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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Buchladen und im Kaffeehaus. Für die meisten ist das Kaffehaus die zweite
Heimath, dort trifft man sie am sichersten, dort werden Briefe für sie abgegeben.

Man sagt, es gebe Leute in Rom, die sich seit Jahren in demselben
Kaffeehaus täglich treffen und sich nach italienischer Sitte Signor Antonio
und Signor Adolfo nennen, ohne nur ihre respectiven Familiennamen oder
Wohnungen zu kennen. Aerzte kommen jeden Abend in einer bestimmten
Apotheke (Spezzeria) zusammen, um sich über medicinische Dinge zu unterhal¬
ten, und dort werden auch Bestellungen für sie abgegeben. In kleinern Orten
ist die Spezzeria häusig das Centrum des geselligen Lebens. Da versammeln
sich die Honoratioren oft schon in der Frühe und verschwatzen dann den grö߬
ten Theil des Tages. Bei solchen Zuständen, die man sich für das Alterthum
ähnlich denken muß, kann die Kleinheit der Zimmer nicht auffallen. Höchst
auffallend ist es dagegen, daß die antike Bauart des Privathauses mit dem Hof
in der Mitte, die dem klimatischen Verhältnisse deS Südens so höchst angemessen
ist, der modernen auch in Italien gewichen ist. "Ist es, weil die veränderte
Art der Kleidung die höhern Stände und die neuere Zeit überhaupt empfind¬
licher gegen die äußere Lust gemacht hat, oder ist es vielmehr, weil im Mittel¬
alter das Bürgerhaus zuerst das adlige Schloß nachahmte, und dann auf
eignem Wege von der thurmartigen Festigkeit und Verschlossenheit abließ, ohne
doch wieder aus die alte Bauart zurückzukommen, von der kein Vorbild zur
Nachahmung mehr eristirte? Die Klosterhöfe allein haben das alte Peristylium
erhalten, aber kein Privathaus hat sie angenommen, vielmehr hat der neuere
Baustil der städtischen Privathäuser eine solche Herrschaft gewonnen, daß man
von Petersburg bis Palermo im Grunde auf dieselbe Art wohnt, und daß
mit der europäischen Cultur auch das neuere europäische Haus als eine Noth¬
wendigkeit wie die französische Kleidung in Griechenland und der Türkei ein¬
geführt wird. Man baut im modernen Athen wie in Berlin oder Kopenhagen,
und hatte doch noch einige Ueberreste der orientalischen Bauart, die der alten
nahe kommt und dem Klima unendlich angemessener ist, vor sich. Nur der Eng¬
länder hat sich in seinem Hause anders eingerichtet, aber doch ebensoweit von der
alten Art entfernt." (K. G. Zumpt, über die bauliche Einrichtung des Wohn¬
hauses S. 29). Noch immer ist der dem König von Neapel vorgelegte Plan,
ein Haus nach pompejanischer d. h. römischer Bauart herzustellen, so viel wir
wissen, unausgeführt. Das sogenannte Haus des Pansa war dazu vorgeschlagen.
Aber die herculanischen Akademiker konnten sich nicht darüber einigen, ob das
Atrium mit oder ohne Dach restaurirt werden sollte, und während ihrer ge¬
lehrten Streitigkeilen wurde dies Haus zur Ruine, und wird es nach ihm noch
manches werden, dessen Ergänzung eine Kleinigkeit gekostet haben würde. Die
Probe, die König Ludwig von Baiern in'Aschaffenburg gemacht hat, ist dem
Versasser nicht bekannt.


Buchladen und im Kaffeehaus. Für die meisten ist das Kaffehaus die zweite
Heimath, dort trifft man sie am sichersten, dort werden Briefe für sie abgegeben.

