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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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allemal die Formen und Gliederungen des Baues bedingt und beherrscht, da
es sich, zur Formengebung benutzt und verwendet, nie negiren läßt, so
wird es negirt, indem man materiell einen formlosen Kern construirt und
alle Form und Gliederung der verhüllenden Tünche anheimgibt. Das ist
ein Unwesen, aus dem Unsolidität, Mangel an Präcision, Stilmacherei und
Manier mit zwingender Nothwendigkeit folgt. -- In Pompeji erscheint in den
wenigsten Fällen das Material, alle bauliche Formgebung ist der verhüllenden
Tünche überwiesen, ganz Pompeji ist, mit Ausnahme von ein paar öffentlichen
Gebäuden aus älterer Zeit, in seinem neuen Aufbau nach dem Erdbeben eine
getünchte und gemalte Stadt." Aber selbst die oberflächliche Behandlung der
überlieferten Kunstformen thut im Ganzen und bei einer nicht zu strengen
Prüfung, eine angenehme Wirkung: in der Thal hat die pompejanische Archi¬
tektur bei allen ihren Fehlern im hohen Grade den Charakter der Heiterkeit,
Leichtigkeit und Zierlichkeit. Man findet bei Overbeck eine interessante Auf¬
zählung von Verstößen gegen die Grundregeln einer künstlerischen Architektur.
Wir wollen hier nur an die Säulen erinnern, bei denen nur die obern zwei
Drittheile carmelirt, oder die buntgefärbt sind: wie sie vielen Lesern aus den
Proben im neuen Museum zu Berlin bekannt sein werden. Durch eine nur
theilweise Cannelirung sowol als durch Bemalung wird der Charakter der
Säule als der tragenden, vertikalen, strebenden Stütze verdunkelt und der Aus¬
druck ihrer Function zerstört. Ueber diesen und ähnlichen Geschmacklosigkeiten
muß man aber auch die Phantasie und reiche Erfindungskraft der pompejani-
schen Architektur bewundern, die die überlieferten Grundformen unaufhörlich
neu zu gestalten wußte.

Dieselbe üppige, aus dem Vollen schöpfende Erfindungskraft zeigt sich auch
in der Ornamentik. Dabei sind die Marmorornamente in der Regel den Haupt-
sormen mit richtigem Sinn untergeordnet, während im Stuckornament die
Ueberladung bereits zunimmt und die Grundformen verhüllt und überwuchert.

Für die Geschichte der Plastik sind die Entdeckungen der verschütteten
Städte am wenigsten belehrend gewesen, da es an Sculpturen, die man mit
Bestimmtheit dieser Periode zuweisen kann, bei der großen Zahl der Kaiser¬
bildnisse auch an kleinen Orten nicht gefehlt hat. In einer Beziehung jedoch
haben Pompeji und Herculanum zu dem vorhandenen Material einen sehr er¬
wünschten Zuwachs geliefert, durch die Erhaltung zahlreicher Bronzearbeiten.
Man weiß, wie selten diese in unsern Museen sind, es ist nicht zuviel gesagt,
daß mit alleiniger Ausnahme des mu8<ze> Lo-Horie-o zu Neapel auf einige
hundert Marmorwerke ein einziges Werk in Bronze kommt. Die Bronze war
theils der Zerstörung mehr ausgesetzt, als der Marmor, theils wurde sie zu
zahlreichen' Zwecken eingeschmolzen und reizte die Habsucht, besonders wenn sie
vergoldet war.


allemal die Formen und Gliederungen des Baues bedingt und beherrscht, da
es sich, zur Formengebung benutzt und verwendet, nie negiren läßt, so
wird es negirt, indem man materiell einen formlosen Kern construirt und
alle Form und Gliederung der verhüllenden Tünche anheimgibt. Das ist
ein Unwesen, aus dem Unsolidität, Mangel an Präcision, Stilmacherei und
Manier mit zwingender Nothwendigkeit folgt. — In Pompeji erscheint in den
wenigsten Fällen das Material, alle bauliche Formgebung ist der verhüllenden
Tünche überwiesen, ganz Pompeji ist, mit Ausnahme von ein paar öffentlichen
Gebäuden aus älterer Zeit, in seinem neuen Aufbau nach dem Erdbeben eine
getünchte und gemalte Stadt." Aber selbst die oberflächliche Behandlung der
überlieferten Kunstformen thut im Ganzen und bei einer nicht zu strengen
Prüfung, eine angenehme Wirkung: in der Thal hat die pompejanische Archi¬
tektur bei allen ihren Fehlern im hohen Grade den Charakter der Heiterkeit,
Leichtigkeit und Zierlichkeit. Man findet bei Overbeck eine interessante Auf¬
zählung von Verstößen gegen die Grundregeln einer künstlerischen Architektur.
Wir wollen hier nur an die Säulen erinnern, bei denen nur die obern zwei
Drittheile carmelirt, oder die buntgefärbt sind: wie sie vielen Lesern aus den
Proben im neuen Museum zu Berlin bekannt sein werden. Durch eine nur
theilweise Cannelirung sowol als durch Bemalung wird der Charakter der
Säule als der tragenden, vertikalen, strebenden Stütze verdunkelt und der Aus¬
druck ihrer Function zerstört. Ueber diesen und ähnlichen Geschmacklosigkeiten
muß man aber auch die Phantasie und reiche Erfindungskraft der pompejani-
schen Architektur bewundern, die die überlieferten Grundformen unaufhörlich
neu zu gestalten wußte.

Dieselbe üppige, aus dem Vollen schöpfende Erfindungskraft zeigt sich auch
in der Ornamentik. Dabei sind die Marmorornamente in der Regel den Haupt-
sormen mit richtigem Sinn untergeordnet, während im Stuckornament die
Ueberladung bereits zunimmt und die Grundformen verhüllt und überwuchert.

Für die Geschichte der Plastik sind die Entdeckungen der verschütteten
Städte am wenigsten belehrend gewesen, da es an Sculpturen, die man mit
Bestimmtheit dieser Periode zuweisen kann, bei der großen Zahl der Kaiser¬
bildnisse auch an kleinen Orten nicht gefehlt hat. In einer Beziehung jedoch
haben Pompeji und Herculanum zu dem vorhandenen Material einen sehr er¬
wünschten Zuwachs geliefert, durch die Erhaltung zahlreicher Bronzearbeiten.
Man weiß, wie selten diese in unsern Museen sind, es ist nicht zuviel gesagt,
daß mit alleiniger Ausnahme des mu8<ze> Lo-Horie-o zu Neapel auf einige
hundert Marmorwerke ein einziges Werk in Bronze kommt. Die Bronze war
theils der Zerstörung mehr ausgesetzt, als der Marmor, theils wurde sie zu
zahlreichen' Zwecken eingeschmolzen und reizte die Habsucht, besonders wenn sie
vergoldet war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/34>, abgerufen am 21.06.2024.