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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Selbstregierung der Gemeinden aus, wobei er die Gemeinden nicht, wie Stahl,
mit den Geistlichen identificirt. Er erinnert daran, daß die Beaufsichtigung
des Staats so weit ging, daß selbst vom berliner Polizeipräsidium das ein¬
gereichte Statut einer jüdischen Gemeinde censirt wurde. "Hier dürfen selbst
der vollsten Zustimmung des Herrn Stahl zu begegnen alle diejenigen hoffen,
die bei aller. Hochachtung vor dem berliner Polizeipräsidium, bei der aufrich¬
tigsten Bewunderung der polizeilichen Talente seiner Organe und der guten
Eigenschaften ihres Chefs, diese Behörde zwar für sehr wohl geeignet halten,
Reglements aller anderen Art (für die verschiedenartigsten nützlichen und un¬
nützlichen Vereine, für Droschkenkutscher, Bordelle u. s. w.) zu erlassen, daß
sie aber vielleicht eben wegen dieser Vielseitigkeit weder befugt, noch geschickt
sei, die Statuten einer religiösen Gemeinde zu revidiren und endgiltig zu
genehmigen." -- Diese Bemerkung gibt dem Verfasser Gelegenheit zu einem
weitern Ercurs. Er bespricht nämlich das bekannte Duell, welches vor einigen
Wochen Berlin in eine Aufregung versetzte, wie sie seit den Zeiten von 1849
nicht wieder vorgekommen war. Das hitzige Fieber, welches damals die Ber¬
liner ergriff, machte jeden des Junkerthums verdächtig, der nicht fest davon
überzeugt war, Herr v. Hinckeldey sei als ein Märtyrer der Freiheit gefallen.
Wir haben schon damals unsere entgegenstehende Ansicht ausgesprochen, wir
freuen uns, in dem vorliegenden Buch eine ähnliche und diesmal aus entschie¬
dener Sachkenntniß hervorgehende Schilderung anzutreffen. Herr Quedl
setzt auseinander, daß, wenn man die Gegner des Junkerthums unter einen
Parteibegriff zusammenfaßt, der Gefallene in keiner Weise als der Träger
dieser Partei betrachtet werden kann. "Welche Abweichung auch unter diesen
Gegnern insonderheit in Bezug auf die Formenfrage Statt finden mag, ob
die einen ehrliche Absolutisten, die anderen ehrliche Anhänger einer konstitu¬
tionellen Verfassung sind> alle sind darüber einig: daß der König und das
Gesetz in Preußen für alle Staatsangehörigen die höchste Autorität sein und
bleiben sollen -- daß die Bestimmungen der Verfassungsurkunde und einzelner
Gesetze nicht durch mehr oder weniger kühne und glückliche Auslegungen im
Interesse einer Partei benutzt werden dürfen -- daß die religiöse Freiheit eine
wesentliche Forderung der bürgerlichen ist -- daß die persönlichen Rechte der
Staatsbürger wie die Rechte der Communen einen starken Schutz gegen die
Uebergriffe der Polizeigewalt behalten oder bekommen sollen. Nun fragen wir
alle Welt, mit welchem Rechte Herr von Hinckeldey als Träger und Vor¬
kämpfer solcher Principien bezeichnet werden kann?!! Daraus, daß das Gefühl
des Widerwillens gegen polizeiliche Allgewalt überhaupt oder gegen die Art
und Weise, wie der Verstorbene in seiner Stellung und seinem Einflüsse sich
behaupten sollie, ihm unter den Anhängern der Junkerpartei viele persönliche
Gegner schuf -- daraus, daß Herr von Hinckeldey seinen Unwillen übex den


Selbstregierung der Gemeinden aus, wobei er die Gemeinden nicht, wie Stahl,
mit den Geistlichen identificirt. Er erinnert daran, daß die Beaufsichtigung
des Staats so weit ging, daß selbst vom berliner Polizeipräsidium das ein¬
gereichte Statut einer jüdischen Gemeinde censirt wurde. „Hier dürfen selbst
der vollsten Zustimmung des Herrn Stahl zu begegnen alle diejenigen hoffen,
die bei aller. Hochachtung vor dem berliner Polizeipräsidium, bei der aufrich¬
tigsten Bewunderung der polizeilichen Talente seiner Organe und der guten
Eigenschaften ihres Chefs, diese Behörde zwar für sehr wohl geeignet halten,
Reglements aller anderen Art (für die verschiedenartigsten nützlichen und un¬
nützlichen Vereine, für Droschkenkutscher, Bordelle u. s. w.) zu erlassen, daß
sie aber vielleicht eben wegen dieser Vielseitigkeit weder befugt, noch geschickt
sei, die Statuten einer religiösen Gemeinde zu revidiren und endgiltig zu
genehmigen." — Diese Bemerkung gibt dem Verfasser Gelegenheit zu einem
weitern Ercurs. Er bespricht nämlich das bekannte Duell, welches vor einigen
Wochen Berlin in eine Aufregung versetzte, wie sie seit den Zeiten von 1849
nicht wieder vorgekommen war. Das hitzige Fieber, welches damals die Ber¬
liner ergriff, machte jeden des Junkerthums verdächtig, der nicht fest davon
überzeugt war, Herr v. Hinckeldey sei als ein Märtyrer der Freiheit gefallen.
