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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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und rein polizeilichen Einwirkungen, welche in fast außeramtlicher und vertrau¬
licher Weise auf die Redactionen, Verleger, Eigenthümer der Journale geübt
werden und sich ostensibel wol gar an ihre moralischen Eigenschaften (Patriotis¬
mus, conservariven Sinn :c.) wenden, aber für die Nichtbeachtung solcher prä¬
ventiver Rathschläge, Mahnungen, Wünsche und Warnungen die äußerste
Mißliebigkeit mit allem polizeilichen-Gefolge in nächste, administrative Pein¬
lichkeit in weitere Perspective stellen d. h. die bürgerliche Existenz der verant¬
wortlichen und concessionirten Personen, die materielle Existenz des fraglichen
Blattes auf eine Weise bedrohen, wogegen eine wirksame Vertheidigung durch
Gesetz und Recht kaum möglich ist. Weil aber das Publicum davon nichts
erfährt, wundert es sich höchstens und nennt es wol einen Fehler der Re¬
daction, einen Mangel an Gesinnung, Liebedienerei, Zaghaftigkeit oder gar
Farbenwechsel, wenn ein Blatt über gewisse Fragen gänzlich schweigt, in an¬
dern die Vertretung gänzlich unpopulärer Richtungen unbekämpft läßt, über
bestimmte Vorgänge blos Korrespondenzen aus einer bekannten, aber keines¬
wegs unbefangenen Quelle gibt, andre Mittheilungen grade in dem Momente
abbricht, wo sie zu bemerkenswerthen Resultaten im öffentlichen Interesse führen
könnten u. s w. u. s. w. Dem Publicum fehlen nämlich die Illustrationen
ZU solchen Vorgängen. Denn relativ äußerst selten geschieht es, daß dieselben
>n Parlamentarischen Verhandlungen oder sonstwie nachträglich geliefert wer¬
den. Dann aber hat das Blatt alle moralischen und materiellen Schäden, die
aus seiner falschen Beurtheilung durch die öffentliche Meinung entstehen, oft
Jahre lang tragen müssen, ist dadurch in seiner intellectuellen und geschäftigen
Betriebskraft geschwächt, behält bei vielen Leuten trotz alledem und allevem
einen Makel und wird sogar oft grade durch solche rechtfertigende Enthüllungen
!U einer noch viel peinlicheren Selbstbeschränkung als vorher genöthigt. Denn
auch jene Zeit, in welcher ans derartige Enthüllungen und Erörterungen, der
über jedes Gesetz Hinausgreisenden Maßregelungen wenigstens eine Erholungö-
perivde unter milderer Administrativprariö folgte -- auch sie gehört der Ver¬
gangenheit an.

- Sich darüber verwundern, daß solche Zustände der Presse grade seit der Her¬
stellung der Preßgesetze eine immer weitere Verbreitung und Ausbildung erlangt
haben, wäre nur ein Zeichen der Unkenntniß von den Gestaltungen der politischen
Praxis in den letzten Jahren überhaupt. Seitdem bestimmte Dispositionsfonds
die Organisation und Administration des gouvernementalen Preßwesens in
bie Budgets aufgenommen sind, ist der Kampf gegen Selbstständigkeit und Un¬
abhängigkeit der Tagespresse überdies kein rein administrativer oder bureaukrati-
schcr mehr, sondern auch ein Kampf des Capitals und der journalistischen Cor-
"ttrenz. Mit dem Capital kann der kleinern und pecuniär beschränkten Jour-
"alistik sehr, leicht, unter Beihilfe der sonstigen administrativen Einwirkungen,


Grenzbote". II. 39

und rein polizeilichen Einwirkungen, welche in fast außeramtlicher und vertrau¬
licher Weise auf die Redactionen, Verleger, Eigenthümer der Journale geübt
werden und sich ostensibel wol gar an ihre moralischen Eigenschaften (Patriotis¬
mus, conservariven Sinn :c.) wenden, aber für die Nichtbeachtung solcher prä¬
ventiver Rathschläge, Mahnungen, Wünsche und Warnungen die äußerste
Mißliebigkeit mit allem polizeilichen-Gefolge in nächste, administrative Pein¬
lichkeit in weitere Perspective stellen d. h. die bürgerliche Existenz der verant¬
wortlichen und concessionirten Personen, die materielle Existenz des fraglichen
Blattes auf eine Weise bedrohen, wogegen eine wirksame Vertheidigung durch
Gesetz und Recht kaum möglich ist. Weil aber das Publicum davon nichts
erfährt, wundert es sich höchstens und nennt es wol einen Fehler der Re¬
daction, einen Mangel an Gesinnung, Liebedienerei, Zaghaftigkeit oder gar
Farbenwechsel, wenn ein Blatt über gewisse Fragen gänzlich schweigt, in an¬
dern die Vertretung gänzlich unpopulärer Richtungen unbekämpft läßt, über
bestimmte Vorgänge blos Korrespondenzen aus einer bekannten, aber keines¬
wegs unbefangenen Quelle gibt, andre Mittheilungen grade in dem Momente
abbricht, wo sie zu bemerkenswerthen Resultaten im öffentlichen Interesse führen
könnten u. s w. u. s. w. Dem Publicum fehlen nämlich die Illustrationen
ZU solchen Vorgängen. Denn relativ äußerst selten geschieht es, daß dieselben
>n Parlamentarischen Verhandlungen oder sonstwie nachträglich geliefert wer¬
den. Dann aber hat das Blatt alle moralischen und materiellen Schäden, die
aus seiner falschen Beurtheilung durch die öffentliche Meinung entstehen, oft
Jahre lang tragen müssen, ist dadurch in seiner intellectuellen und geschäftigen
Betriebskraft geschwächt, behält bei vielen Leuten trotz alledem und allevem
einen Makel und wird sogar oft grade durch solche rechtfertigende Enthüllungen
!U einer noch viel peinlicheren Selbstbeschränkung als vorher genöthigt. Denn
auch jene Zeit, in welcher ans derartige Enthüllungen und Erörterungen, der
über jedes Gesetz Hinausgreisenden Maßregelungen wenigstens eine Erholungö-
perivde unter milderer Administrativprariö folgte — auch sie gehört der Ver¬
gangenheit an.