Man sagt, es gebe Leute in Rom, die sich seit Jahren in demselben
Kaffeehaus täglich treffen und sich nach italienischer Sitte Signor Antonio
und Signor Adolfo nennen, ohne nur ihre respectiven Familiennamen oder
Wohnungen zu kennen. Aerzte kommen jeden Abend in einer bestimmten
Apotheke (Spezzeria) zusammen, um sich über medicinische Dinge zu unterhal¬
ten, und dort werden auch Bestellungen für sie abgegeben. In kleinern Orten
ist die Spezzeria häusig das Centrum des geselligen Lebens. Da versammeln
sich die Honoratioren oft schon in der Frühe und verschwatzen dann den grö߬
ten Theil des Tages. Bei solchen Zuständen, die man sich für das Alterthum
ähnlich denken muß, kann die Kleinheit der Zimmer nicht auffallen. Höchst
auffallend ist es dagegen, daß die antike Bauart des Privathauses mit dem Hof
in der Mitte, die dem klimatischen Verhältnisse deS Südens so höchst angemessen
ist, der modernen auch in Italien gewichen ist. „Ist es, weil die veränderte
Art der Kleidung die höhern Stände und die neuere Zeit überhaupt empfind¬
licher gegen die äußere Lust gemacht hat, oder ist es vielmehr, weil im Mittel¬
alter das Bürgerhaus zuerst das adlige Schloß nachahmte, und dann auf
eignem Wege von der thurmartigen Festigkeit und Verschlossenheit abließ, ohne
doch wieder aus die alte Bauart zurückzukommen, von der kein Vorbild zur
Nachahmung mehr eristirte? Die Klosterhöfe allein haben das alte Peristylium
erhalten, aber kein Privathaus hat sie angenommen, vielmehr hat der neuere
Baustil der städtischen Privathäuser eine solche Herrschaft gewonnen, daß man
von Petersburg bis Palermo im Grunde auf dieselbe Art wohnt, und daß
mit der europäischen Cultur auch das neuere europäische Haus als eine Noth¬
wendigkeit wie die französische Kleidung in Griechenland und der Türkei ein¬
geführt wird. Man baut im modernen Athen wie in Berlin oder Kopenhagen,
und hatte doch noch einige Ueberreste der orientalischen Bauart, die der alten
nahe kommt und dem Klima unendlich angemessener ist, vor sich. Nur der Eng¬
länder hat sich in seinem Hause anders eingerichtet, aber doch ebensoweit von der
alten Art entfernt." (K. G. Zumpt, über die bauliche Einrichtung des Wohn¬
hauses S. 29). Noch immer ist der dem König von Neapel vorgelegte Plan,
ein Haus nach pompejanischer d. h. römischer Bauart herzustellen, so viel wir
wissen, unausgeführt. Das sogenannte Haus des Pansa war dazu vorgeschlagen.
Aber die herculanischen Akademiker konnten sich nicht darüber einigen, ob das
Atrium mit oder ohne Dach restaurirt werden sollte, und während ihrer ge¬
lehrten Streitigkeilen wurde dies Haus zur Ruine, und wird es nach ihm noch
manches werden, dessen Ergänzung eine Kleinigkeit gekostet haben würde. Die
Probe, die König Ludwig von Baiern in'Aschaffenburg gemacht hat, ist dem
Versasser nicht bekannt.


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[0032] Buchladen und im Kaffeehaus. Für die meisten ist das Kaffehaus die zweite Heimath, dort trifft man sie am sichersten, dort werden Briefe für sie abgegeben. Man sagt, es gebe Leute in Rom, die sich seit Jahren in demselben Kaffeehaus täglich treffen und sich nach italienischer Sitte Signor Antonio und Signor Adolfo nennen, ohne nur ihre respectiven Familiennamen oder Wohnungen zu kennen. Aerzte kommen jeden Abend in einer bestimmten Apotheke (Spezzeria) zusammen, um sich über medicinische Dinge zu unterhal¬ ten, und dort werden auch Bestellungen für sie abgegeben. In kleinern Orten ist die Spezzeria häusig das Centrum des geselligen Lebens. Da versammeln sich die Honoratioren oft schon in der Frühe und verschwatzen dann den grö߬ ten Theil des Tages. Bei solchen Zuständen, die man sich für das Alterthum ähnlich denken muß, kann die Kleinheit der Zimmer nicht auffallen. Höchst auffallend ist es dagegen, daß die antike Bauart des Privathauses mit dem Hof in der Mitte, die dem klimatischen Verhältnisse deS Südens so höchst angemessen ist, der modernen auch in Italien gewichen ist. „Ist es, weil die veränderte Art der Kleidung die höhern Stände und die neuere Zeit überhaupt empfind¬ licher gegen die äußere Lust gemacht hat, oder ist es vielmehr, weil im Mittel¬ alter das Bürgerhaus zuerst das adlige Schloß nachahmte, und dann auf eignem Wege von der thurmartigen Festigkeit und Verschlossenheit abließ, ohne doch wieder aus die alte Bauart zurückzukommen, von der kein Vorbild zur Nachahmung mehr eristirte? Die Klosterhöfe allein haben das alte Peristylium erhalten, aber kein Privathaus hat sie angenommen, vielmehr hat der neuere Baustil der städtischen Privathäuser eine solche Herrschaft gewonnen, daß man von Petersburg bis Palermo im Grunde auf dieselbe Art wohnt, und daß mit der europäischen Cultur auch das neuere europäische Haus als eine Noth¬ wendigkeit wie die französische Kleidung in Griechenland und der Türkei ein¬ geführt wird. Man baut im modernen Athen wie in Berlin oder Kopenhagen, und hatte doch noch einige Ueberreste der orientalischen Bauart, die der alten nahe kommt und dem Klima unendlich angemessener ist, vor sich. Nur der Eng¬ länder hat sich in seinem Hause anders eingerichtet, aber doch ebensoweit von der alten Art entfernt." (K. G. Zumpt, über die bauliche Einrichtung des Wohn¬ hauses S. 29). Noch immer ist der dem König von Neapel vorgelegte Plan, ein Haus nach pompejanischer d. h. römischer Bauart herzustellen, so viel wir wissen, unausgeführt. Das sogenannte Haus des Pansa war dazu vorgeschlagen. Aber die herculanischen Akademiker konnten sich nicht darüber einigen, ob das Atrium mit oder ohne Dach restaurirt werden sollte, und während ihrer ge¬ lehrten Streitigkeilen wurde dies Haus zur Ruine, und wird es nach ihm noch manches werden, dessen Ergänzung eine Kleinigkeit gekostet haben würde. Die Probe, die König Ludwig von Baiern in'Aschaffenburg gemacht hat, ist dem Versasser nicht bekannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/32>, abgerufen am 05.07.2024.