


Grenzboten. II. 18S6. ^

Sind nun aber die pompejanischen Zimmer klein, und konnten sie auch
nicht besonders hell sein, da sie ihr Licht nur durch die offne Thür empfingen,
so sind sie doch nichts weniger als vernachlässigt: wie reich sie durch Architektur,
Sculptur, Malerei und Mosaik geschmückt waren, ist bekannt. Ueber den
Charakter der pompejanischen Kunst wird unten gesprochen werden; hier wollen
wir nur an die Bemerkung Goethes erinnern, wie nach so vielen Jahrhunder¬
ten, nach unzähligen Veränderungen diese Gegend ihren Bewohnern Ähnliche
Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt. Er sah in der
Nähe von Neapel kleine Häuserchen, mit nur einem Hauptgemach, ohne
Fenster, durch die offne Thür erhellt. Er erbat sich die Erlaubniß, in eines
derselben einzutreten, und fand es reinlich eingerichtet, nett geflochtene Rohr-
stühle und eine Kommode, ganz vergoldet, mit bunten Blumen stafftrt und
lackirt.

Schließlich sei hier noch bemerkt, daß die früher allgemein verbreitete Vor¬
stellung, die Häuser in Pompeji wären in der Regel einstöckig gewesen, längst
als irrthümlich erkannt ist. Nur so viel ist richtig, daß das untere Geschoß me
Hauptwohnung war.

Wir kommen nun zur Charakteristik der pompejanischen Kunst. Es braucht
kaum gesagt zu werden, daß die Entdeckung von Pompeji und Herculanum
auf weite Strecken der alten Kunstgeschichte ein neues, ganz unerwartetes Licht
geworfen hat; nur hat man mitunter aus der dortigen KunstthÄtigkeit Schlüsse
auf die Kunst der Alten überhaupt gezogen, die sich nicht rechtfertigen lassen.
Wir haben den Vortheil, die Entstehungszeit der pompejanischen und hercu-
lanischen Kunstwerke großentheils ziemlich genau zu kennen. Nichts kann
später als das Jahr 79 sein, an dessen 25. August beide Städte verschüttet
wurden, und ein sehr großer Theil muß später sein, als das Jahr 63, in
welchem beide durch ein Erdbeben gründlich verwüstet worden sind. So ge¬
währen uns diese Entdeckungen ein reiches Material zur Beurtheilung der
Kunstthätigkeit in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, die sich in Mittel¬
städten entfaltete. .

Den Charakter der pompejanischen Architektur hat Overbeck sehr wohl ent¬
wickelt: die dortigen Bauten sind in der Regel nicht Material- sondern Tünche¬
bauten. „Das wahrhaft künstlerische Zeitalter schafft Materialbauten d. h. es
bildet seine Bauformen seinem Material gemäß, gründet die Formgebung seiner
Monumente auf das Wesen seiner Materialien, welche es nie verhüllt und
den Blicken zu entziehen trachtet, sondern als das sein Werk bedingende frei
vor unsre Augen hinstellt. Das'gilt in gleicher Weise von den Kalktuff- und
Marmvrbauten des alten Hellas wie von den verschiedenen Bruchstein- und
Ziegelbauten unsres Mittelalters.' Ein unkünstlerisches Zeitalter dagegen baut
schematistisch, ohne Rücksicht auf das Material, und da das Material ein für