- Sich darüber verwundern, daß solche Zustände der Presse grade seit der Her¬
stellung der Preßgesetze eine immer weitere Verbreitung und Ausbildung erlangt
haben, wäre nur ein Zeichen der Unkenntniß von den Gestaltungen der politischen
Praxis in den letzten Jahren überhaupt. Seitdem bestimmte Dispositionsfonds
die Organisation und Administration des gouvernementalen Preßwesens in
bie Budgets aufgenommen sind, ist der Kampf gegen Selbstständigkeit und Un¬
abhängigkeit der Tagespresse überdies kein rein administrativer oder bureaukrati-
schcr mehr, sondern auch ein Kampf des Capitals und der journalistischen Cor-
"ttrenz. Mit dem Capital kann der kleinern und pecuniär beschränkten Jour-
"alistik sehr, leicht, unter Beihilfe der sonstigen administrativen Einwirkungen,


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[0313] und rein polizeilichen Einwirkungen, welche in fast außeramtlicher und vertrau¬ licher Weise auf die Redactionen, Verleger, Eigenthümer der Journale geübt werden und sich ostensibel wol gar an ihre moralischen Eigenschaften (Patriotis¬ mus, conservariven Sinn :c.) wenden, aber für die Nichtbeachtung solcher prä¬ ventiver Rathschläge, Mahnungen, Wünsche und Warnungen die äußerste Mißliebigkeit mit allem polizeilichen-Gefolge in nächste, administrative Pein¬ lichkeit in weitere Perspective stellen d. h. die bürgerliche Existenz der verant¬ wortlichen und concessionirten Personen, die materielle Existenz des fraglichen Blattes auf eine Weise bedrohen, wogegen eine wirksame Vertheidigung durch Gesetz und Recht kaum möglich ist. Weil aber das Publicum davon nichts erfährt, wundert es sich höchstens und nennt es wol einen Fehler der Re¬ daction, einen Mangel an Gesinnung, Liebedienerei, Zaghaftigkeit oder gar Farbenwechsel, wenn ein Blatt über gewisse Fragen gänzlich schweigt, in an¬ dern die Vertretung gänzlich unpopulärer Richtungen unbekämpft läßt, über bestimmte Vorgänge blos Korrespondenzen aus einer bekannten, aber keines¬ wegs unbefangenen Quelle gibt, andre Mittheilungen grade in dem Momente abbricht, wo sie zu bemerkenswerthen Resultaten im öffentlichen Interesse führen könnten u. s w. u. s. w. Dem Publicum fehlen nämlich die Illustrationen ZU solchen Vorgängen. Denn relativ äußerst selten geschieht es, daß dieselben >n Parlamentarischen Verhandlungen oder sonstwie nachträglich geliefert wer¬ den. Dann aber hat das Blatt alle moralischen und materiellen Schäden, die aus seiner falschen Beurtheilung durch die öffentliche Meinung entstehen, oft Jahre lang tragen müssen, ist dadurch in seiner intellectuellen und geschäftigen Betriebskraft geschwächt, behält bei vielen Leuten trotz alledem und allevem einen Makel und wird sogar oft grade durch solche rechtfertigende Enthüllungen !U einer noch viel peinlicheren Selbstbeschränkung als vorher genöthigt. Denn auch jene Zeit, in welcher ans derartige Enthüllungen und Erörterungen, der über jedes Gesetz Hinausgreisenden Maßregelungen wenigstens eine Erholungö- perivde unter milderer Administrativprariö folgte — auch sie gehört der Ver¬ gangenheit an. - Sich darüber verwundern, daß solche Zustände der Presse grade seit der Her¬ stellung der Preßgesetze eine immer weitere Verbreitung und Ausbildung erlangt haben, wäre nur ein Zeichen der Unkenntniß von den Gestaltungen der politischen Praxis in den letzten Jahren überhaupt. Seitdem bestimmte Dispositionsfonds die Organisation und Administration des gouvernementalen Preßwesens in bie Budgets aufgenommen sind, ist der Kampf gegen Selbstständigkeit und Un¬ abhängigkeit der Tagespresse überdies kein rein administrativer oder bureaukrati- schcr mehr, sondern auch ein Kampf des Capitals und der journalistischen Cor- "ttrenz. Mit dem Capital kann der kleinern und pecuniär beschränkten Jour- "alistik sehr, leicht, unter Beihilfe der sonstigen administrativen Einwirkungen, Grenzbote». II. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/313>, abgerufen am 22.06.2024.