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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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nehmen, daß es auch in viel kleinern Städten an Statuen des regierenden
Kaisers und der wichtigsten Personen aus der kaiserlichen Familie nie fehlte.
Desto reicher war Pompeji an Ehrenstatuen verdienter Bürger. Overbeck hat
für den aufgegrabenen Theil gegen 70 zusammengerechnet, welcher freit.es die
wichtigsten öffentlichen Plätze und Denkmäler umfaßt, wonach man für die ganze
Stadt mindestens die doppelte Zahl voraussetzen kann; eine Menge von Statuen,
mit der verglichen die öffentlichen Denkmäler dieser Art in Paris und London
äußerst winzig erscheinen.

^^.Die Eigenthümlichkeit des antiken PrivathauseS ist schon oben angedeutet;
nämlich, daß dessen Wohnräume nicht nach der Straße hinausgehen, sondern
auf einen oder mehre Höfe münden, die entweder ganz offen oder theil¬
weise bedacht sind, öfters auch als Gärten benutzt wurden. Außerdem über¬
rascht überall die außerordentliche Kleinheit der Zimmer. Beide Eigenschaften
der alten Bauwerke erklären sich aus den klimatischen Verhältnissen des Sü¬
dens. "Die Alten, sagt Wackernagel in einem hübschen Aufsatze über Pom¬
peji.*), lebten, und noch jetzt leben die Bewohner des Südens weniger zwischen
den vier Wänden als wir. Sie verlangten vom Hause beinah nur, daß es
ihnen ein schattiges und kühles Gelaß für die Zeit des Essens und des
Schlafens gebe; deshalb sind hier auch die Fenster so selten, und noch seltener
Glasfenster, und die Zugänge zu den Zimmern können öfter nur mit Vor¬
hängen als wirklich mit Thüren verschlossen gewesen sein. Wo sie den Platz
für sonstige Erholung und meist auch den für Arbeit gesucht haben, zeigen uns
Italien und Spanien noch heutiges Tages: in der großen Stadt Neapel sitzen
die Schneider und Schuster auf offner Straße und treiben ihr Handwerk, daS
Haus gibt Schatten und das Gewühl der Fußgänger und der Fahrenden stört
nicht, es unterhält blos, und kommt der Abend, so wird das flache Dach er¬
stiegen und die kühlere Luft geathmet, die von der See herweht; der Andalusier
richtet sich z^ Sommerszeit das sogenannte Patio, den Hof seines Hauses,
der Atrium. Peristyl und Viridarium. alles zugleich ist. für Tag und Nacht zur
behaglichen Wohnung ein, und arbeitet, ißt und schläft im Duft der Pflanzen,
im Geräusch des Springbrunnens, im Schatten des SäulengangeS oder der
Decke, die er über den ganzen Raum ausspannt, um der zu heißen Sonne
und dem Thau der Nacht zu wehren. Und wie viel Zeit verbrachten die Alten
entfernt vom Hause, wie viele Zeit des Geschäfts oder der Muße in Forum
und Basilica und Tempel und Theater!" -- Diese letztere charakteristische
Eigenthümlichkeit hat auch das Leben der modernen Italiener. Von einer
häuslichen Geselligkeit, wie sie der Norden kennt, hat der Italiener keinen Be¬
griff. Man besucht sich in der Theaterloge und gibt sich Rendezvous im



') Basel <8i-9.

nehmen, daß es auch in viel kleinern Städten an Statuen des regierenden
Kaisers und der wichtigsten Personen aus der kaiserlichen Familie nie fehlte.
Desto reicher war Pompeji an Ehrenstatuen verdienter Bürger. Overbeck hat
für den aufgegrabenen Theil gegen 70 zusammengerechnet, welcher freit.es die
wichtigsten öffentlichen Plätze und Denkmäler umfaßt, wonach man für die ganze
Stadt mindestens die doppelte Zahl voraussetzen kann; eine Menge von Statuen,
mit der verglichen die öffentlichen Denkmäler dieser Art in Paris und London
äußerst winzig erscheinen.

^^.Die Eigenthümlichkeit des antiken PrivathauseS ist schon oben angedeutet;
nämlich, daß dessen Wohnräume nicht nach der Straße hinausgehen, sondern
auf einen oder mehre Höfe münden, die entweder ganz offen oder theil¬
weise bedacht sind, öfters auch als Gärten benutzt wurden. Außerdem über¬
rascht überall die außerordentliche Kleinheit der Zimmer. Beide Eigenschaften
der alten Bauwerke erklären sich aus den klimatischen Verhältnissen des Sü¬
dens. „Die Alten, sagt Wackernagel in einem hübschen Aufsatze über Pom¬
peji.*), lebten, und noch jetzt leben die Bewohner des Südens weniger zwischen
den vier Wänden als wir. Sie verlangten vom Hause beinah nur, daß es
ihnen ein schattiges und kühles Gelaß für die Zeit des Essens und des
Schlafens gebe; deshalb sind hier auch die Fenster so selten, und noch seltener
Glasfenster, und die Zugänge zu den Zimmern können öfter nur mit Vor¬
hängen als wirklich mit Thüren verschlossen gewesen sein. Wo sie den Platz
für sonstige Erholung und meist auch den für Arbeit gesucht haben, zeigen uns
Italien und Spanien noch heutiges Tages: in der großen Stadt Neapel sitzen
die Schneider und Schuster auf offner Straße und treiben ihr Handwerk, daS
Haus gibt Schatten und das Gewühl der Fußgänger und der Fahrenden stört
nicht, es unterhält blos, und kommt der Abend, so wird das flache Dach er¬
stiegen und die kühlere Luft geathmet, die von der See herweht; der Andalusier
richtet sich z^ Sommerszeit das sogenannte Patio, den Hof seines Hauses,
der Atrium. Peristyl und Viridarium. alles zugleich ist. für Tag und Nacht zur
behaglichen Wohnung ein, und arbeitet, ißt und schläft im Duft der Pflanzen,
im Geräusch des Springbrunnens, im Schatten des SäulengangeS oder der
Decke, die er über den ganzen Raum ausspannt, um der zu heißen Sonne
und dem Thau der Nacht zu wehren. Und wie viel Zeit verbrachten die Alten
entfernt vom Hause, wie viele Zeit des Geschäfts oder der Muße in Forum
und Basilica und Tempel und Theater!" — Diese letztere charakteristische
Eigenthümlichkeit hat auch das Leben der modernen Italiener. Von einer
häuslichen Geselligkeit, wie sie der Norden kennt, hat der Italiener keinen Be¬
griff. Man besucht sich in der Theaterloge und gibt sich Rendezvous im



') Basel <8i-9.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/31>, abgerufen am 27.07.2024.