Grenzboten. II. 18S6. ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101560"/>
            <p xml:id="ID_60"> Sind nun aber die pompejanischen Zimmer klein, und konnten sie auch<lb/>
nicht besonders hell sein, da sie ihr Licht nur durch die offne Thür empfingen,<lb/>
so sind sie doch nichts weniger als vernachlässigt: wie reich sie durch Architektur,<lb/>
Sculptur, Malerei und Mosaik geschmückt waren, ist bekannt. Ueber den<lb/>
Charakter der pompejanischen Kunst wird unten gesprochen werden; hier wollen<lb/>
wir nur an die Bemerkung Goethes erinnern, wie nach so vielen Jahrhunder¬<lb/>
ten, nach unzähligen Veränderungen diese Gegend ihren Bewohnern Ähnliche<lb/>
Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt. Er sah in der<lb/>
Nähe von Neapel kleine Häuserchen, mit nur einem Hauptgemach, ohne<lb/>
Fenster, durch die offne Thür erhellt. Er erbat sich die Erlaubniß, in eines<lb/>
derselben einzutreten, und fand es reinlich eingerichtet, nett geflochtene Rohr-<lb/>
stühle und eine Kommode, ganz vergoldet, mit bunten Blumen stafftrt und<lb/>
lackirt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_61"> Schließlich sei hier noch bemerkt, daß die früher allgemein verbreitete Vor¬<lb/>
stellung, die Häuser in Pompeji wären in der Regel einstöckig gewesen, längst<lb/>
als irrthümlich erkannt ist. Nur so viel ist richtig, daß das untere Geschoß me<lb/>
Hauptwohnung war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_62"> Wir kommen nun zur Charakteristik der pompejanischen Kunst. Es braucht<lb/>
kaum gesagt zu werden, daß die Entdeckung von Pompeji und Herculanum<lb/>
auf weite Strecken der alten Kunstgeschichte ein neues, ganz unerwartetes Licht<lb/>
geworfen hat; nur hat man mitunter aus der dortigen KunstthÄtigkeit Schlüsse<lb/>
auf die Kunst der Alten überhaupt gezogen, die sich nicht rechtfertigen lassen.<lb/>
Wir haben den Vortheil, die Entstehungszeit der pompejanischen und hercu-<lb/>
lanischen Kunstwerke großentheils ziemlich genau zu kennen. Nichts kann<lb/>
später als das Jahr 79 sein, an dessen 25. August beide Städte verschüttet<lb/>
wurden, und ein sehr großer Theil muß später sein, als das Jahr 63, in<lb/>
welchem beide durch ein Erdbeben gründlich verwüstet worden sind. So ge¬<lb/>
währen uns diese Entdeckungen ein reiches Material zur Beurtheilung der<lb/>
Kunstthätigkeit in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, die sich in Mittel¬<lb/>
städten entfaltete. .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_63" next="#ID_64"> Den Charakter der pompejanischen Architektur hat Overbeck sehr wohl ent¬<lb/>
wickelt: die dortigen Bauten sind in der Regel nicht Material- sondern Tünche¬<lb/>
bauten. &#x201E;Das wahrhaft künstlerische Zeitalter schafft Materialbauten d. h. es<lb/>
bildet seine Bauformen seinem Material gemäß, gründet die Formgebung seiner<lb/>
Monumente auf das Wesen seiner Materialien, welche es nie verhüllt und<lb/>
den Blicken zu entziehen trachtet, sondern als das sein Werk bedingende frei<lb/>
vor unsre Augen hinstellt. Das'gilt in gleicher Weise von den Kalktuff- und<lb/>
Marmvrbauten des alten Hellas wie von den verschiedenen Bruchstein- und<lb/>
Ziegelbauten unsres Mittelalters.' Ein unkünstlerisches Zeitalter dagegen baut<lb/>
schematistisch, ohne Rücksicht auf das Material, und da das Material ein für</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. 18S6. ^</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] Sind nun aber die pompejanischen Zimmer klein, und konnten sie auch nicht besonders hell sein, da sie ihr Licht nur durch die offne Thür empfingen, so sind sie doch nichts weniger als vernachlässigt: wie reich sie durch Architektur, Sculptur, Malerei und Mosaik geschmückt waren, ist bekannt. Ueber den Charakter der pompejanischen Kunst wird unten gesprochen werden; hier wollen wir nur an die Bemerkung Goethes erinnern, wie nach so vielen Jahrhunder¬ ten, nach unzähligen Veränderungen diese Gegend ihren Bewohnern Ähnliche Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien einflößt. Er sah in der Nähe von Neapel kleine Häuserchen, mit nur einem Hauptgemach, ohne Fenster, durch die offne Thür erhellt. Er erbat sich die Erlaubniß, in eines derselben einzutreten, und fand es reinlich eingerichtet, nett geflochtene Rohr- stühle und eine Kommode, ganz vergoldet, mit bunten Blumen stafftrt und lackirt. Schließlich sei hier noch bemerkt, daß die früher allgemein verbreitete Vor¬ stellung, die Häuser in Pompeji wären in der Regel einstöckig gewesen, längst als irrthümlich erkannt ist. Nur so viel ist richtig, daß das untere Geschoß me Hauptwohnung war. Wir kommen nun zur Charakteristik der pompejanischen Kunst. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß die Entdeckung von Pompeji und Herculanum auf weite Strecken der alten Kunstgeschichte ein neues, ganz unerwartetes Licht geworfen hat; nur hat man mitunter aus der dortigen KunstthÄtigkeit Schlüsse auf die Kunst der Alten überhaupt gezogen, die sich nicht rechtfertigen lassen. Wir haben den Vortheil, die Entstehungszeit der pompejanischen und hercu- lanischen Kunstwerke großentheils ziemlich genau zu kennen. Nichts kann später als das Jahr 79 sein, an dessen 25. August beide Städte verschüttet wurden, und ein sehr großer Theil muß später sein, als das Jahr 63, in welchem beide durch ein Erdbeben gründlich verwüstet worden sind. So ge¬ währen uns diese Entdeckungen ein reiches Material zur Beurtheilung der Kunstthätigkeit in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, die sich in Mittel¬ städten entfaltete. . Den Charakter der pompejanischen Architektur hat Overbeck sehr wohl ent¬ wickelt: die dortigen Bauten sind in der Regel nicht Material- sondern Tünche¬ bauten. „Das wahrhaft künstlerische Zeitalter schafft Materialbauten d. h. es bildet seine Bauformen seinem Material gemäß, gründet die Formgebung seiner Monumente auf das Wesen seiner Materialien, welche es nie verhüllt und den Blicken zu entziehen trachtet, sondern als das sein Werk bedingende frei vor unsre Augen hinstellt. Das'gilt in gleicher Weise von den Kalktuff- und Marmvrbauten des alten Hellas wie von den verschiedenen Bruchstein- und Ziegelbauten unsres Mittelalters.' Ein unkünstlerisches Zeitalter dagegen baut schematistisch, ohne Rücksicht auf das Material, und da das Material ein für Grenzboten. II. 18S6. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/33>, abgerufen am 21.06.2024.