Wir haben schon damals unsere entgegenstehende Ansicht ausgesprochen, wir
freuen uns, in dem vorliegenden Buch eine ähnliche und diesmal aus entschie¬
dener Sachkenntniß hervorgehende Schilderung anzutreffen. Herr Quedl
setzt auseinander, daß, wenn man die Gegner des Junkerthums unter einen
Parteibegriff zusammenfaßt, der Gefallene in keiner Weise als der Träger
dieser Partei betrachtet werden kann. „Welche Abweichung auch unter diesen
Gegnern insonderheit in Bezug auf die Formenfrage Statt finden mag, ob
die einen ehrliche Absolutisten, die anderen ehrliche Anhänger einer konstitu¬
tionellen Verfassung sind> alle sind darüber einig: daß der König und das
Gesetz in Preußen für alle Staatsangehörigen die höchste Autorität sein und
bleiben sollen — daß die Bestimmungen der Verfassungsurkunde und einzelner
Gesetze nicht durch mehr oder weniger kühne und glückliche Auslegungen im
Interesse einer Partei benutzt werden dürfen — daß die religiöse Freiheit eine
wesentliche Forderung der bürgerlichen ist — daß die persönlichen Rechte der
Staatsbürger wie die Rechte der Communen einen starken Schutz gegen die
Uebergriffe der Polizeigewalt behalten oder bekommen sollen. Nun fragen wir
alle Welt, mit welchem Rechte Herr von Hinckeldey als Träger und Vor¬
kämpfer solcher Principien bezeichnet werden kann?!! Daraus, daß das Gefühl
des Widerwillens gegen polizeiliche Allgewalt überhaupt oder gegen die Art
und Weise, wie der Verstorbene in seiner Stellung und seinem Einflüsse sich
behaupten sollie, ihm unter den Anhängern der Junkerpartei viele persönliche
Gegner schuf — daraus, daß Herr von Hinckeldey seinen Unwillen übex den


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[0325] Selbstregierung der Gemeinden aus, wobei er die Gemeinden nicht, wie Stahl, mit den Geistlichen identificirt. Er erinnert daran, daß die Beaufsichtigung des Staats so weit ging, daß selbst vom berliner Polizeipräsidium das ein¬ gereichte Statut einer jüdischen Gemeinde censirt wurde. „Hier dürfen selbst der vollsten Zustimmung des Herrn Stahl zu begegnen alle diejenigen hoffen, die bei aller. Hochachtung vor dem berliner Polizeipräsidium, bei der aufrich¬ tigsten Bewunderung der polizeilichen Talente seiner Organe und der guten Eigenschaften ihres Chefs, diese Behörde zwar für sehr wohl geeignet halten, Reglements aller anderen Art (für die verschiedenartigsten nützlichen und un¬ nützlichen Vereine, für Droschkenkutscher, Bordelle u. s. w.) zu erlassen, daß sie aber vielleicht eben wegen dieser Vielseitigkeit weder befugt, noch geschickt sei, die Statuten einer religiösen Gemeinde zu revidiren und endgiltig zu genehmigen." — Diese Bemerkung gibt dem Verfasser Gelegenheit zu einem weitern Ercurs. Er bespricht nämlich das bekannte Duell, welches vor einigen Wochen Berlin in eine Aufregung versetzte, wie sie seit den Zeiten von 1849 nicht wieder vorgekommen war. Das hitzige Fieber, welches damals die Ber¬ liner ergriff, machte jeden des Junkerthums verdächtig, der nicht fest davon überzeugt war, Herr v. Hinckeldey sei als ein Märtyrer der Freiheit gefallen. Wir haben schon damals unsere entgegenstehende Ansicht ausgesprochen, wir freuen uns, in dem vorliegenden Buch eine ähnliche und diesmal aus entschie¬ dener Sachkenntniß hervorgehende Schilderung anzutreffen. Herr Quedl setzt auseinander, daß, wenn man die Gegner des Junkerthums unter einen Parteibegriff zusammenfaßt, der Gefallene in keiner Weise als der Träger dieser Partei betrachtet werden kann. „Welche Abweichung auch unter diesen Gegnern insonderheit in Bezug auf die Formenfrage Statt finden mag, ob die einen ehrliche Absolutisten, die anderen ehrliche Anhänger einer konstitu¬ tionellen Verfassung sind> alle sind darüber einig: daß der König und das Gesetz in Preußen für alle Staatsangehörigen die höchste Autorität sein und bleiben sollen — daß die Bestimmungen der Verfassungsurkunde und einzelner Gesetze nicht durch mehr oder weniger kühne und glückliche Auslegungen im Interesse einer Partei benutzt werden dürfen — daß die religiöse Freiheit eine wesentliche Forderung der bürgerlichen ist — daß die persönlichen Rechte der Staatsbürger wie die Rechte der Communen einen starken Schutz gegen die Uebergriffe der Polizeigewalt behalten oder bekommen sollen. Nun fragen wir alle Welt, mit welchem Rechte Herr von Hinckeldey als Träger und Vor¬ kämpfer solcher Principien bezeichnet werden kann?!! Daraus, daß das Gefühl des Widerwillens gegen polizeiliche Allgewalt überhaupt oder gegen die Art und Weise, wie der Verstorbene in seiner Stellung und seinem Einflüsse sich behaupten sollie, ihm unter den Anhängern der Junkerpartei viele persönliche Gegner schuf — daraus, daß Herr von Hinckeldey seinen Unwillen übex den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/325>, abgerufen am 05.07.2024.